"Da ist dieser Typ, weißt du? Wir haben uns im Club kennen gelernt. Er hat mich angelabert, wir haben Nummern ausgetauscht. Am nächsten Tag hat er sich sofort bei mir gemeldet und jetzt schreibt er plötzlich nicht mehr. Ich checks einfach nicht!" Frustriert blicke ich meine Freundin Katja an und erwarte, dass sie irgendwas sagt von wegen "So ein Honk" oder "Vielleicht ist er ja einfach nur busy!" oder zumindest mit den Augen rollt. Aber nichts. Katja schaut mich nur mit leerem Blick an und schweigt

"Das ging doch von ihm aus! Wieso kommt da plötzlich nichts mehr?", starte ich einen zweiten Versuch. Wieder keine Reaktion. Gerade will ich Katja fragen, ob sie sich nicht mehr für mich und mein Leben interessiert, aber bevor ich etwas sagen kann, wechselt sie das Thema. Sie erzählt von ihrem Freund, mit dem sie jetzt seit sieben Jahren zusammen ist und dass die beiden zusammen ziehen wollen. "Dann werden deine Wochenenden ab jetzt ja noch spannender", denke ich. Freitag: Fernsehabend mit Schatzi. Samstag: Fernsehabend mit Schatzi. Sonntag: Fernsehabend mit Schatzi.

Es ist ein schleichender Prozess gewesen. Entfremdung passiert ja nicht von heute auf morgen. Aber mit jedem Jahr, dass Katja länger mit ihrem Freund zusammen ist – ihr erster wohlgemerkt, sie kennen sich, seit sie 18 sind – und ich Single bin, haben wir uns weniger zu sagen. Ich spüre, dass sie nicht mehr nachvollziehen kann, wie es ist, alleine zu sein, wie es ist, einen Korb zu kriegen, wie es ist, jemanden zu daten – mit all den Kopfwirrungen, Ängsten und Herzflattereien, die man dabei spürt.

Katja interessiert das alles nicht. Es hat mit ihrer Lebenswelt nichts zu tun. Für sie zählen Fragen wie: Wann wird mir mein Freund endlich einen Heiratsantrag machen? Wann wollen wir Kinder haben? Und wie viele? Ich hingegen zucke bereits zusammen, wenn ich das Wort "Baby" nur höre.

Herzensfreunde und Durchschnittsfreunde

Ist meine Freundschaft zu Katja noch zu retten? Ich beschließe, einen Experten zu fragen, den Psychiater und Freundschaftsforscher Dr. Wolfgang Krüger aus Berlin. "Das Gemeinsame ist in einer Freundschaft immer das eigentlich Tragende", erklärt er mir. "Wenn die Lebensschwerpunkte auseinanderdriften, werden nur jene Freundschaften bestehen bleiben, die klassische Herzensfreundschaften sind." Damit meint er Freundschaften, die von gemeinsamen Gesprächsthemen getragen werden, die unabhängig von der jeweiligen Lebenswelt sind. Liebe, Werte, Sinnfragen, Probleme.

Freundschaften leben davon, dass man Interesse am anderen hat und viele Fragen stellt."

"Wenn ich diese Ebene in einer Freundschaft erreicht habe, ist es egal, ob man in derselben Stadt lebt oder ob der eine ein Kind hat und der andere nicht", betont Dr. Krüger. Haben die Gesprächsthemen jedoch keinen wirklichen Tiefgang, sondern speisen sich lediglich aus einem gemeinsamen Kontext, sprich Uni, Schule, Arbeit, dann bröckeln diese Freundschaften häufig, sobald der Common Ground wegbricht.

Was Herzensfreundschaften noch von Durchschnittsfreundschaften unterscheidet, ist ein großes Maß an Sympathie und Offenheit. "Das ist sozusagen die Kernkompetenz", sagt Dr. Krüger. "Freundschaften leben davon, dass man Interesse am anderen hat und viele Fragen stellt."

Aussprache zwecklos

Auf Katja und mich bezogen heißt das dann wohl, dass es keinen Sinn macht, noch länger an der Freundschaft festzuhalten. Denn wenn sie zur Kategorie Herzensfreundin gehören würde, würden wir uns ja weiterhin füreinander interessieren – Beziehungsstatus hin oder her. Stattdessen gehen uns die Themen aus. Ich kann mit ihrem Leben nichts anfangen und sie nichts mit meinem. Da hilft auch keine Aussprache und keine Rettungsmaßnahme.

Natürlich können wir versuchen, dem anderen unsere Lebenswelt näherzubringen, indem wir genau schildern, was in uns vorgeht. Manchmal denke ich, es müsste doch Codes geben, um das gegenseitige Einfühlungsvermögen zu reaktivieren und verloren gegangenes Mitgefühl wieder hochzuholen. Bestimmte Erfahrungen und Gefühlswelten lassen sich aber einfach nicht vermitteln.

Das glaubt auch Dr. Krüger. Beispielsweise wird jemand, der plötzlich Karriere macht und wohlhabend ist, während der Kumpel von früher mit einem Hungerlohn klarkommen muss, diesem nie klarmachen können, wie es sich anfühlt, reich zu sein. Gleiches gilt für Freundinnen, von denen eine berufsmäßig durch die Welt jettet, während die andere im Heimatdorf geblieben ist.

Halten wir fest: Freundschaften können durchaus funktionieren, auch wenn die Lebenswelten nicht mehr kollidieren, allerdings nur, wenn es wirkliche Herzensfreundschaften sind, sie also eine große Nähe und Vertrautheit aufweisen. Geschwisterlichkeit nennt Dr. Krüger das. So genannte Durchschnittsfreundschaften werden weitreichende Umwälzungen im Leben des einen oder anderen eher nicht überstehen.

Vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Wenn es Lebensabschnittspartner gibt, warum dann nicht auch Lebensabschnittsfreunde. Eine gegenseitige Bereicherung auf Zeit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.