Mein Interesse für abgelegene Regionen und meine Profession als Regisseur für Dokumentarfilme haben mich bereits in entlegene Ecken der Welt gebracht. Wenn ich durch arme Ländern reise, versuche ich, mich anzupassen so gut es geht. So auch in Indonesien.

Ich möchte nicht zu den typischen Tourist*innen gehören und tue es doch. Ich gehöre zu der Gruppe von Menschen, die durch Slums spazieren und Fotos machen – auch wenn ich selbst keine Fotos mache. In den Augen der Slum-Bewohner*innen ist jede*r, der*die mit dem Flugzeug kommt, ein*e Tourist*in und wohlhabend. Und wer wohlhabend ist, besitzt überflüssiges Geld.

In meinem Heimatland gehöre ich nicht zu den Wohlhabenden. Aber ich habe das Privileg, fast überall hin reisen zu können. Ich kann in ihr Land kommen – sie aber nicht in meines. Und dass wir als Europäer*innen noch weitaus mehr Privilegien haben, zeigte sich mir, als ich auf meiner letzten Reise gleich zwei Tropenkrankheiten bekam.

Mein Überlebenskampf auf Lembata

Die Recherchereise führte mich auf die abgelegene Insel Lembata, die zu Indonesien gehört. Nachdem ich drei Wochen auf der Insel verbracht hatte, bekam ich Fieber, Kopf-, Augen- und Gelenkschmerzen. Das nächste Krankenhaus lag auf der anderen Seite der Insel. Der Weg dorthin war eine beschwerliche, siebenstündige Reise mit einem Truck durch den Dschungel.

Ich entschied also, zunächst abzuwarten und den Krankheitsverlauf zu beobachten. Ella, eine einheimische junge Frau, die für mich als Übersetzerin arbeitete, sah ab und an nach mir. Nachdem ich drei Tage nichts gegessen hatte, das Fieber gestiegen und die Kopfschmerzen ein absurd starkes Ausmaß angenommen hatten, machte ich im Nachbardorf einen Malaria-Test. Ergebnis: positiv.

Ich rief meine Krankenkasse an. In Deutschland war es gerade mitten in der Nacht. Trotzdem wurde ich direkt zu einer Tropenärztin durchgestellt, die mir riet, mich in ärztliche Versorgung zu begeben. Also doch der Truck. Ich ließ mich auf die andere Seite der Insel bringen. Als ich ankam, war ich bereits wie betäubt und kaum mehr ich selbst.

Im Krankenhaus – ein normales Haus mit Betten – wurde mein Blut erneut untersucht. Ein Arzt in meinem Alter sagte mir, ich habe nicht nur Malaria, sondern auch Dengue-Fieber. Ich kam auf die Isolierstation. Ein einfaches Zimmer mit dem Schild "Isolierstation" an der Tür.

Wie sich in den nächsten Tagen herausstellte, hatte ich eine schwere Form des Dengue-Fiebers. Mein Blutdruck sank immer weiter, alle möglichen Blutwerte verschlechterten sich über die kommenden Tage. Ich informierte meine Krankenkasse. Und die beauftragte dann den Flugdienst des Deutschen Roten Kreuz.

"Ich kann Sie hier nicht am Leben erhalten"

Nur: Das Management weigerte sich, mit dem Deutschen Roten Kreuz zu kommunizieren und wollte meine Krankenakte nicht rausgeben. Das sei noch niemals vorgekommen, sagte mir das Rote Kreuz später. Jegliche Kommunikation lief nun also über mich und mein Handy. Und das, obwohl ich voll auf Medikamenten war.

Nach zwei Tagen kam der Arzt zu mir ins Zimmer und meinte, meine Blutwerte hätten sich seit meiner Einlieferung stetig verschlechtert, mein Körper könne jeder Zeit einen Schock erleiden und kollabieren. Er hätte aber nicht die nötigen Geräte, um mich künstlich am Leben zu halten. Deshalb wolle er mich in ein anderes Krankenhaus bringen lassen. Er sagte etwas von einer 13-stündigen Schiffsreise.

Da keiner richtig Englisch sprechen konnte, verstand ich nur so halb, was eigentlich los war. Nur eines war mir klar: Das Management des Krankenhauses wollte auf keinen Fall, dass ich, ein Weißer, in ihrem Krankenhaus sterbe.

Das Rote Kreuz organisierte schließlich ein Spezialflugzeug, das aus Jakarta kommen sollte, um mich nach Bali in ein richtiges Krankenhaus zu bringen.

Kann ein Leben mehr wert sein als ein anderes?

Ella, meine Übersetzerin, war ins Krankenhaus gekommen, um mir beizustehen. Sie konnte nicht fassen, dass ein ganzes Flugzeug kommen würde, nur um mich von dieser Insel zu holen. Im Zuge meiner Recherche hatten wir mit etlichen Menschen gesprochen, die Angehörige oder ihre Partner*innen wegen ähnlichen Krankheiten verloren hatten. Auch Ella hatte gerade erst einen Arbeitskollegen und den Bruder ihres Mannes beerdigt.

Ella und ich waren gute Freund*innen geworden. Sie ist eine sehr herzliche Person und versuchte mir zu helfen, wo sie nur konnte. Natürlich gönnte sie mir die Hilfe des Roten Kreuz und wollte nur mein Bestes. Trotzdem stellte sie mir viele Fragen: Woher kommt das Flugzeug? Wer bezahlt das? Und niemand sonst reist mit in dem Flugzeug?

Ich war peinlich berührt – und stellte mir dann ebenfalls Fragen: Wie kann es sein, dass die sozialen Strukturen meiner Heimat derart gut sind, dass sie bis auf diese Seite der Erde reichen und gleichzeitig hier, auf Lembata, quasi gar keine Vorhanden sind? Mein Leben hat doch keinen höheren Wert als das der Menschen auf dieser Insel.

Im Mittelmeer ertrinken jährlich Zehntausende Menschen, die auf der Flucht sind. Und mich holt ein Flugzeug von einer Insel, weil ich schwer krank bin?

"Das ist das Ende"

12 Stunden vor Eintreffen des Fliegers erlitt mein Körper aufgrund eines Behandlungsfehlers einen schweren Schock. Die letzte Spritze, die ich in dem kleinen Krankenhaus bekam, ließ mein Herz innerhalb weniger Sekunden stark und immer schneller und stärker pumpen. Mein Herz kontraktierte so stark, dass ich schreien musste. Mein ganzer Köper schüttelte sich.

Das ist das Ende, dachte ich. Dann fiel ich in Ohnmacht. Ich kam kurz zu Bewusstsein, hörte nichts, sah nur Krankenpfleger*innen vor dem Zimmer den Flur entlang rennen. Erneute Ohnmacht.

Als ich wieder aufwachte, war mein Zimmer voller Menschen. Jemand versuchte, mir eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht zu drücken. Der Arzt lief nervös um mein Bett herum. Mit zitternden Händen rief ich das Deutsche Rote Kreuz an und schrie panisch ins Telefon, was passiert war. Ich hörte eine Stimme reagieren, scheinbar war ich nicht zu verstehen. Ich schrie nochmal wirr ins Telefon und sank erschöpft zurück.

Mein Herz schmerzte stark. Der Arzt versuchte ein EKG zu machen. Es war das einzige technische Gerät in dem Krankenhaus, aber es funktionierte nicht richtig. "Vielleicht ist im Inneren ihres Herzens etwas beschädigt. Aber das ist nicht sicher", teilte mir der Arzt mit.

Noch elf Stunden bis das Flugzeug kommen sollte. Der Flugdienst des Roten Kreuz rief nun alle zwei Stunden auf meinem Handy an, um zu checken, ob ich noch am Leben bin. Die kompletten elf Stunden lag ich wach. Ich dachte an meine Familie und an meine Freund*innen. Ich versuchte mich nicht auf mein Herz, sondern auf das Schöne in meinem Leben zu konzentrieren.

Das Privileg der Europäer*innen

Am nächsten Tag kam das Flugzeug. Auf einer Trage wurde ich übers Flugfeld getragen. Ella war noch bis zum Abflug an meiner Seite. So etwas hätte sie noch nie erlebt, sagte sie zum Abschied. Zehn Tage hatte mein Kampf gegen die Krankheiten gedauert.

In Europa haben wir die besten Sozial- und Gesundheitssysteme der Welt. Natürlich ist es nicht fair, dass ich in einer Notsituation davon profitiere und andere nicht. Moralisch lässt sich das nicht begründen: Ein Leben kann eben nicht mehr wert sein als ein anderes.

Wer oder was entscheidet aber letztlich über Leben und Tod? Soziale Struktur und Recht ist an nationale Grenzen gebunden. Entscheidend ist allein, in welchem Land man geboren wurde. Mit der geografischen Grenze endet das eine Recht und ein neues beginnt.

Deshalb wünscht sich die türkisch-amerikanische Philosophin Seyla Benhabib und der Soziologe Emile Durkheim, dass diese exklusiven nationalen Rechte irgendwann in einem, wie sie es nennen, Weltbürgerrecht aufgehen. Ein Recht der organischen Solidarität, das allen Menschen aufgrund ihres Menschseins zusteht, ganz so, wie es sich Immanuel Kant mal vorgestellt hat.

Ich jedenfalls bin froh noch am Leben zu sein – trotz des moralischen Debakels. Und trotzdem bleibt ein bitteres Gefühl zurück.

Wart ihr in ähnlichen Ausnahmesituationen? Was sind eure schlimmsten Reiseerlebnisse? Schicke sie mir an daniel.sager@ze.tt