Katrin Rönicke ist bekennende Feministin, Mutter und Journalistin. In ihrer Jugend landete sie in einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg und fühlte sich dort wie eine Außerirdische. Diese Erfahrung hat sie motiviert: Heute produziert Rönicke einen feministischen Podcast, veröffentlichte ein Buch und schreibt regelmäßig feministische Artikel.
ze.tt: Liebe Katrin, wie bist du Feministin geworden?

Katrin Rönicke: Puh, wo fang ich da an. Also es kam auf jeden Fall keine gute feministische Fee des Nachts herein und am nächsten Tag wachte ich auf und war Feministin. Feminist*in werden, das ist ein Prozess, der sich aus Erfahrungen speist. Bei mir waren es zum Beispiel sehr persönliche Erlebnisse, die mich dazu bewegt haben, mich mit dem Feminismus auseinanderzusetzen.

Und welche waren das?

Einerseits meine Kindheit in der DDR, wo das Geschlecht im Vergleich zum Westen eine entdramatisierte Rolle spielte: Meine Mutter arbeitete genauso wie mein Vater und auch die Bildungsmöglichkeiten von Jungen unterschieden sich nicht von denen der Mädchen. Mit sieben Jahren zogen wir in den Westen in ein sehr konservatives Dorf in Baden-Württemberg. Dort sah es anders aus. Die Mütter blieben zu Hause, während die Väter arbeiten gingen. Mich betraf das dahingehend, dass ich anderes Spielzeug bekam als die Jungen aus meiner Schule und bestimmte äußerliche Ansprüche an mich gestellt wurden. Da habe ich nie reingepasst.
Und diese Erfahrung hat dich zur Feministin gemacht?

Nicht direkt. Aber sie hat mich geprägt. Jahrelang bin ich mit diesem unangenehmen Gefühl rumgelaufen, als wäre ich ein Alien. Mit 18 Jahren gründete ich dann die Grüne Jugend in meiner Heimat. Dort habe ich mich das erste Mal bewusst praktisch und theoretisch mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Frauenquote und ähnlichem auseinandergesetzt. Da erlebte ich sozusagen meine feministische Erweckung. Es hat jedoch noch eine Weile gedauert, bis ich das Wort "Feministin" in den Mund genommen habe. Aber rückblickend war ich natürlich irgendwie schon Feministin – auch wenn ich mich nicht so bezeichnete.
Und ab wann hast du dich dann als Feministin definiert?

Das habe ich tatsächlich erst 2008 getan, nachdem ich das Buch "Wir Alphamädchen: Warum Feminismus das Leben schöner macht" von Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl gelesen habe. Die Autorinnen plädieren in dem Buch sehr offen dafür, das Wort "Feminismus" wieder aufleben zu lassen, es zu benutzen und sich unter dem Label zu versammeln. Es ist einfach ein Begriff, der eine lange Tradition und Geschichte hat, die wir nicht wegwerfen sollten.
Gibt es bestimmte Regeln in der heutigen Gesellschaft, die mensch einhalten muss, um sich als Feminist*in bezeichnen zu dürfen?

Ganz klar: Nein. Es gibt so unendlich verschiedene Ausrichtungen des Feminismus. Das fängt links an beim Anarchafeminismus, geht über die Mitte zu liberalen Feminismusströmungen, Alltagsfeminist*innen, Ökofeminismus bis hin zu neoliberalen Feminist*innen.
Aber kann sich dann nicht jede*r "Feminist*in" nennen?

Na ja, das geht natürlich auch nicht. Aber es gibt auch nicht den einen Regelkatalog, der für alle gilt. Du musst beispielsweise nicht unbedingt Simone de Beauvoir gelesen haben, um dich Feminist*in zu nennen, sondern es gibt einen gemeinsamen Nenner. Nämlich das Ziel, Gerechtigkeit und Chancengleichheit unabhängig vom Geschlecht zu schaffen. Ob sich nun wirklich alle darunter fassen wollten, kann ich nicht garantieren, würde es aber behaupten.
Das wären dann schon eine Menge.

Ja, in der Tat gibt es sehr, sehr viele Arten des Feminismus'. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich herauskristallisiert, dass auch innerhalb des Feminismus' Menschen marginalisiert sind. Daraus entstanden verschiedene feministische Strömungen, die sich für diese mehrfach diskriminierten Gruppen einsetzen. Was ist mit den Menschen, die nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern auch aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Kultur oder ihrer Religion diskriminiert werden?
Das nennt man dann Intersektionalität, oder?

Genau. Das sind feministische Strömungen, die Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Handicapism oder Klassismus mitdenken. Diese Art von Feminismus ist gerade sehr verbreitet und auch wichtig. Aber damit beschäftigen sich nun mal nicht alle Feminist*innen. Müssen sie auch nicht unbedingt.
Aber was kann mensch denn tun, um einen Einstieg in den Feminismus zu finden?

Ich denke, dass keine*r den Einstieg erst finden muss. Die Türe des Feminismus ist nie zu, kein Mensch braucht dafür einen Schlüssel. Sondern die Türe ist immer offen und es kann jede*r hindurch gehen, sich orientieren, aber auch wieder rausgehen. Es ist auch kein Zwang, Feminist*in zu sein, um ein guter Mensch zu werden. Keiner muss sich dieses Label geben. Jede*r sollte da eigentlich seinen oder ihren eigenen Zugang finden, wenn er oder sie das möchte. Den ersten Schritt durch diese Türe kann mensch zum Beispiel tun, indem er oder sie in feministische Literatur reinliest (Liste siehe unten), sich nach feministischen Videos auf Youtube umschaut oder sich feministische Magazine anguckt.
Würdest du dich heute als Expertin des Feminismus bezeichnen?

Nein. Feminismus ist kein Thema, in dem sich irgendwer als Expert*in bezeichnen könnte, denke ich. Es ist eine Haltung. Feminismus fängt da an, wo Menschen feststellen, dass es nicht gerecht zugeht, wenn Mann und Frau nicht dieselben Rechte und Freiheiten haben.

Katrin Rönicke, 1982 geboren, schreibt als Autorin unter anderem für den Freitag und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Darüber hinaus partizipiert sie häufig an und moderiert sie Diskussionen rund um ihre Schwerpunkte Bildung, Geschlechterdemokratie und die Ideengeschichte der Emanzipation. Sie arbeitet außerdem für den RBB und Audible. Seit 2013 produziert Katrin die Podcasts "Erscheinungsraum" und Lila Podcast. Im Juli 2015 erschien ihr Debüt "Bitte freimachen" im Metrolit-Verlag.
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