Frank Kubitza holt sein iPhone aus der Tasche, öffnet die Lichtmesser-App und ermittelt den Lux-Wert in seinem Büro. Das macht der Direktor des Jack-Steinberger-Gymnasiums in Bad Kissingen inzwischen regelmäßig. Immerhin wirkt sich das Licht erheblich auf die Konzentration, Stimmung und den Geist aus – und all das versucht die Schule zurzeit zu optimieren. Sie ist Teil von "ChronoCity – Pilotstadt Chronobiologie", einem weltweit einzigartigen Projekt.

Die Kleinstadt Bad Kissingen nördlich von Würzburg hat sich vorgenommen, den Tagesablauf neu zu gestalten. Statt auf das zu hören, was die Armbanduhr vorgibt, sollen die Menschen nach ihrer biologischen Zeit arbeiten. Das sei gesünder und steigere die Leistung, heißt es. An der ersten Phase des Projekts nehmen neben dem Gymnasium auch zwei Kliniken und fünf Unternehmen teil.

Schulbeginn erst um 9 Uhr

Die biologische Uhr, der sogenannte Chronotyp, ist individuell. Es gibt Frühaufsteher ("Lerchen"), Normaltypen und Spätaufsteher ("Eulen"). Die LMU München hat einen Fragebogen entwickelt, mit dem jeder in nur fünf Minuten herausfinden kann, was für ein Typ er oder sie ist.

Bis etwa zum 21. Lebensjahr bildet sich ein bestimmter Chronotyp heraus. Davor schwankt die innere Uhr, vor allem während der Pubertät. "Ich sehe das bei Unterrichtsbesuchen in der Mittel- und Oberstufe ständig. Einer gähnt immer", sagt Kubitza. Das bestätigt auch ein Projektseminar der Oberstufe, das gemeinsam mit der Schulpsychologin Andrea Rottmann über 600 Schüler chronotypisiert hat. Das Ergebnis: Etwa 20 Prozent der Schüler*innen haben ihre Schlafmitte später als 6 Uhr. "Der Schulbeginn um acht Uhr liegt für sie eigentlich mitten in der Nacht", schreibt Rottmann dazu.

Deshalb überlegte die Leitung, die Schule erst um 9 Uhr beginnen zu lassen. Aber die Infrastruktur spielte nicht mit: "Das Problem in einem ländlichen Flächenlandkreis ist, dass ein Drittel der Schüler dann nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule käme", erklärt der Schuldirektor. In manche Dörfern der Vorrhön fahren eben nur zwei Busse am Tag: einer zur Schule und einer zurück.

Statt des neuen Schulbeginns hat sich das Gymnasium einfachere Lösungen überlegt, um der inneren Uhr der Schüler*innen entgegenzukommen: Nach und nach stattet die Leitung das Gebäude mit Tageslichtlampen aus, denn Licht ist wichtig für die Synchronisation der biologischen Uhr mit der Umwelt. Außerdem sollen Lehrer*innen Klassenarbeiten erst ab der dritten Stunde schreiben.

Einfache Möglichkeiten, große Effekte

Die Idee der ChronoCity stammt vom Wirtschaftsförderer der Stadt. Michael Wieden hat sich vor 14 Jahren zum ersten Mal mit dem chronobiologischen Einfluss beschäftigt, damals vor allem im Personalmanagement. "Dann bin ich darauf gekommen, das Ganze im kommunalen Kontext zu spielen." Geboren war die Idee der ChronoCity.

Eine Idee, die – komplett durchdacht – in alle Lebensbereiche fällt. "Das lässt sich nicht so leicht umkrempeln", erklärt Wieden. Deshalb stehe dieses "absolut langfristige Projekt" noch ganz am Anfang. In den nächsten zwei Jahren heiße es erst einmal, Entscheider in Unternehmen zu sensibilisieren und Studien mit Universitäten weiterzuführen. Außerdem soll Bad Kissingen eine eigene Akademie für Chronobiologie erhalten.

"Die Aufnahmefähigkeit und Leistung sind höher"

Nicht mehr überzeugen muss er Thorn Plöger. Der Verwaltungsleiter der Reha-Klinik Hescuro ist seit Beginn des Projekts vor drei Jahren dabei. Denn es sind relativ einfache Möglichkeiten, mit denen sich ein großer Effekt erzielen lässt. So gibt es schon seit Jahren nur noch Therapieräume, die lichtdurchflutet sind. Kurse wie Nordic Walking finden nicht in der Dämmerung statt und im Winter nie vor neun Uhr. "Die Aufnahmefähigkeit und Leistung sind höher", sagt er.

Außerdem wird den Patient*innen empfohlen, sich keinen Wecker zu stellen; der Frühstückssaal ist zwischen 7 und 9:30 Uhr geöffnet. Auf freiwilliger Basis können sich die Patient*innen chronotypisieren lassen. Ein Spätaufsteher hat dann morgens kein psychologisches Gespräch oder einen Sportkurs.

Das Konzept hilft auch Krebspatient*innen

Patient*innen, die sich darauf einlassen, berichten von positiven Effekten. "Sie schlafen besser und nehmen die Therapie besser an", sagt Plöger. Was die Patient*innen dürfen, ist auch den Angestellten erlaubt. 15 Mitarbeiter*innen richten ebenfalls ihre Arbeitszeit nach der inneren Uhr. Was die Dienstplangestaltung schwieriger macht, lohne sich dennoch: "Die Zufriedenheit ist höher und die Fehlerquote geringer."

Chronobiologie sei in Deutschland noch zu wenig angekommen, beklagt Plöger. In den USA werden sogar Krebstherapien nach der inneren Uhr geplant – mit Erfolg. Hierzulande steckt die Umsetzung des Konzepts dagegen noch in den Kinderschuhen. Patient*innen oder Schüler*innen mögen davon profitieren, aber die Frage ist natürlich auch: Wollen Angestellte ihre Höchstform unbedingt auf der Arbeit verbringen?

https://www.playbuzz.com/zettjv10/w-rdest-du-deinen-tagesablauf-lieber-nach-deiner-inneren-uhr-ausrichten