Am Ende war die Wut, der Widerstand, der Protest zu groß: In Polen wird es kein absolutes Abtreibungsverbot geben. Eine doch etwas überraschende Wendung, die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) war schließlich von Anfang an Fan der Gesetzesinitiative. Nun gibt sie sich plötzlich versöhnlich. Der Bildungs- und Wissenschaftsminister Jarosław Gowin sagte, die Proteste hätten die Regierung "Demut gelehrt".

Von wegen. Die Proteste haben vor allem gelehrt, dass die Pol*innen nicht bereit sind, sich von konservativen Rechtspopulist*innen sagen zu lassen, was sie mit ihrem Körper zu tun haben. Die PiS hat in den letzten Monaten diverse unpopuläre Gesetze verabschiedet, aber bei keinem waren die Proteste so groß und so anhaltend wie beim geplanten Abtreibungsverbot. Kein Wunder, schließlich geht es hier ganz konkret um den eigenen Körper, die sexuelle Selbstbestimmung.

"Schwarzer Protest" legt Alltag lahm

Weltweit gingen Pol*innen auf die Straße. Sie machten klar: Uns reicht’s, haltet euch aus unserem Leben heraus! Am Montag streikten in Polen Tausende, weigerten sich, zur Arbeit, in die Uni oder Schule zu gehen. Stattdessen versammelten sie sich auf dem Warschauer Schlossplatz – völlig unbeeindruckt vom strömenden Regen. "Wir wollen Ärzte, keine Missionare", sangen sie. Polen, lahmgelegt von seinen wütenden Bürger*innen.

So hatte die polnische Regierung sich das irgendwie nicht vorgestellt. Sie hatte nicht mit der Wucht des "Schwarzen Protests" gerechnet, auch nicht mit der Hartnäckigkeit der Pol*innen, der weltweiten Solidarität und der Allgegenwärtigkeit der Protest-Symbole: Kleiderbügel, schwarze Klamotten und ein Uterus, der den Mittelfinger zeigt. Nicht mit der kompromisslosen "Fuck off"-Haltung.

Bestehendes Abtreibungsgesetzt nach wie vor eines der restriktivsten in Europa

Die Pol*innen haben sich mit vielem arrangiert: mit konservativen Rollenbildern und der Tatsache, dass die Kirche überall mitmischt. Aber dieses Stück Freiheit, eines der letzten, wollten sie sich nicht nehmen lassen. Ihre ausgestreckten Mittelfinger haben die polnische Regierung nicht "demütig" werden lassen – sie haben ihr schlicht und einfach Angst gemacht. Zu Recht: Durch die Proteste hat sich die öffentliche Meinung zum Thema Abtreibung gewandelt, eine große Mehrheit der Pol*innen ist mittlerweile gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes und für eine Liberalisierung. Wandel durch Wut, quasi.

Also nun alles super in Polen? Natürlich nicht. Das bestehende Abtreibungsgesetz ist immer noch drakonisch genug. Auch in Zukunft werden Polinnen, die abtreiben wollen, über die Grenze nach Tschechien und in die Slowakei fahren. Sie werden viel Geld bezahlen für etwas, zu dem Frauen selbstverständlich Zugang haben sollten. Sie werden eine medizinische Betreuung erhalten, die nicht auf dem neuesten, europäischen Stand ist. Sie werden nicht wissen, was für potenzielle Folgen ein Schwangerschaftsabbruch hat. So wird jede ungewollte Schwangerschaft weiterhin zur Katastrophe.

Letztendlich ging es bei den Protesten darum, den unbefriedigenden Status quo zu erhalten. Geändert hat sich – nichts. Allerdings: Die Pol*innen sind jetzt richtig in Fahrt. Die Regierung steht in Umfragen so schlecht da, wie noch nie seit der Wahl 2015 – sie sollte also kurz überlegen, bevor sie das nächste restriktive Gesetzesvorhaben auf den Weg bringt.

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