Für viele Menschen wäre die Nachricht, sie seien im Krankenhaus vertauscht worden, ein Albtraum – oder ein Befreiungsschlag, je nachdem. Für Doris Grünewald war es, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Ihre Mutter ist nicht ihre Mutter. Zumindest nicht ihre leibliche.

Doris erfuhr es, als sie 22 war, beim Blutspenden. Ihre DNA stimmte nicht mit der ihrer Eltern überein. Die gesamte Familie stand damals unter Schock. Jetzt soll sie mit 90.000 Euro Schmerzensgeld entschädigt werden – je 30.000 Euro für Doris, ihre Mutter und ihren Vater.

Die Vertauschung geschah wohl, als ihre Mutter unter Narkose stand

Doris kam am 31. Oktober 1990 im LKH Graz als Frühchen zur Welt. Ihre Mutter Evelin hatte per Kaiserschnitt entbunden, stand danach unter Vollnarkose und sah ihre Tochter erst etwa 20 Stunden nach der Geburt das erste Mal. Wie sie in einem Interview mit der österreichischen Kronen Zeitung sagte, ist sie davon überzeugt, dass in diesen Stunden die Verwechslung passiert sein muss. Später, so sagt sie, sei das nicht mehr möglich gewesen.

Wie ZEIT ONLINE 2014 recherchierte, lassen sich offizielle Zahlen über Fälle von vertauschten Babys nicht finden, weder für Deutschland noch für Österreich, noch für sonst irgendwo. Solche Zahlen werden einfach nicht erfasst. Bei einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) unter 481 Kliniken wurde lediglich von zwölf Verwechslungen berichtet. Doch jede Mutter bekam noch während des Aufenthalts im Krankenhaus ihr leibliches Kind wieder und die Fälle lagen zum Teil lange zurück.

Aber: In fast 40 Prozent der deutschen Kliniken, so lautete das Ergebnis, fallen die Namensbändchen, die für die Zuordnung der Neugeborenen unerlässlichen sind, ab und an versehentlich vom Handgelenk. Unter anderem deswegen hat die DGGG 2013 eine strengere Richtlinie zur Identifikation Neugeborener erlassen.

Doris' Familie sah sich jedenfalls einem juristischen Horrorszenario ausgeliefert: Ab dem Zeitpunkt, an dem zufällig herausgekommen war, dass ihre Eltern nicht Doris' leibliche sind, waren sie juristisch betrachtet Fremde. Keine Unterhaltsansprüche, kein Erbanspruch, nichts. Ihre Eltern mussten Doris dafür erst wieder adoptieren.

Die Familie sucht nach Doris' leiblichen Mutter

Anfang 2016 entschied sich die Familie, mit dem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen, weil Doris ihre leibliche Mutter finden wollte. Sie war zu diesem Zeitpunkt selbst schwanger und wollte schon allein aus praktischen Gründen wissen, von wem sie abstammt und ob mögliche Erbkrankheiten in ihrer Familie liegen könnten.

Das LKH in Graz bestreitet übrigens, Doris als Kind vertauscht zu haben. Die zuständige Krankenanstaltengesellschaft will gegen das Urteil des Landesgerichts über die 90.000 Euro Schmerzensgeld und die Bezahlung der Adoption in Berufung gehen, für eine Vertauschung gäbe es keine Beweise.

Bisher war Doris bei der Suche nach ihrer leiblichen Mutter nicht erfolgreich. In einem Posting von vergangener Woche bittet sie über Facebook um Hilfe. Wer Informationen für sie habe, solle sie ihr bitte mitteilen.