Während reiche Europäer im Meer vor Lampedusa abkühlen, kämpfen tausende Asylbewerber darin um ihr Leben. Laura Nunziante hat sich für ze.tt vor Ort umgesehen. 

Auf der Via Roma gibt es jetzt Aperitivo. Es ist früher Abend in der Haupteinkaufsstraße auf Lampedusa und wer es sich leisten kann, der genehmigt sich den Vorabend-Drink. Ich schlendere an Pakistanern in gefälschten Dior-Shirts vorbei; sie verkaufen Ladekabel auf einfachen Tapeziertischen. Touristen mit Bauch und Halbglatze drängen sich in die kleinen Souvenirläden.

Ein paar Kilometer entfernt befindet sich das Aufnahmelager für Flüchtlinge: Eritreer, Syrer und Nigerianer. Es sieht von Weitem aus wie eine leerstehende Grundschule; Unbefugte haben keinen Zutritt. Die Flüchtlinge, die es über das Mittelmeer schaffen, müssen sich hier innerhalb von 24 Stunden registrieren. Danach geht es weiter aufs Festland. Nach Pozzallo, Mineo, Neapel. Nach Mailand oder Modena. Das heißt, wenn sie Glück haben: viele bleiben monatelang.

Lampedusa hat 5000 Einwohner. Im Sommer sind es bis zu 10.000, je nachdem wie viele Touristen die Überfahrt antreten. Die Insel liegt mitten im Meer, Tunesien ist gute 130 Kilometer entfernt. Geografisch gehört sie zu Nordafrika, politisch zu Italien. Kaum eine andere Insel ist in den letzten Jahren so in den Fokus der Flüchtlingskrise geraten. Lampedusa ist längst zum Synonym für Flüchtlinge geworden, die auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinken.

Auf der Via Roma spielt jetzt eine Liveband. Der schwarze Sänger singt von italienischen Liebestragödien; er steht mit dem Rücken zum Meer. Mittzwanziger, die Delfintattoos auf dem Schulterblatt tragen, trinken Piña Colada. Kinder tanzen vor den Bars in Sichtweite ihrer klatschenden Eltern. Der Strand ist noch am späten Nachmittag überbevölkert: Familien, Singles und Rentner räkeln sich in der Sonne. Ein Hotelangestellter verkauft Wasser für fünf Euro. Aus den Boxen dröhnt Eros Ramazotti. Ich blättere in meinem Reiseführer. Auf der Südspitze der Insel steht angeblich ein Mahnmal für die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ums Leben kamen. Das Port d’ Europa. Ich kann es von hier aus nicht sehen.

Die Sonne spiegelt sich auf dem Meer, das am Abend dunkel und kalt wirkt. Auf einmal werde ich vom Blaulicht der Küstenwache geblendet. Zwei Polizeiwagen sperren die Militärzone vor dem Wasser ab. Ich laufe runter zum Hafen, frage die Fischer, die ihre Boote zur Nacht befestigen, was passiert ist. Sie zeigen auf einen großen Zaun. Dahinter sehe ich Menschen, eingehüllt in Wärmedecken des roten Kreuzes. Ein Bus, der aussieht wie ein Relikt aus der ehemaligen Sowjetunion, fährt rückwärts in die Militärzone.

Vereinzelte Touristen und Einwohner haben sich am Hafen versammelt. Zwischendurch leuchtet die Glut einer Zigarette auf. Als wir den Schatten des Busses auf dem Betonboden erkennen, fangen wir an zu winken. Die etwa fünfzig Flüchtlinge lächeln durch die zerkratzen Scheiben. Wir fragen uns, wie viele von ihnen unter der Wasseroberfläche geblieben sind. "Tanti bambini", sagt einer vom roten Kreuz und schüttelt den Kopf. "Viel zu viele Kinder."

Der Bus fährt in das Aufnahmelager auf der anderen Seite. Das Licht des Leuchtturms, der über Lampedusa thront, zieht über ein riesiges Metallkonstrukt hinweg. Da ist es, das Tor Europas, das Port d’Europa. In der Dunkelheit kann ich es erkennen.