Abenteuer und Ungewissheit, das klingt spannend. Aber selber den Daumen raushalten? Bei jemandem einsteigen, der mir völlig fremd ist? Ich liebäugelte zwar schon immer mit dem Trampen – es hat was Verwegenes, ein bisschen Hippie, Freiheit und so, – aber irgendwie passte es einfach nicht in meine Lebensrealität.

Bis ich Chris und Nina traf.

Die beiden begegneten mir vergangenen Sommer an der Grenze zu Österreich. Meine Freundin und ich waren auf dem Rückweg aus dem Italienurlaub und machten eine kurze Raststätten-Pause. Da kam Chris auf uns zu und fragte, ob wir sie bis nach Innsbruck mitnehmen könnten. Das Pärchen wirkte sympathisch, also warum nicht?

Wir verstanden uns auf Anhieb, hörten während der Fahrt Musik, sangen und machten Witze. Sie erzählten, dass sie schon seit zwei Wochen durch Deutschland, Frankreich und Italien getrampt wären und am selben Abend von Innsbruck aus noch weiter nach Hause – nämlich Prag – wollten. Wir boten an, sie bis nach Ulm mitzunehmen. Chris und Nina freuten sich, schließlich waren sie schon eine ganze Weile unterwegs.

Am Ende übernachteten die beiden bei uns. Am nächsten Morgen brachten wir sie an eine Raststätte, von wo aus sie weitertrampten. Meine Freundin und ich waren um zwei neue Freunde reicher. Und um eine Einladung nach Prag.

Trampen als wichtige Lebenserfahrung?

In den 60er-Jahren standen fast überall an Autobahnauffahrten und Landstraßen Tramper, es gab einen regelrechten Boom. Ein eigenes Auto hatten die wenigsten jungen Menschen, man wollte möglichst günstig und einfach von A nach B kommen.

Also stellte man sich an den Straßenrand – hinten in die Schlange der Wartenden, – hielt den Arm raus und winkte, bis jemand anhielt. Die Protesthaltung der 68er-Generation führte dazu, dass noch mehr Menschen mit Schildern in den Händen an den Raststätten um eine Mitfahrgelegenheit buhlten. Und konservative, besorgte Eltern wollten ihren Kindern das "gefährliche Reisen per Daumen" verbieten.

Doch trotz aller Skepsis und wenigen Meldungen über Straftaten überwogen für viele die Vorteile, darunter vor allem der Kontakt zu anderen.

Das neue Trampen

In den 90ern traf man Tramper dann seltener an, anstehen mussten sie längst nicht mehr. Infrastrukturen hatten sich verbessert, Interrail, Mitfahrzentrale und Co. waren im Kommen.

Heute sind Tramper eher eine Seltenheit. Verschiedene Medien, unter anderem der Freitag, schrieben bereits, die Tramper wären ausgestorben und für immer von den Straßen verschwunden.

Sie stehen an der Datenautobahn

Aber: Es gibt sie noch! Nur läuft das mittlerweile eben anders als damals. Wie vieles ist Trampen inzwischen vor allem ein digitales Community-Ding geworden und fest im Internet verankert.

Es gibt Wikis, Foren, Blogs und Ratgeberseiten. Das Hitchwiki beispielsweise bietet über 1.200 deutschsprachige Artikel an: Hilfestellung für den ersten Trip, Trampstellen, Sicherheits-Tipps.

Die Hitchbase ist eine Ortsdatenbank mit hunderten Einträgen, nach Ländern sortiert und genauer Beschreibung der Stellen, von denen aus die Tramper gut weiterkommen.

Es geht auch um den Austausch persönlicher Erfahrungen, um die kleinen Geschichten, die es wert sind, weitererzählt zu werden. In seinem Hitchlog berichtet beispielsweise Sandro von seinen Reisen per Anhalter, quasi ein Online-Tramp-Tagebuch.

Sogar eine Art Facebook für Tramper gibt es: Trustroots hat in knapp zwei Jahren über 10.000 Mitglieder gewonnen. Sie können ein Profil anlegen, auf dem sie ihre Geschichten und Reisevorlieben posten, sich über alle alternativen (kostenlosen) Arten des Reisens austauschen und Gleichgesinnte finden.

"We encourage trust, adventure and intercultural connections."

Die Macher von "Trustroots" auf ihrer Website

Und weil es heutzutage ja für alles eine App gibt, stellt der Autor Timo Peters auf seinem Blog die besten Apps für Tramper vor.

Mehr als nur Verkehr

Es scheint, als hätten die Tramper im Internet ihren großen gemeinsamen Parkplatz, ihren Ausgangspunkt, gefunden. Von dort aus organisieren sie sich. Und zwar längst nicht mehr nur, um von A nach B zu kommen.

"Das Internet hilft uns, den Trend oben zu halten", sagt Jona Redslob, Vorsitzender des Vereins Abgefahren. Er sagt, er trampe so, wie andere Bus fahren. "Ich habe bisher sicher weit über 100.000 Kilometer per Anhalter zurückgelegt."

Sucht nach dem Erlebnis

Aber was ist das, was alle Tramper verbindet?

"Abenteuerlust", sagt Redslob spontan. "Es ist wirklich möglich, heute von Deutschland aus loszufahren und mit etwas Glück morgen in Spanien zu sein. Kostenlos."

Auch die Mitglieder der Facebook-Gruppe Hitchhiking Europe antworteten ähnlich auf die Frage nach dem warum sie trampen. "Es ist die beste Art zu reisen, wenn du neue Leute kennen lernen, Landschaft genießen und Abenteuer haben willst. Du lernst, spontan zu werden", schreibt Daniel.

Kartis beschreibt seine Gefühle so: "Ganz einfach – das ist Freiheit. Auf der Straße fühle ich mich zu Hause."

Und Sissi erzählt: "Es macht einen Trip viel interessanter, verschafft ein immenses Gefühl der Freiheit, bringt dich an zufällige Orte, lässt dich tolle Menschen kennenlernen. Ich mache das schon seit über 15 Jahren. Und obwohl mein Zeitplan straff ist – aus diesen Gründen werde ich es immer wieder tun."

"Aber Trampen ist doch gefährlich!"

Ein Gerücht über das Trampen hält sich jedoch hartnäckiger als das Trampen selbst: Es sei supergefährlich. Dabei widerlegten das schon vor geraumer Zeit zwei Studien. 1974 stellte die California Highway Patrol kein höheres Risiko dafür fest, beim Trampen Opfer von Gewalt zu werden. Auch das Bundeskriminalamt Wiesbaden fand heraus, dass Trampen weniger gefährlich sei als gedacht – und forderte 1990 sogar, die private Mitfahrer-Mitnahme in umweltschonende Verkehrskonzepte aufzunehmen.

Aktuelle Untersuchungen des BKA zum Trampen gibt es nicht. "Ich wurde schon seit 20 Jahren nicht mit dem Thema konfrontiert", sagt ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei. Tramper könnten ja vorher prüfen, zu wem sie ins Auto steigen. Andreas Mayer, Direktor der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, rät: "Schicken Sie zur Sicherheit das Autokennzeichen oder ein Bild davon an ein Familienmitglied oder eine Freundin."

Auch Jona Redslob sorgt vor: "Es ist immer besser, zu zweit zu fahren." Tatsächlich bestehe die größte Gefahr beim Trampen darin, bei einem Unfall verletzt zu werden. "Trampen ist weitaus ungefährlicher, als viele Leute annehmen", sagt Redslob.

Auch ich gehörte zu den Leuten, die dachten, Trampen sei gefährlich. Jetzt sehe ich das anders. Meine Freundin und ich trampten nämlich auf Einladung von Chris und Nina hin tatsächlich nach Prag.

Wir brachen dabei ungeschriebene Regeln ("Beginne nie am Abend mit dem Trampen!"), bekamen Unterstützung von Kraftfahrern, hatten viele interessante Gespräche und kamen irgendwann todmüde, aber überglücklich und voller neuer Erfahrungen in der tschechischen Hauptstadt an.

Als wir nach einem ereignisreichen Wochenende wieder zu Hause waren, fragte meine Freundin ungeduldig: "Und, wo trampen wir als nächstes hin?" Wir wissen es noch nicht genau. Vielleicht nach Spanien. Vielleicht nach Amsterdam. Vielleicht auch nur nach ins nächste Dorf. Aber klar ist: Dieser Trip per Daumen wird nicht unser letzter gewesen sein.