Sie jubelten und sie schrien, doch am Ende stand nur die Enttäuschung in ihren Gesichtern: Bis 5 Uhr morgens fieberten die Besucher*innen des Londoner Pubs "The Lexington" während der Auszählung des Referendums mit. Wann immer eine Region sich für "Remain" ausgesprochen hatte, applaudierte und johlte die Menge. Wenn auf der Video-Leinwand Ukip-Chef Nigel Farage zu sehen war, gab es nur vereinzelte, einsame Klatscher zu hören, manche Besucher*innen riefen "Fuck You". Hätte man nicht gewusst, dass es hier um Politik geht, hätte man es für das Finale der Fußball-Europameisterschaft halten können. Es war ein emotionaler Abend, und genauso emotional waren einige der Reaktionen nach der großen Ernüchterung.

Beverly, 33

"Ich glaube, wir sehen den erneuten Aufstieg von Faschismus in Europa, und ich habe nie gedacht, dass das in meinem Land passieren würde. Ich bin so enttäuscht, ich bin so verletzt, und ich bin wirklich sauer auf die Leute, die das getan haben.

Die Jungen wollen ein Teil von Europa sein, es war vor allem die ältere Generation, die für Leave gestimmt hat. Die Alten haben sich für die Vergangenheit entschieden. Dabei müssten sie es besser wissen: Sie haben Spaltung und Kriege in Europa und auf der ganzen Welt viel stärker erlebt. Sie sollten sich schämen."

Dane, 27

"Alle unsere Jobs im Baugewerbe werden von Ausländern weggenommen. Das war der Hauptgrund für mich, für Leave zu stimmen. Ich denke, jetzt haben wir die Kontrolle zurück und können Großbritannien zu einem besseren Land machen."

Paul, 24

"Viele Leute machen da eine große Sache draus. Es ist ein wenig wie zu sagen "Oh, das Bienensterben hat begonnen." Ich meine: Na und? Ich glaube einfach nicht, dass sich nach dem Referendum groß was verändern wird. Mich persönlich betrifft es nicht."

Rosie, 31

"Ich kann wirklich nicht ausdrücken, wie ich mich gerade fühle. Ich bin unheimlich enttäuscht. Ich kann einfach nicht fassen, was gerade passiert ist, und ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll. We are a fucking stupid country. Ich kann einfach nicht glauben, dass wir so abgestimmt haben. Es gibt so viele ignorante Leute in Großbritannien. Wir haben doch nicht mehr das Jahr 1945. Es ist einfach ein trauriger Tag. Für Großbritannien und für Europa."

Andrea, 24

"Es ist ein sehr schlechtes Ergebnis für ganz Europa und vor allem Großbritannien. Die Menschen hier werden sehr darunter leiden: Für alles, was sie importieren, werden sie ab jetzt mehr zahlen müssen. Außerdem hilft das Ergebnis all den rechtspopulistischen Strömungen in Europa. Ich glaube, als nächstes wird Premierminister David Cameron zurücktreten. Was danach kommt, weiß ich nicht."

Benjamin, 26

"Ich habe für Leave gestimmt, aber aus anderen Gründen, als die von Leuten wie Nigel Farage und Boris Johnson. Die Europäische Union hat in ihrer Verfassung eine neoliberale Doktrin verankert, die voll auf Deregulierung ausgerichtet ist. Das Problem ist, dass die EU – zum Beispiel durch den Fiskalpakt und den Euro-Plus-Pakt – das "deficit spending" nicht erlaubt, also dass ein Staat in einer Rezession Schulden aufnehmen kann, um die Wirtschaft anzukurbeln. Außerdem werden dadurch Ausgaben für soziale Maßnahmen erschwert. Der Slogan "Take Back Control" ist meiner Ansicht nach korrekt, aber es geht nicht um Migration, sondern um soziale Wirtschaftspolitik. Indem wir die EU verlassen, können wir sagen: Damit stimmen wir nicht überein. Es gibt einen besseren Weg."

Ashley, 28

"Ich bin frustriert und am Boden zerstört. Ich denke, die Leave-Wähler haben aus einem Nostalgie-Gefühl heraus abgestimmt. Mit der Erinnerung an eine Kultur, die schon lange verloren ist. Die heutige Kultur basiert auf einem Mix aus verschiedenen Kulturen, und das ist wichtig. Wenn man sich sagt "Eine Zivilisation, eine Kultur", dann ist sie dazu verdammt, unterzugehen. Ich hätte gerne, dass Großbritannien ein wenig mehr wie London wird. London ist ein großartiges Beispiel für einen Mix verschiedener Kulturen. Es ist einfach schade, dass das nicht für den Rest des Landes gilt."

Iman, 22

"Ich komme aus Paris, lebe aber seit drei Jahren in London und habe mich für die Remain-Kampagne engagiert. Ich durfte ja nicht wählen gehen, das war also das Einzige, was ich tun konnte. Und jetzt bin ich wirklich geschockt. Ich glaube an das europäische Projekt: Trotz aller Fehler, die es hat, ist es eine gute Sache. Doch nach diesem Ergebnis wird es sicher auch in Frankreich mehr Leute geben, die dem Beispiel der Briten folgen wollen. Es liegen schwierige Zeiten vor uns. Es wird mehr Extremismus, mehr Nationalismus und mehr Angst geben."