2009 gründete Phil Daub die erste "Nett-Werk"-Gruppe in Köln. Für nette Menschen, die sich Essenstipps und Lebenshilfe geben, alte Möbel verschenken oder ihre Clubbegegnung wiederfinden wollen. Bei der einen regionalen Gemeinschaft der Selbstlosen sollte es nicht bleiben: Inzwischen betreuen Daub und seine Mitstreiterinnen Esther Lorenz und Kirsten Olsen circa 30 Städte-Netzwerke mit mehr als 350.000 Mitgliedern in ganz Deutschland. Ihre Admin-Arbeit wuppen sie in der Freizeit, aus Spaß an der Sache. Doch Spaß macht die Arbeit manchmal nicht mehr. Nach den Ereignissen der Silvester-Nacht in Köln gab es in der "Nett-Werk"-Gruppe wütende Hetzposts gegen Flüchtlinge. Das Trio kam mit dem Löschen der Beiträge nicht mehr nach – und schloss das "Nett-Werk". Inzwischen ist es wieder verfügbar, doch in allen Gruppen zeichnet sich laut Phil Daub eine beunruhigende Tendenz ab: Die akuten politischen Erschütterungen – die Sorge um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, das Erstarken einer bürgerlichen Rechten – zeichnen sich auch in den Gruppen ab. Nettsein fällt immer schwerer.

ze.tt: Phil, was sind im Moment die wichtigsten Themen, die eure 350.000 Mitglieder in den "Nett-Werk"-Gruppen umtreiben?

Phil Daub: Gerade jetzt an Karneval werden viele Smartphones verloren und gefunden. Es kommt auch häufiger vor, dass Leute jemand Nettes in der Bahn gesehen haben und sie oder ihn wiederfinden wollen. Bei den mittelalten Damen ist es wiederum sehr angesagt, die gemachten Nägel zu zeigen. Und immer wieder wird statt zu googlen nach den Öffnungszeiten von Läden gefragt. Alle regen sich darüber auf, aber die Leute wollen offenbar nicht googlen, sondern suchen das direkte Feedback von den Usern. Und direktes Feedback gibt's bei der Größe unserer Gruppen garantiert.

Das Feedback fällt aber nicht immer positiv aus. Nach Silvester habt ihr eure Köln-Gruppe geschlossen. Welche politischen Ansichten haben euch dazu gebracht?

Was in der Gruppe stattgefunden hat, war nicht politisch, sondern hoch emotional. Es gab viele Unmuts-Äußerungen, die Kommentare waren extrem ausländerfeindlich. Das war keine politische Diskussion, sondern Eskalation.

Gab es die ausländerfeindliche Stimmung ausschließlich auch im Kölner "Nett-Werk"?

Die gab es auch in anderen Gruppen wie Düsseldorf oder Berlin, aber nicht in dem Maße. Wir haben vor zwei, drei Jahren schon gesagt, dass politische Diskussionen draußen bleiben, das steht auch als Richtlinie in jeder Gruppe. Aber daran halten sich viele Nutzer nicht.
Wann löscht ihr?

Wir löschen relativ strikt und schnell. Wir haben uns das Nettsein auf die Fahne geschrieben, nur ist das Nettsein interpretationswürdig. Wenn eine Gruppe viele Mitglieder hat – und in Köln ist es ja so gut wie jeder registrierte Facebook-Account – dann sind auch viele Nutzer dabei, die einfach nur dabei sein wollen, weil alle da sind, aber gar nicht hinter der Idee stehen. Irgendwann wird man selbst bei der Administration unnett, weil wir ja nicht jedem User eine Begründung schreiben können. Es wird immer schwerer, die oberste Regel des "Nett-Werks" konsequent durchziehen.
Aus den Medien erlebt man Deutschland zurzeit als ein Land, das durch die große Zahl der Flüchtlinge, Mausrutscher der AfD, durch Pegida, das Chaos am Lageso und die Ereignisse in Köln auf mehreren Ebenen verunsichert ist. Es scheint etwas im Argen zu liegen. Ist das Klima auch im "Nett-Werk" heute ein anderes als zu seiner Gründung?

Ja, definitiv. Der allgemeine Umgang im Netz ist eh schon schwierig, weil die Leute mit diesem noch jungen Medium, dieser noch jungen Kultur, nicht richtig umgehen können. Die Anonymität verleitet sie zu einem sehr, sehr harschen Ton, gerade wenn es um politische Debatten geht. Das wird nun immer extremer, die Menschen haben eine immer kürzere Lunte, schnell wird es emotional, rechthaberisch und unnett. Es wird mehr die Meinung verkündet als zugehört, das ist ein immer größeres Problem. Am Anfang wollten wir die Leute zusammenbringen und nur gelegentlich nach dem Rechten schauen. Das ist im Moment sehr schwierig, wir müssen wie eine Polizei eingreifen und zurechtweisen.
Das klingt ziemlich ernüchternd. Aber ihr macht weiter?

Auf jeden Fall. Ich glaube weiterhin an die Idee des Nettseins. Aber die Arbeitslast wird für die Administratoren und Helfer immer größer. Seit zwei Jahren habe ich den Plan, das Ganze zu professionalisieren. Die Plattform soll auf keinen Fall kostenpflichtig werden, aber wir wollen das Ganze irgendwie monetarisieren. Wenn man schon angepöbelt wird und ein dickes Fell zeigen muss, dann soll man dafür auch wenigstens ein bisschen was bekommen.