Deutschland diskutiert (mal wieder) darüber, ob das Tragen von Burkas

  1. zu Deutschland gehört,
  2. möglicherweise zu furchteinflößend für den überwiegenden Teil der Bevölkerung ist (die populistische Assoziation: Burka = Islam = Terror)
    und ob man das Kleidungsstück demnach
  3. nicht besser verbieten sollte.

Die neuerliche Burka-Debatte hatten einige CDU-Landesinnenminister angestoßen. Sie verstehen ein Vollverschleierungs-Verbot als eine von mehreren Maßnahmen, die Deutschland wieder zu einem sicheren Land machen sollen. Dies geht laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland aus einem Entwurf der sogenannten "Berliner Erklärung" hervor, einem Anti-Terror-Maßnahmenkatalog, über den am 18. und 19. August beim Treffen der Unions-Innenminister in Berlin diskutiert werden soll.

Unklar ist, was genau unter den Begriff der Vollverschleierung fällt. Die von Politiker*innen am häufigsten benannte Form: die Burka.

Die Frage, wie viele Terroranschläge in letzter Zeit von Burka-Träger*innen begangen wurden, erspare ich mir an dieser Stelle. Das laute Schreien nach einem Verbot von vollverschleiernden Kleidungsstücken ist für mich hauptsächlich eines: populistische Wählerstimmenakquise. Warum? Darum:

Scheinproblem, ick hör dir trapsen.

Liebe*r Leser*in, wann hast du zuletzt eine Frau in Burka im Supermarkt getroffen? Wenn du auch noch gar nie eine gesehen hast – willkommen im Club!

Genaue Zahlen darüber, wie viele Menschen in Deutschland Burkas tragen, gibt es nicht. Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2011 dazu: "In Deutschland gibt es vier Millionen Muslime, sie kommen überwiegend aus der Türkei, wo die Burka verpönt ist. Die Zahl dürfte somit ‘verschwindend gering’ sein, wie Stefan Müller (CSU) erklärte, der Integrationsbeauftragte der Unions-Bundestasgsfraktion."

Die werten Kolleg*innen von bento haben kürzlich versucht, eine Burka-tragende Frau in Deutschland ausfindig zu machen. Ohne Erfolg. Es wirkt, als ob die Zielgruppe eines Gesetzes, das das Tragen von Burkas verbietet, gegen Null geht.

Wo leben die Unionspolitiker*innen, die davon reden, dass die Vollverschleierung in Deutschland "für eine Atmosphäre des Misstrauens im öffentlichen Raum" sorge (Katrin Albsteiger, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union, zur Bild)? Bekannte Burka-Gegner*innen wie Jens Spahn, Erika Steinbach und Julia Klöckner äußerten sich nicht zu der Anfrage bentos, wann sie denn zuletzt einer Frau in der afghanischen Verschleierungsvariante gesehen hätten.

Liebe Unionspolitiker*innen: Sind Burka-tragende Frauen tatsächlich so ein brisantes Sicherheitsproblemen in Deutschland, dass ihr ihm mit eurem Maßnahmenkatalog Abhilfe schaffen müsst? Oder bekämpft ihr mit eurem Burka-Verbot nicht vielleicht doch eher ein Scheinproblem?

Scheinlösung, ick hör dir trapsen.

Angenommen es käme zu einem Burka-Verbot in Deutschland. (Was eher unwahrscheinlich ist, da sowohl das Grundgesetz als auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière keine Fans sind.) Welche Sicherheitslücke würde damit genau geschlossen? Es ist ja nicht ein Stück Stoff, dass gefährliche Ideen entwickeln kann. Es sind die Köpfe der Menschen, die gefährliche Ideen entwickeln können. Und diese Sicherheitslücke schließt man nicht, indem man ein Stück Stoff verbietet.

Unionsstimmen sagen, man möchte verhindern, dass sich innerhalb Deutschlands "Parallelgesellschaften" bilden (Christian von Stetten, CDU, zur Stuttgarter Zeitung). "Wer zu uns nach Deutschland kommt, hat bitte schön unsere Kultur zu akzeptieren und zu unserer Kultur gehört nicht Burka", so Holger Stahlknecht, Innenminister Sachsen-Anhalts im MDR.

Es geht scheinbar darum, "Die" mehr so zu machen wie "Wir". Ein Vollverschleierungs-Verbot könnte man also im weitesten Sinne als eine Integrationsmaßnahme verstehen. Islamwissenschaftler Bassam Tibi schrieb in einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung, ein Burka-Verbot sei "eine kluge politische Maßnahme gegen Abschottung in Parallelgesellschaften, für eine Integration im Sinne von Inklusion muslimischer Migranten und für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland".

Aber wie genau integrieren Verbote in unsere Gesellschaft? Keine radikal gesinnte Muslima wird sich denken: Hach ja, jetzt wo Burkas verboten sind, trag ich mal lieber Jeans und geh morgens zum Power-Yogakurs.

Ich befürchte, dass ein Burka-Verbot auch künftig nicht dazu führen würde, dass mehr Muslima Schweinebraten essen und Dirndl tragen.

Liebe Unionspolitiker*innen, ist euer Vollverschleierungs-Verbot nicht vielleicht eine Scheinlösung für ein Scheinproblem? Würde sich eine tatsächliche Lösung nicht mehr mit der Frage beschäftigen, wie es gelingt, Menschen am Rand unserer Gesellschaft mehr in die Mitte zu holen? Wie man verhindert, dass sich oftmals die Verlierer*innen unserer Gesellschaft von unseren Werten abkehren und sich sogenannten "Parallelgesellschaften" zuwenden? Wie man erreichen kann, dass sich Menschen mit anderen Wurzeln und kulturellen Prägungen besser mit unseren Werten und Idealen identifizieren?

Ein Burka-Verbot würde meiner Meinung nach überhaupt NICHTS an unserem Zusammenleben ändern. Politiker*innen, die das Gesetz fordern, möchten offenbar gar nicht in den Dialog mit betroffenen Frauen treten. Es reicht ihnen festzuhalten, dass diese aufgrund ihrer Bekleidung nicht ins deutsche Wertesystem passen. Und damit ziehen sie die Grenzen zwischen dem Fremden und dem Eigenen schärfer – auf beiden Seiten der Grenze. Kein Miteinander. Keine Kommunikation. Positive Veränderungskraft: gleich Null.

Scheinproblem, Scheinlösung … Wozu dann das Ganze?

Ein Vollverschleierungs-Verbot wäre lediglich ein Symbol. Es macht Deutschland nicht zu einem sichereren Land. Es führt nicht dazu, dass konservativ oder gar radikal denkende Muslim*innen besser in unsere westliche Hemisphäre integriert werden. Es ist eine Luftfassade ohne Tiefgang. Und oben drüber steht in Leuchtfarben: "Liebe AfD-Protestwähler*innen, bitte bitte, kommt wieder zu uns zurück!"

"Wer die Feindbilder der Rechtspopulisten bestätigt, macht sie stark", so Jürgen Trittin (Die Grünen) zum Tagesspiegel. Recht hat er. Dass Unionspolitiker*innen jetzt wieder die Burka-Debatte hervorzerren, wirkt wie ein Eingeständnis an alle Pegidist*innen und Rechtsdenker*innen: Ja, ihr habt Recht. Ja, auch wir sehen, dass die Islamisierung des Abendlandes voranschreitet. Ja, auch wir wollen was dagegen tun.

Auch, wenn ein Burka-Verbot eine gegen Null gehende Anzahl von Menschen betreffen würde und so veränderungsbringend wie eine Zucchini wäre. Aber yolo, Stammtischsympathiepunkte bringt es allemal.