"Mittlerweile gibt es Kurse, in denen man beigebracht bekommt, wie man eine schlechte Nachricht überbringt. Bei mir im Studium gab es das nicht", erzählt Asfar Salam (35). Dementsprechend fühlte er sich ziemlich allein gelassen, als er das erste Mal einem Patienten sagen musste, dass dieser sterben würde. "Der Oberarzt meinte nur flapsig: ‚Och joah, dann sag dem das mal.‘ Aber das war auch für den Patienten nicht schön: Da kommt so'n Berufsanfänger, der selbst keine Ahnung hat und sagt einem: Sie haben eine todbringende Krankheit."

Kollegin Karolina Wiedemann (33) nickt verständnisvoll. "Man muss sich vorher im Kopf ordnen und überlegen, was man sagen will", meint sie. Die Nachricht über den absehbaren Tod zu überbringen, sei dann nicht mehr das Problem. "Es ist nicht so, wie sich die meisten das vorstellen. Dass das was ganz ganz Schlimmes ist."

Die Patient*innen wüssten oft ziemlich genau, wie es um sie steht. "Es kommt selten vor, dass jemand die Situation total falsch einschätzt." Manche Patient*innen kämen dem Gespräch auch zuvor. "Sie sagen so Sätze wie: 'Ich weiß, dass ich sterben muss.' Darauf kann man dann aufbauen. Und über die Ängste und Wünsche sprechen, die der Patient hat."

Darum geht es in der Palliativmedizin

Den Menschen die Angst und die Schmerzen nehmen, ihnen Lebensqualität schenken – auch, wenn sie unheilbar krank sind und nicht mehr gerettet werden können: das ist die schwere Aufgabe von Palliativmediziner*innen.

22 Betten gibt es auf der Palliativstation in der Frankfurter Klinik, wo Asfar und Karolina arbeiten. Damit ist die Einrichtung schon relativ groß – für deutsche Verhältnisse. Die Palliativmedizin ist hierzulande noch recht jung. 1983 ist die erste Station in Köln eröffnet worden, erst seit 1994 gibt es eine Fachgesellschaft für Palliativmedizin. Von vielen wird der Bereich noch immer falsch verstanden. "Viele denken, wir arbeiten in einer Sterbestation oder in einem Hospiz", erklärt Asfar. "Letztens hatte ich eine Frau an der Pforte, die ihre Angehörige auf die Sterbestation bringen wollte. Ich habe gesagt, dass wir sowas nicht haben."

Karolina ergänzt: "Auch viele andere Ärzte wissen das nicht. Die denken, dass wir zugucken, wie die Patienten vor sich hin vegetieren. Dabei ist das nicht das Ende der Therapie – sondern einfach eine Zieländerung. Wir tun alles, was die Symptome lindert und dem Patienten hilft."

Helfen bedeutet auch feiern

Alles, was hilft – dazu gehören manchmal auch Partys. "Wir haben oft Hochzeiten", meint Karolina. "Einmal hatte ich einen jungen Patienten, bei dem haben die Freunde und die Familie jeden Abend auf dem Zimmer eine Party geschmissen. Ich fand das toll. Es ist furchtbar, wenn es immer so leise ist und alle dauernd 'Psssst' machen. Das ist Quatsch. Da muss Leben rein."

Leben für die Todgeweihten. Manche schaffen es sogar noch Jahre, manchmal Jahrzehnte, dem Tod von der Schippe zu springen: "Ich hatte eine Patientin, die ist 35 Jahre lang auf die Station gekommen. Und dann Anfang des Jahres gestorben – mit 70", erzählt Karolina.

Wenn Patient*innen so lange in Behandlung sind, bauen die Ärzte natürlich auch eine persönliche Bindung auf. "Auch, wenn man das manchmal gar nicht will", meint Asfar und zuckt mit den Schultern. "Aber man erfährt so viel von den Leuten, viele persönliche Sachen. Ein Witwer hat einmal zu mir gesagt: 'Wissen Sie, ich hatten eine gute Frau, eine sehr gute. Aber ich habe sie oft schlecht behandelt.' Das sind ja dann richtige Beichten. Zwei Tage später ist er dann gestorben."

Manche gehen ins Hospiz, andere nach Hause

Meistens merken die Ärzte, wenn der Tod den Patient*innen auf den Leib rückt. "Viele werden vorher unruhig. Eine Frau sagte mir einmal, sie wartet auf den Pathologen. Andere sehen schwarze Hunde oder Männer. Und wieder andere rosa Wolken", erzählt Asfar.

60 Prozent der Patient*innen gehen nach der Behandlung auf der Palliativstation in ein Hospiz oder zurück nach Hause. Doch auch wenn die Kranken nicht auf der Station sterben – sie setzen sich ständig mit ihrem Lebensende auseinander. Dementsprechend sind auch die Karolina und Asfar tagtäglich mit dem Tod konfrontiert.

Wie hält man das aus?

Asfar zögert. "Bewusst nimmt mich das nicht mit, aber unterbewusst schon. Manchmal merkt man einfach: Ich brauche Urlaub. Und Abstand vom Thema Tod. Aber ich finde es oft selbst erstaunlich, dass ich nach der Arbeit abschalten, lachen und über Albernheiten nachdenken kann." Etwas, das für Außenstehende nicht unbedingt nachvollziehbar ist. "Das sieht vielleicht auch manchmal etwas makaber aus. Da hat man gerade ein Gespräch über das Sterben geführt, geht ins Schwesternzimmer und flachst da über irgendwelche anderen Sachen rum." Karolina ergänzt: "Ja, aber das ist ja auch wichtig. Und man muss drüber reden. Vor allem mit den Kollegen. Und die Last auf mehrere Schultern verteilen."

Trotzdem können die beiden die Geschichten nicht immer abschütteln. "Es gibt auch Tage, wo man mehr mit nach Hause mitnimmt. Patienten, die man mehr mitnimmt." Das sei vor allem der Fall, wenn die Angehörigen den Sterbenden nicht gehen lassen wollen. Die leugnen, dass der Tod nah ist. "Das ist sehr ermüdend. Als ob man gegen Windmühlen kämpft."

Dabei gehöre der Tod zum Leben dazu. Das wissen die beiden Ärzte, seitdem sie auf der Station arbeiten. Auch ihre persönliche Einstellung zu dem Thema hat sich verändert. "Meine Patientenverfügung wird immer länger", lacht Karolina. Dann wird sie ernster. "Und ich bin viel dankbarer. Über irgendwelche Albernheiten rege ich mich mittlerweile nicht mehr auf."