In der achten Klasse spielten wir ein besonders lustiges Spiel: Wenn jemand Penis sagte, musste der*die Nächste es lauter sagen und der*die Nächste noch lauter. Das endete meist in einer brüllenden "Penis"-Wortschlacht im Klassenzimmer. Auch beliebt: Penisse in andere Hausaufgabenhefte zu malen, um die Sitznachbar*innen zu ärgern.

Diese Spiele kennt auch die Sexualpädagogin Agnieszka Malach, 31, aus Berlin. Nach ihrem Studium der Sozialen Arbeit und einer Weiterbildung als Sexualpädagogin leistete sie vier Jahre lang sexuelle Bildungsarbeit an Schulen. Dort klärte sie Kinder und Jugendliche über Sexualität, Verhütung und Geschlechtsteile auf. Heute arbeitet sie beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V., wo sie Aufklärungs- und Sensibilisierungsworkshops zum Thema gesellschaftliche und sexuelle Vielfalt anbietet.

"Untenrum" statt Vulva, Vagina oder Scheide

Damals fragte sie sich: Warum malen die Schüler*innen ausschließlich das männliche Geschlechtsteil? Die Antwort bekam sie mit der Berufserfahrung: "Anstatt Vulva, Vagina oder Scheide, sagten viele Kinder 'untenrum'. Das Wort 'Penis' hingegen fiel oft. Es wurde immer offensichtlicher, dass das weibliche Geschlechtsteil in unserer Gesellschaft viel tabuisierter und schamhafter ist als der Penis."

Dieses Problem spiegelte sich nicht nur im Verhalten der Kinder wider. Um den Schüler*innen ihre eigenen Geschlechtsteile näher zu bringen, brachte Agnieszka Penis- und Vulvamodelle mit. "Dabei fiel uns auf, dass es eine wunderbare Vielfalt an Penismodellen gab. An Vulvamodellen mangelte es allerdings, es gab damals lediglich zwei: eine aus Stoff und ein Modell aus dem Piercingstudio. Das männliche Glied ist in der Öffentlichkeit viel präsenter als die Vulva", sagt Agnieszka.

So kam es, dass die Sexualpädagogin die Initiative ergriff und anschauliche Vulven aus der Modelliermasse Fimo formte, um weitere Vulvenmodelle für ihre Schüler*innen zu erstellen. "Da ich die Reste der Fimo-Masse nicht wegwerfen wollte, fing ich an, kleine Vulven zu formen und daraus kleine Schmuckstücke zu fertigen."

Vulva-Schmuck aus Fimo

Mit diesen ersten Handgriffen entstand VULVINCHEN. Seit eineinhalb Jahren produziert Agnieszka unter diesem Namen mittlerweile Ketten, Sticker, Postkarten und weiteres Material mit Vulvamotiv. "Als mich immer mehr Freund*innen auf meine Vulvakette ansprachen, machte ich einfach mehr davon. Irgendwann verkaufte ich sie auf einer Party gegen Spende. So sprach sich VULVINCHEN rum."

Die Berlinerin erstellte eine Facebookseite, über die prompt einige Bestellungen eingingen. Große Pläne, geschweige denn ein Businessplan, steckten nicht dahinter. Sie brachte sich alles selber bei: Das erste Logo designte sie mit Paint. Irgendwann verlor sie allerdings den Überblick über die ganzen Anfragen auf Facebook. Sie meldete ein offizielles Gewerbe an und erstellte ein Profil bei DaWanda, einer Verkaufsplattform für Kleinkünstler*innen.

"Dass ich die Anfragen über Facebook auslagern musste, war echt schade. Ich verlor die persönliche Bindung zu den Menschen, die bei mir bestellten", erzählt die Künstlerin. Zuvor hatten ihr Menschen über Facebook sogar ihre persönlichen Geschichten erzählt.

Eine Trans* Frau trägt ihre Vulvakette als Weiblichkeitssymbol

"Einmal rührte mich eine Nachricht gar zu Tränen: Eine Frau, gefangen im Körper eines Mannes, schrieb mir von den Hürden und der Diskriminierung, die sie durch ihre Transsexualität erfährt. Sie trägt nun die VULVINCHEN-Kette als Symbol für ihre Weiblichkeit. Sie macht ihr Mut."

Doch es bleibt nicht nur bei positiven Rückmeldungen. Besonders über das Netz erreichen Agnieszka auch viele Hassnachrichten. Ihre Kunst sei eklig, lächerlich oder "einfach zum Kotzen". Kritik kommt aber nicht nur von Anti-Feminist*innen, sondern auch aus ihrem sexpositiven Umfeld und von Feminist*innen. Einige kritisierten, dass der Markenname VULVINCHEN das weibliche Geschlechtsteil verniedliche und nur ein perfektes Bild von ihr abbilde.

"Natürlich sehen Vulven in Realität ganz anders aus. Es gibt sie in verschiedenen Formen und Farben, die allesamt wunderschön sind. Es ist nicht meine Intention, Menschen mit Vulven zu diskriminieren, Vielfalt auszublenden oder ein Schönheitsideal zu schaffen, sondern durch VULVINCHEN genau diese Themen zur Sprache zu bringen."

Tabus brechen

Mittlerweile gehen Bestellungen aus der ganzen Welt bei ihr ein. Letztens orderte eine Hebamme aus Helsinki eine Großbestellung an Ketten als Präsente für ihre Patient*innen. Nun muss die Künstlerin gucken, wie sie ihren Job und die Schmuckproduktion unter einen Hut bekommt, zu ihrem Hauptberuf wolle sie es nicht machen. "Ich hab einfach an die Idee und die Dringlichkeit der Botschaft geglaubt, der Rest lief von alleine", sagt Agnieszka.

Im Vordergrund steht für sie immer noch die Botschaft: Sie möchte die Vulva in der Gesellschaft sichtbarer machen, enttabuisieren und in einen positiven Kontext setzen.