"Zur Obergrenze ist meine Haltung klar: Ich werde sie nicht akzeptieren." Das sagte Angela Merkel im Sommerinterview der ARD. Nun ist der Sommer zu Ende, die Baumkronen färben sich gelb und Angela Merkel hat ihre Meinung zur Obergrenze für Geflüchtete geändert. CDU und CSU haben sich nämlich am Sonntag darauf geeinigt, dass sie mit der Forderung nach so etwas wie einer Obergrenze in die Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen gehen wollen.

"Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt", heißt es laut Tagesspiegel in der Vereinbarung von CDU und CSU. Diese Zahl könne bei Bedarf durch Bundestag und Bundesregierung "nach oben und unten" verändert werden.

Das Ganze wird nicht Obergrenze genannt, sondern "atmender Deckel". Es wirkt wie der Versuch, einen unionsinternen Kompromiss zu suchen, bei dem niemand das Gesicht verliert. Die CSU bestand im Wahlkampf auf die Einführung einer Obergrenze. Die hat sie nun bekommen – mit der Einschränkung, dass diese Grenze verändert werden kann und dementsprechend nicht wirklich eine Grenze ist. Verlieren würden dabei alle.

Grundgesetz versus Obergrenze

Die Idee einer Obergrenze verstößt gegen unser Grundgesetz. Dort heißt es in Artikel 16a: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dieses Gesetz kennt keine Obergrenze. Und wenn es fünf Millionen Menschen wären, die politisch verfolgt und bei uns Asyl beantragen würden. Wir müssten alle aufnehmen, wenn wir das Grundgesetz nicht brechen wollten. Dasselbe gilt für Menschen, die nach der Genfer Menschenrechtskonvention bei uns Schutz gewährt bekommen. Auch diese kennt keine Obergrenzen. Man kann diese Schutzgesetze nicht für 200.000 Menschen gelten lassen und bei der 200.001 Person sagen: Sorry, jetzt ist's langsam ein bisschen voll hier, versuch's morgen noch mal.

Doch statt sich mal ernsthaft mit ihrer Schwesterpartei zusammenzusetzen und zu sagen: "Jetzt hör mal zu, Piggeldy", hat die CDU einer Nicht-Grenze, die so tut, als wär sie eine Grenze, zugestimmt. Die CDU verliert insofern, als nun alle Merkel vorwerfen, einzuknicken, nur damit die CSU zu Hause bei Bier und Weißwürsten erzählen kann, dass sie ihr Wahlversprechen von der Obergrenze umgesetzt hat. Die wiederum verliert, weil jeder aufmerksame Obergrenzenfan bei genauerer Betrachtung bemerken wird, dass "nach oben und unten" veränderbar quasi so viel bedeutet wie: Wenn mehr kommen, kommen halt mehr.

Alles nur Taktik?

Spannend werden nun die Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP. Voraussichtlich wird es dieser "atmende Deckel" nicht in einen Koalitionsvertrag mit Ersteren schaffen. Nun könnte man sich fragen, ob dies nicht vielleicht Absicht ist. Vielleicht haben sich CDU und CSU auf die So-was-wie-eine-Grenze geeinigt, damit die CSU zu Hause ihr Gesicht wahren kann und man sie anschließend in den Koalitionsverhandlungen wieder fallen lassen kann – im Tausch gegen eine andere Forderung, die wichtiger und mit unserem Grundgesetz vereinbarer ist.

Vielleicht ist diese obergrenzenartige Forderung also eine ziemlich ausgefuchste Sache. Das halbe Internet echauffiert sich gerade darüber, dass Jesus' Nächstenliebe auch nur bis zur 200.000. Person gegolten hätte, und so weiter.

Was dabei untergeht, sind die anderen Punkte, auf die sich CDU und CSU am Wochenende noch so geeinigt haben: Im Papier heißt es weiter, dass der Familiennachzug für subsidiär Geschützte ausgesetzt bleibt und die Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen.

Werden die Grünen diese zwei Forderungen schlucken, solange die Union auf die Obergrenze im Koalitionsvertrag verzichtet? Die folgenden Obergrenzen, die Deutschland auf keinen Fall schaden würden, werden es vermutlich ebenfalls nicht in einen Koalitionsvertrag schaffen. Vielleicht ja bei der nächsten Wahl.