Max und Lisa sind seit fast zwei Jahren zusammen. Sie sind eines dieser Pärchen in meinem Freundeskreis, von denen man glaubt, dass sie, kaum ist die Wohnungstür zu, sich sofort die Kleidung vom Leib reißen und schon im Flur übereinander herfallen.

Nun sitzt mir Max gegenüber und gesteht, dass das schon lange nicht mehr so ist. "Am Anfang, klar", Max grinst, "aber mittlerweile möchte sie abends immer lieber fernsehen, oder ist zu müde, oder hängt so intensiv an ihrem Handy, dass ich mich gar nicht traue, sie anzufassen, weil ich glaube, sie will es gar nicht."

"Das hätte ich nicht gedacht", denke ich als erstes. "Aber das kann ich ja nicht sagen", denke ich dann. Also frage ich Max: "Hast Du sie denn mal drauf angesprochen?" "Schon. Aber sie meinte einfach nur, dass sie halt keine Lust habe. Hätte nichts mit mir zu tun. Allein dieser Satz!" Max schüttelt den Kopf: "Meinst Du, das ist normal? Und muss ich das jetzt einfach so hinnehmen?"

Frust mit der Lust

"Normal" ist ja keine Kategorie beim Sex. Aber zumindest ungewöhnlich ist Max’ Problem nicht. Gerade in längeren Beziehungen erleben es viele Paare: Die Lust auf Sex nimmt ab. Der*die Partner*in will einfach nicht mehr so häufig.

Schwindende Lust kann viele Gründe haben. Eine Krankheit kann der Auslöser sein, die Einnahme bestimmter Medikamente, psychische Probleme. Manchmal ist es aber auch einfach Stress oder Müdigkeit.

Aber was, wenn es keine körperlichen Ursachen für die fehlende Lust gibt? Wenn sie lange andauert? Wenn die oder der Partner*in abends einfach lieber auf dem Sofa liegt, statt Sex zu haben?Wen man auch fragt, die häufigste Diagnose lautet: In längeren Beziehungen passiert das halt. Die Leidenschaft nimmt ab, Sex wird weniger. Nichts Besonderes. Also doch alles normal? Ich bin skeptisch. Denn dann würde die Lust ja bei beiden Partner*innen zugleich abnehmen und nicht eine*n von beiden frustriert zurücklassen.

Er*sie will - er*sie nicht

Die Paartherapeutin Helga Odendahl hält von dieser Theorie ebenso wenig. Sexuelle Flaute als notwendige Begleiterscheinung längerer Beziehungen? "Das ist Quatsch", erklärt Odendahl entschieden. Sex sei ein ganz normaler Trieb, "wie essen und trinken". Ein Trieb, der durch Nähe geweckt wird und sich nicht einfach so verabschiedet.

Ich bin allerdings immer noch skeptisch. Denn dass der Sex in jeder Beziehung auf Dauer zumindest weniger wird, scheint doch allen so zu gehen, oder? Sicher hätten Paare zu Beginn der Beziehung in der Regel ziemlich viel Sex, meint Odendahl, das ließe in der Tat mit der Zeit nach. Zu Beginn seien wir eben noch stark von Hormonen beeinflusst, außerdem sei Sex ja auch Bestätigung. Und die bräuchten wir am Anfang halt mehr. Aber grundsätzlich, meint die Paartherapeutin, verschwinde Lust nicht einfach. Sie erklärt es wieder mit einem Essensvergleich: "Man isst ja auch, wenn man keinen Wahnsinnshunger hat."

Gemeinsam essen ohne Bärenhunger

Mir schwant nichts Gutes. Wenn ein*e Partner*in also keine Lust mehr hat, ... "Dann hat das was mit der Beziehung zu tun", beendet Odendahl meinen Satz. Sie sieht es ganz sachlich: Sex sei eine Form, Kontakt und Nähe herzustellen. Und wenn Nähe vermieden wird, aus Angst, aus Zurückhaltung oder Ablenkung, dann gehe eben auch die Lust verloren. Dann stimme also etwas mit der Kommunikation in der Beziehung nicht.

Das sind klare Worte und ich überlege jetzt schon, wie ich das behutsam Max beibringen kann.

Aber das Entscheidende, beruhigt mich Odendahl, sei ja auch gar nicht die Häufigkeit des Sex'. Wenn ein Paar mit dreimal Sex im Jahr zufrieden sei, wäre ja alles in Ordnung. Es wird erst ein Problem, wenn eine*r damit ein Problem hat.

Dass sich vor allem Männer über die fehlende Lust ihrer Partnerin beschwerten, erlebe sie im Übrigen nicht. Frauen tendieren nur dazu, die fehlende Lust weniger zu problematisieren. Aber Männer hätten genauso mit fehlender Lust zu tun.

Wenig Lust auf Sex ist nur dann ein Problem, wenn man ein Problem damit hat

Wenig Lust auf Sex ist also nur dann ein Problem, wenn man ein Problem damit hat. Das klingt natürlich einleuchtend, aber ich muss wieder an Max denken. Denn der hat ja nun mal ein Problem damit. Wie kann man also Max und Lisa helfen?

Helga Odendahl hat einen sehr pragmatischen Tipp, der mir schon sprachlich gut gefällt: "Paare sollten sich sexuell besser versorgen."

Es müssten ja beim Sex zum Beispiel nicht immer beide Partner*innen zum Orgasmus kommen. Will sagen: Sex zu haben, heißt nicht, jedes Mal das ganze Ballett durchzuführen. Es müsste auch nicht zur Penetration kommen, wenn der*die eine darauf weniger Lust habe. Es reiche oft schon, wenn eine*r von beiden einfach befriedigt wird – also "sexuell versorgt".

Sexuelle Versorgung ist sicherlich wichtig, ist aber auf Dauer auch nicht wirklich sexy. Was können Paare denn machen, damit die Lust an sich mehr wird? Nach Odendahl hat Lust drei Zutaten: Nähe, Zeit und eine gute Beziehung. Wer mehr Lust will, muss in seine Beziehung investieren. Es sei wie mit allem, was uns wichtig ist. Wir müssen in unserem Leben Platz dafür schaffen. Je mehr Zeit wir uns für uns selber nehmen, desto mehr Möglichkeiten haben wir, schöne Dinge zu genießen. Das sei beim Sex nicht anders.

Nähe und Zeit also. Es war klar, dass es keine ganz einfach Lösung für Max’ Problem geben würde. Aber die beiden können was dran machen. Keine Lust muss nicht sein. Und das ist doch schon mal etwas.