Vier Jahre lang durchforsteten Klaus Pichler und Clemens Marschall die Wiener Kneipenszene. Am Ende entstand der Bildband The Golden Days Before They End, der die aussterbende Eckkneipen-Kultur festhält.Als junger Mensch stolpert man meist nach einer durchzechten Nacht, von der man nicht will, dass sie schon endet, in sie. Dunkle Trinkhallen mit blinkenden Open 24h-Schildern in den Fenstern. Der Mensch hinter der Bar unterbricht kurz das Polieren beschlagener Gläser. Die hölzernen Barhocker sind hart unterm Arsch. Eine Jukebox dudelt in der Ecke. Spielautomaten blinken im hinteren Barbereich. Aus allen Ritzen dringt der Geruch von Ranz und zu wenig Frischluft. Je nachdem, woher man kommt, nennt man diese Orte anders. Bierlokal. Trinkhalle. Veedel. Boazn. Eckkneipe.

Doch in allen Ecken Deutschlands sind diese Orte vom Aussterben bedroht. Sie werden verdrängt durch junge, hippe Szenebars, mit künstlich wirkenden Vintage-Charme und jutebeutel- und nasenpiercingtragender Bevölkerung. Das Aussterben dieser Institution "proletarischer Kultur", wie es Freitag-Autor Marc Peschke nannte, ist kein deutsches Phänomen. In Wien heißt die Eckkneipe "Beisl" und auch dort wird sie zunehmend von Etablissements mit Bio-Limos und WLAN im Sortiment verdrängt.

The Golden Days Before They End

Der Journalist Clemens Marschall und der Fotograf Klaus Pichler dokumentieren mit ihrem Bildband The Golden Days Before They End eine Szene, die es so vielleicht nicht mehr lange geben wird. Vier Jahre lang waren Pichler und Marschall in Wien unterwegs, schrieben die Geschichten von Stammgästen und Wirt*innen auf und hielten ihre Gesichter auf Fotos fest.

Auf die Frage, was die beiden so an diesen Lokalen fasziniert hat, antwortet Pichler: "Alkohol ist zwar der Kitt, der alles zusammenhält. Aber diese Ort sind auch eine Art Nachbarschaftszentrum für unterprivilegierte Leute. Das sind nicht einfach nur Lokale, sondern soziale Anlaufstellen. Hier finden sie Menschen, mit denen sie reden können. Für viele Leute, die niemanden mehr haben, der sich um sie kümmert, bieten die Beisln oft eine Art Familienersatz. Und wenn diese Anlaufstellen weg sind, dann wird es relativ schwierig für diese Leute, noch Anschluss zu finden."

Die Bilder wirken inszeniert. Aber nicht Pichler war der Regisseur der Fotos. Die Abgebildeten konnten selbst bestimmen, was sie ihm zeigen wollten. "Improvisationstheater", nennt es Pichler. Die Fotos romantisieren nicht. Man sieht den Beisl-Gänger*innen die vielen durchzechten und durchqualmten Rauschnächte an. Man riecht förmlich den Geruch von abgestandenem Bier und kaltem Rauch.  "Als wir die fertigen Fotos gesehen haben, haben wir zuerst ein bisschen Bauchweh gehabt und uns gefragt: Sind die Bilder zu hart? Wie wird das ankommen?", erzählt Pichler.

"Wenn man ein solches Milieu porträtiert, kommt oft der Vorwurf des Voyeurismus auf. Doch was man bei der Debatte immer vergisst: Ein Foto kann genauso ein gestreckter Mittelfinger sein. Es kann sagen: 'Schaut her, so leben wir'. Die Menschen wissen ganz genau, in welcher Schicht sie sich bewegen." Die Voyeurismus-Diskussion würde Pichler zufolge meistens von Leuten angestoßen werden, die selber nie in solche Kneipen gehen würden und keine Ahnung von den Befindlichkeiten der Leute hätten. "Die wollen die scheinbar Unterprivilegierten vor sich selbst beschützen. Aber dabei bevormunden sie sie und sprechen ihnen ihre eigene Stimme ab. Das ist eine zutiefst eklige und sich selbst erhöhende Geste."

Sowohl Stammgäste als auch Wirt*innen hätten sich meistens darüber gefreut, wenn Marschall und Pichler in die Kneipe kamen und von ihrem Projekt erzählten. In vielen abgelichteten Beisln liegt der fertige Bildband inzwischen am Tresen aus. Nach ihrer vierjährigen Tour durch die Wiener Trinkhallenszene gehören die zwei inzwischen selbst zur Stammkundschaft einiger Läden dazu.

Auf die Frage, warum es schade wäre, wenn die Eckkneipe ausstirbt, antwortet Pichler: "

Ich habe das Gefühl, diese Lokale sind Orte, in denen nicht gefragt wird, wer man ist und woher man kommt. Solange man sich zu benehmen weiß und irgendwas Sinnvolles beitragen kann, ist man willkommen. Unabhängig von Alter, sozialer Schicht, Bildungsstand, Hautfarbe, und so weiter. Diese Kategorien, die für die Außenwelt so wichtig scheinen, ist in diesem Milieu ganz egal."