Darf ich mich eigentlich um mein Bankkonto sorgen, während die Meeresspiegel steigen, die Wirtschaftskrise Griechenland vernichtet und die Terrorgruppe "Boko Haram" Nigeria terrorisiert? Die Welt ist voller Probleme, aber wir müssen unsere Prüfungen bestehen, das nächste Praktikum finanzieren, etwas finden, mit dem wir unser Leben verbringen können, ohne verrückt zu werden und nebenbei werden unsere Eltern beunruhigend alt. #firstworldproblems nennt das Internet diese Sorgen und das klingt irgendwie, als seien sie nicht so wichtig. Sie sind aber wichtig.

Ich war 15 und gerade damit beschäftigt, möglichst unauffällig die Nummer meines Ex-Freundes herauszufinden, weil ich sie gelöscht hatte aber noch immer total verknallt war, als das World Trade Center angegriffen wurde. Als Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden zehn Jahre später erschossen wurde und die Welt vor Racheakten zitterte, heulte ich mir tagelang die Augen aus, weil ich in meinem Praktikum schlecht war und nicht wusste, ob ich für dieses Journalismus-Ding, das ich so gern zu meinem Beruf machen wollte, nicht viel zu dumm und unfähig war.

Ich fühlte mich schlecht und schuldig und egoistisch und verdammt pleite.

Und beim Amok-Lauf in der Redaktion des Magazins "Charlie Hebdo" versuchte ich gerade, das Arbeitsamt davon zu überzeugen, dass ich erstens Arbeitslosengeld brauche und zweitens einen Gründungszuschuss und das wenigstens eines von beidem, drittens, bitte ganz schnell kommen muss, weil ich sonst wahrscheinlich verhungere. Eine Freundin nennt das "Puls haben"; ich hatte eine Panikattacke von etwa drei Monaten und lief am Abend der Anschläge mit einem Freund bei einer Mahnwache auf und ab und wälzte Probleme. Ich fühlte mich schlecht und schuldig und egoistisch und verdammt pleite.

Die großen Themen in der Welt sind andere als meine. Klimawandel, Wirtschaftskrisen, Konflikte, danach fragen Forschungsinstitute wie das PEW Research Center. Und die Daten verraten: Das sind vor allem die Sorgen der Älteren.

Es ist nicht mein Job, Wladimir Putin zur Vernunft zu bringen und ich wüsste auch wirklich nicht, wie ich das anstellen soll.

Ich mache mir Gedanken um die Probleme in der Welt. Ständig. Aber ich mache mir eben auch Gedanken um meine eigenen. Und ich staune, wenn am Abend in der Bar leidenschaftlich über die Lösung von Grenzkonflikten diskutiert wird. Im ersten Semester hatte ich auch noch eine Idee, wie ich die Wirtschaftskrisen dieser Welt beenden kann. Es hat mich auch gewundert, dass noch niemand auf meine Ideen gekommen ist. Im zweiten Semester lernte ich: alles nicht so einfach. Schade.

Es ist nicht mein Job, Wladimir Putin zur Vernunft zu bringen und ich wüsste auch wirklich nicht, wie ich das anstellen soll. Deshalb ist das der Job von Angela Merkel und wenn wir ehrlich sind: So richtig gut läuft das auch bei ihr nicht.

Die Probleme der Welt sind so verdammt groß und meine sind so verdammt klein. Und sie betreffen gefühlt: nur mich. Tatsächlich betreffen sie wohl viele Menschen meines Alters. Diese Erkenntnis sickerte ein, als ich irgendwann lernte, mit meinen Freunden über Ängste zu sprechen.

Entschuldigung, aber ich habe doch keine Angst vor dem Leben.

Die Sorgen werden davon nicht kleiner, aber sie fühlen sich ein wenig alltäglicher an. Unspektakulärer. Es geht ja schließlich allen so.

Also sind wir jetzt eine überfordert mit all unseren Chancen; so schreibt es die "Welt" unter dem Titel "Die Generation Y hat Angst vor dem Leben". Wie bitte? Entschuldigung, aber ich habe doch keine Angst vor dem Leben. Ich habe wahnsinnig Lust darauf, warum sollte ich sonst morgens überhaupt aufstehen?

Ich habe Angst, dass ich in meiner neuen Stadt keine engen Freunde finde. Ich habe Angst, dass ich nie schwanger werde und dann mein Privatleben ruiniert ist. Ich habe Angst, dass ich zu früh schwanger werde und dann mein Berufsleben ruiniert ist. Ich habe Angst, dass ich alles kriege, was ich will, es dann aber verkacke. Ich habe Schuldgefühle, weil diese Sätze alle mit "ich" anfangen.

Weil diese ganzen Möglichkeiten immer mit sich bringen, dass man es verbockt und ich will es nicht verbocken.

Und das ist ja wohl verdammt normal. Hätte ich vor 50 Jahren gelebt, ich hätte meine Heimatstadt wahrscheinlich nie verlassen. Ich hätte geheiratet, Kinder bekommen und den Rest meines Lebens als Dienstmagd meines Mannes gearbeitet. Und vielleicht hätte ich dann sogar Kapazitäten gehabt, mir über die Lage der Nation, der Welt oder meiner Nachbarn Gedanken zu machen.

Vielleicht wäre es auch ganz anders gekommen, ich weiß, es gab immer Ausnahmen besonders starker Frauen und ich hätte ja eine sein können. Aber dann hätte ich auch Angst gehabt. Weil diese ganze Möglichkeiten immer mit sich bringen, dass man es verbockt und ich will es nicht verbocken. Ich habe keine Angst vor dem Leben. Ich habe den nötigen Respekt.