Sie erlebten das Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und überlebten den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sie waren dabei, als sich die Tschechoslowakei teilte und sie sich nach 40 Jahren hinter dem Eisernen Vorhang – am 1. Januar 1993 – in einem eigenen Nationalstaat wiederfanden. In dem über 100-jährigen Leben der porträtierten Tschech*innen ist einschneidende Weltgeschichte geschehen, mit der ganze Bücher gefüllt wurden – und immer noch werden.Jan Langer ist ein 39-jähriger Fotograf aus Tschechien. Auf die Idee, die Gesichter von Menschen damals und heute zu vergleichen, kam er zufällig. Im Jahr 2010 sollte er ältere Landesbürger*innen für einen Beitrag über das tschechische Gesundheitssystem auf einer News-Webseite porträtieren. Bei seinem ersten Shootingtermin zu Hause bei einer über 100-jährigen Frau holte sie während des Kennenlernens eine Box hervor. Es war eine Box voller alter Porträts und Familienfotos, die sie eines nach dem anderen präsentierte. Sie begann, von Erlebnissen aus ihrer Kindheit und Jugend zu erzählen, und sich an Dinge, die mehr als 80 Jahre vergangen waren, zu erinnern. "Die Zeit verging so schnell. Als wäre es nur eine Sekunde gewesen", sagte sie irgendwann und wurde nachdenklich.

Als sie wenig später ein Studioporträt von sich aus den 1930er Jahren hervorholte, klickte es bei Langer. Was, wenn er ein ähnliches Porträt zum Vergleich schießen würde? Mit all den Dingen, die inzwischen passiert waren und Spuren auf ihrem Gesicht hinterließen. Er erzählte ihr von der Idee, sie war begeistert. Faces of Century begann.

Persönlichkeitsmerkmale verändern sich im Laufe des Lebens, aber individuelle Wesenszüge scheinen abseits der Zeit verwurzelt zu sein.
Jan Langer

In den darauffolgenden vier Jahren machte es sich Langer zur Aufgabe, Menschen zu finden, die mindestens 100 Jahre alt waren, um sie von einem Porträt zu überzeugen. Das erwies sich als kompliziert. Denn nur wenige der insgesamt 1.200 100-Jährigen in der tschechischen Republik wollten mitmachen oder hatten ein unversehrtes Porträt aus der Vergangenheit übrig. Fand er aber jemanden, versuchte er, die neu geschossenen Fotos den Originalaufnahmen anzupassen. Die Lichtverhältnisse, die Körperposition, die Gesichtsausdrücke sollten so getreu wie möglich nachgestellt sein.

Mit dem Ergebnis will Langer nicht den Alterungsprozess verunglimpfen. Vielmehr wolle er die Betrachter*innen zum Nachdenken über das eigene Leben anregen. Denn jeder Mensch komme irgendwann an einen Punkt, an dem er sein Leben evaluiert und sich fragt: Hatte ich ein gutes Leben? Habe ich es so gelebt, dass es mich und andere glücklich gemacht hat? Bin ich damit zufrieden oder bereue ich, gewisse Entscheidungen getroffen zu haben?

Die Porträts übermitteln eindrucksvoll, wie sich das menschliche Antlitz im Laufe eines ganzen Lebens verändert. Andersrum sind es die Gesichter von über 100-Jährigen, die uns zeigen, dass wir trotz dieser großen physischen Veränderungen durch das Altern immer wir selbst bleiben.