Nicht nur Stars, Medien und Unternehmen beschallen ihre Followerschaft auf Snapchat. Auch deutsche Politiker*innen und Parteien wagen sich in die bunte Social-Media-Welt vor. Doch nur die wenigsten snappen regelmäßig und noch weniger zeigen wirklich interessante Storys. Dabei machen sie alle die gleichen Fehler. Eine Analyse.

Wer snappt überhaupt?

Die Zahl der Politiker*innen und Parteien, die zurzeit regelmäßig snappen, kann man an zwei Händen abzählen. Zumindest wenn man sich auf Bundestagsparteien (sowie deren Jugendorganisationen) und Politiker*innen auf Bundes- und Landesebene beschränkt. Dann bleiben: die CSU (Snapchat-Name: csu_de), die Linke (die_linke), die Junge Union (junge_union), die Jungen Liberalen (jungeliberale), Peter Tauber (petertauber), Katharina Schulze (kathaschulze), Johannes Steiniger (josteiniger) und Christina Kampmann (christinakampm8).

So snappt die CSU

Die CSU ist nach eigener Aussage die erste Partei in Deutschland, die sich auf Snapchat gewagt hat. Das war zur Zeit des Parteitags 2015, also im November vor einem Jahr. Inzwischen versorgt die Partei ihre Snapchat-Follower alle paar Tage mit Infos.

Konservativ kommt sie dabei nicht rüber. Sie verwendet ganz oft Emojis und Bitmojis, das sind Cartoon-Figuren, die man individuell gestalten kann. Die CSU hat für ihren Avatar Ministerpräsident Horst Seehofer als Vorbild genommen. Diese Figur schwebt mal kaffeetrinkend neben einer Kaffeemaschine, mal springt sie jubelnd in die Luft. Hier ein paar Beispiele aus der Snapchat-Story der CSU am 10. Oktober:

Wer am 10. Oktober mal Nachrichten gelesen oder geschaut hat, wusste an dem Tag auch, dass eine CSU-Parteivorstands-Sitzung in München war. Das setzt die CSU auf Snapchat anscheinend bei ihren Followern voraus, sie erklärt es nämlich nicht. Und noch etwas fehlt: die Aussagen von Generalsekretär Andreas Scheuer und Ministerpräsident Horst Seehofer in den Pressegesprächen. Wenn ich schon ein Foto von ihnen beim Interview-Geben sehe, möchte ich zumindest ein Zitat von ihnen dazu lesen. Oder noch besser: im Video hören.

Insgesamt hält die CSU ihre Follower aber ganz gut auf dem Laufenden, wenn etwas Wichtiges passiert: der Parteitag, der Besuch des mazedonischen Außenministers oder der CSU-Netzkongress. Oft kündigt die CSU auch Pressegespräche ihrer hohen Parteimitglieder an. Horst Seehofer wird übrigens "Chef" genannt.

So snappt die Linke

Die Linke ist auf Snapchat bei Weitem nicht so aktiv wie die CSU. Ihre Storys wirken auch nicht so professionell. Sie gibt an, dass sie auf Snapchat ein niedrigschwelliges Angebot schaffen will. Vorrangig für zwölf- bis 18-Jährige. Sie möchte Politik mit einer einfachen Sprache vermitteln. Dann heißt es bei der Linken auch mal nur "Mjam", wenn es um ihre Aktion "Miethaie zu Fischstäbchen" geht, durch die sie auf Mieterhöhungen und Wohnungsnot aufmerksam machte.

Aber Vorsicht, liebe Linke, die Autokorrektur funktioniert auch auf Snapchat!

Und schon wieder: Wegen der Autokorrektur stellte die Linke am 21. November sogar ihren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt falsch vor. Eigentlich heißt der Herr Butterwegge.

So snappt die Junge Union

Die Junge Union (JU) snappt ungefähr zweimal im Monat, zum Beispiel vom CDU-Parteitag in Essen, davor gab's eine Story über ein Deutschlandrat-Treffen sowie den Deutschlandtag der JU. Die Story über dieses Zusammenkommen sahen nach Angaben der JU etwa 1000 Menschen auf Snapchat.

Schöne Fotos, aber wer redet da? Das hätte die JU ihren Followern noch verraten können – und auch mehr Infos vom gesamten Deutschlandtag. JU: "Snapchat hilft mit seiner stark bildlichen Ausrichtung, den drögen Parteisprech zu umschiffen und politische Botschaften einfach und visuell zu vermitteln." Ja, aber leere Sprechblasen vermitteln doch ein bisschen wenig.

So snappen die Jungen Liberalen

Die Jungen Liberalen snappen seit etwa einem Jahr, ungefähr genauso häufig wie die JU. "Genau wie über Facebook, Twitter und all unsere anderen Angebote versuchen wir JuLis auch über Snapchat, junge Menschen zum Nachdenken über Politik und unsere Inhalte zu bewegen."

Dieses Ziel setzen sie in ihren Storys leider nicht um. Politische Inhalte findet man da selten, sondern nur einzelne Snaps, wo sie sich gerade befinden. Oft irgendwo unterwegs auf der Straße. Die Fotos dazu sind zwar schön, aber für Nicht-Mitglieder wenig interessant.

Liebe JuLis, was wollt ihr uns damit sagen?

Eine längere Story machten die Jungen Liberalen Mitte Oktober, hier ein Ausschnitt:

Doch wer sich nicht anderweitig über die Jungen Liberalen informiert, wird daraus wenig schlau. Aus der Story geht nicht hervor, was die Jungen Liberalen in Washington machen. Dabei hätte es einiges zu berichten gegeben: Zwei Mitglieder waren anlässlich der US-Wahl auf Studien- und Informationsreise dort. Was sie dabei erlebt und erfahren haben, wäre sicher für viele Follower spannend gewesen. Und nicht nur Fotos vom Kapitol.

So snappt Peter Tauber

CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist der aktivste deutsche Politiker auf Snapchat. Er hat im Vergleich mit anderen Politiker*innen auch verhältnismäßig hohe Follower-Zahlen: Im Schnitt 500 Menschen schauen ihm zu, wenn er fast täglich neue Fotos und Videos snappt. Die meisten drehen sich um seine Arbeit als Politiker, aber auch ein paar private Snaps haut Tauber raus. Das sind meist Sonnenauf- oder -untergänge, Fotos oder Videos von Taubers regelmäßigem Lauftraining oder von Kirchen.

Wie Tauber sagt, möchte er seinen Followern aber hauptsächlich vermitteln, wie ein Abgeordneter arbeitet. "Und natürlich geht es darum, einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen." Durch seine Storys erfährt man, was ein Generalsekretär alles zu tun hat. Und dass er oft schon frühmorgens im Büro ist, spätabends in irgendwelchen Sitzungen und an einem Sonntag bei der Klausurtagung im Bundesvorstand.

Das sind zwar wirklich "Einblicke hinter die Kulissen", aber oft fehlt auch Taubers Snaps noch ein bisschen Inhalt. Er sagt selbst, dass er seinen Followern politisches Interesse unterstellt. Natürlich darf Tauber auf Snapchat nicht parteiinterne Informationen veröffentlichen. Aber wenn es um Bundestagsdebatten oder öffentliche Reden geht, könnte er seinen Followern mehr politischen Input mitgeben.

Manchmal versucht Tauber auch, ein wenig Humor in seine Story zu bringen. So zeigt er zum Beispiel ein Plakat mit Werbung für "Karate im Bundestag" und schreibt dazu, dass der Wahlkampf näher rückt.

So snappt Katharina Schulze von den Grünen

Noch kurzweiliger betreibt die bayerische Landtagsabgeordnete Katharina Schulze von Bündnis 90/Die Grünen ihren Snapchat-Account. Sie sagt, dass ihr die App persönlich Spaß macht. Das sieht man ihren Storys, die durchschnittlich 200 Menschen anschauen, auch an: Die meisten sind fröhlich, pink und natürlich mit Grünen-Bezug.

Gleichzeitig schafft Schulze es, politische Inhalte in ihren Storys zu vermitteln – woran die meisten anderen politischen Snapchat-Accounts scheitern. Zum Beispiel erklärt sie ihren Followern, wie ein Planspiel für Schüler*innen funktioniert. Aber nicht zu trocken: "Die lustigste Frage, die ich jemals gestellt bekommen habe, war: Stimmt es, dass man einen Heli als Landtagsabgeordnete hat? Nein, aber ein Fahrrad", erklärt sie im Video, während die Zuschauer*innen ihr Gesicht unter einem Regenschirm sehen.

Auf dem Landesparteitag der bayerischen Grünen und auf dem Bundesparteitag hielt Schulze ihre Snapchat-Follower auf dem Laufenden. Hier beim Landesparteitag:

Beim Bundesparteitag fasste sie zum Beispiel in mehreren Videos einige Beschlüsse zusammen: die Abschaffung des Ehegattensplittings, die Vermögenssteuer für Superreiche und Forderungen gegen Hass im Netz. "Ich möchte, dass die Menschen miterleben können, was es bedeutet, im Bayerischen Landtag zu sein, wie Politik funktioniert, für welche Themen ich kämpfe", sagt Schulze zu ihren Zielen auf Snapchat. Meistens berichtet sie aber nur von den großen Events. Dadurch kommt ein etwas einseitiges Bild davon zustande, "was es bedeutet, im Bayerischen Landtag zu sein". Darüber könnte sie ihre Follower noch regelmäßiger auf dem Laufenden halten.

So snappt Johannes Steiniger von der CDU

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger will in seinen Snapchat-Storys auch Einblicke in die Arbeit eines Abgeordneten geben. Etwa 150 Leute schauen durchschnittlich seine Storys. Die sind eher kurz, oft bestehen sie nur aus einem Foto oder Video. Viel Inhalt vermittelt er damit nicht. Ein Bürgergespräch zum Bundesteilhabegesetz kündigt er zum Beispiel nur mit einem Foto an. Interessanter wäre, wenn er etwa in einem Video seine Meinung dazu erklären würde oder einfach mehr Informationen gibt.

Viele von Steinigers Snaps sind allerdings originell, zum Beispiel wenn er einen Staatsbesuch oder Komiker Lutz van der Horst fotografiert.

So snappt Christina Kampmann von der SPD

Christina Kampmann (SPD) ist Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport in NRW. Sie füllt ihre Storys fast nur mit Videos. "Ich finde, die bewegte Aufnahme zeigt mehr von der Situation vor Ort, zudem rede ich ja oftmals dazu", erklärt sie ihre Strategie. Oft spricht sie jedoch nicht dazu und dann wären Fotos doch passender. Zum Beispiel wenn ihr Video nur das verwackelte Standbild eines Plakates oder eines Adventskalenders zeigt.

Wenn sie im Hintergrund erklärt hätte, worum es sich beim Plakat handelt, oder Weihnachtsmusik gespielt hätte, hätte das Video Sinn ergeben. Zu hören war jedoch nur Rauschen.

An anderen Stellen machen ihre Videos aber durchaus Sinn, zum Beispiel als sie am 5. Dezember in zwei Videos erklärt: "Heute ist Tag des Ehrenamtes und ich freue mich, dass ich die vielen Flüchtlingshelfer noch einmal ehren und ihnen danke sagen kann. Sie standen ja letztes Jahr sehr im Fokus, aber ich finde, dass es auch dieses Jahr wichtig ist, ihnen noch einmal Wertschätzung entgegenzubringen."

Warum Kampmann Snapchat nutzt: "Ich finde es ganz spannend, dass ich kurze Info-Clips am Rande von Terminen oder die Skurrilität des Alltags in meine Story posten kann. Ich muss aber dazu sagen, dass ich kein Kommunikationsteam dafür nutze."

Keine Sorge, Frau Kampmann, das brauchen Sie auch nicht: Die Snapchat-Credibility verdient sich, wer selbst Hand anlegt.

Das sind weitere wichtige Accounts

Neben diesen vier Politiker*innen gibt es noch weitere auf Landes- und Bundesebene, die hin und wieder in ihrer Snapchat-Story posten, zum Beispiel CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär, CDU-Bundestagsabgeordnete Christina Schwarzer und Linke-Bundestagsabgeordneter Stefan Liebich. Einige andere Politiker*innen haben zwar Accounts, nutzen sie aber selten aktiv.

Die CDU ist seit Kurzem die dritte snappende Partei im Bundestag. Sie hat ihren Account zwar schon seit Juni, jedoch befand er sich laut dem Politikberater Martin Fuchs bis Anfang Dezember in einer Testphase. Martin Fuchs hat auch eine lange Liste der Snapchat-Accounts von Politikern und Parteien auf seiner Webseite zusammengestellt.

Die größten Snapchat-Fehler

Nach monatelanger Beobachtung der Snapchat-Accounts von Politiker*innen und Parteien fällt auf: Sie machen alle den gleichen Fehler. Die Informationen fehlen. Ganz oft snappen sie einzelne Fotos oder Videos von Veranstaltungen und Reden. Darauf steht dann "Politikaward 2016" (aus der Snapchat-Story von Katharina Schulze am 24.11.) oder "Heute Interview-Marathon: jetzt ist Gerda Hasselfeldt dran!" (aus der Snapchat-Story der CSU am 14.11.) Die Follower dürfte aber nicht nur interessieren, dass der Politikaward gerade stattfindet oder die CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt den Medien Fragen beantwortet, sondern viel mehr, WAS beim Politikaward passiert und WORÜBER Gerda Hasselfeldt redet.

Ganz schlimm sind die Posts mit "Jetzt geht's los" oder wahlweise "gleich geht's los" – denn oft folgt danach: nichts. Die Follower wissen also: Gerade passiert etwas Spannendes, da wird bestimmt gleich mehr berichtet. Doch da enttäuschen die Politiker*innen und Parteien sie oft.

Aber den größten Fehler machen die Politiker*innen und Parteien, die gar nicht auf Snapchat sind. Die App ist inzwischen mehr als ein Zehn-Sekunden-Chat für Teenager. "Ein Blick auf den US-Wahlkampf zeigt, dass Snapchat in der Politik eine immer wichtigere Rolle einnehmen wird", sagt zum Beispiel die CSU.

Und die Linke: "Wir möchten eine Zielgruppe ansprechen, die wir über die anderen 'klassischen' Kanäle und auch über Facebook und Co nicht mehr erreichen." Und Spaß macht Snapchat manchen Politiker*innen auch noch. Kein Wunder, denn wo sonst gibt es Politik mit springendem Seehofer, Katzengesichtern und hunderten Emojis?