Mit etwa acht Jahren wollte Gabriel Steiner Ministrant werden. Er kam von der Schule nach Hause und erzählte seiner Mutter von seinem Wunsch. Sie sah ihn an und antwortet: "Sicher nicht! Du bist bereits bei den Pfadfindern, den Fischern und der Trachtengruppe, das wird dir zu viel." Mit dem Nein der Mutter war die Diskussion damals beendet, erinnert sich Gabriel heute. Gabriel kommt aus einer Mittelschichtsfamilie, die nie besonders religiös war.

Sonntags besuchten sie meistens die Kirche. Wenn sie mal keine Zeit hatten, war das auch kein Problem. Mit etwa elf Jahren ging Gabriel nach der Messe zum Pfarrer in seiner Heimatgemeinde in Vorarlberg und sagte: "Ich will auch einmal Pfarrer werden." Der Pfarrer sprach ihm gut zu, belächelte ihn jedoch für seine kindliche Naivität. Die Mesnerin hörte das Gespräch mit. Am nächsten Tag wusste das ganze Dorf Bescheid. Von da an war Gabriel für alle nur mehr der "Pfarrer".

"Obwohl ich das nur einmal gesagt habe, sahen viele in mir nur mehr einen zukünftigen Pfarrer. Ich hab eigentlich keine Ahnung warum", erzählt Gabriel. Heute ist er 22 Jahre alt, hat kurze braune Locken, ein rotes Porzellankreuz an einem Lederband um den Hals. Er lacht viel, während er mit starkem Vorarlberger Akzent erzählt. Wir sitzen im Wohnzimmer des Priesterseminars in Innsbruck auf grünen Sofas, die aus den 90ern stammen könnten. Gabriel trinkt Rotwein und freut sich über Besuch.

Seit eineinhalb Wochen studiere und lebe er jetzt im Priesterseminar in Innsbruck, erzählt er. Zuvor war er für das sogenannte Propädeutikum ein Jahr in Linz. In dieser Zeit sollen die Seminaristen die Entscheidung, ihr Leben Gott zu widmen, hinterfragen und mit sich selbst ins Reine kommen. Gabriel wollte auch nach diesem Jahr noch Priester werden. Doch das war nicht immer so.

Verlorenheit nach dem Abitur

"Nach dem Abitur fragen einen die Leute ja immer, was man machen will. Ich konnte diese Frage nicht mehr hören", erzählt Gabriel. Denn er wusste nicht, was er werden wollte. Zu viele Interessen, zu viele unterschiedliche Ideen standen ihm im Weg. Er wollte etwas mit Musik machen, aber nicht Musik studieren. Etwas Soziales, aber kein Sozialarbeiter werden. Dann kam ihm der Einfall: Agrarökologie. Warum genau Agrarökologie, wusste er nicht. Er weiß es bis heute nicht.

Im Zivildienst nach seinem Abitur arbeitet er dann in einer Propstei, einem Begegnungszentrum des Klosters Einsiedeln. An einem seiner ersten Tage dort kniete er mit einer Kollegin in einem Beet und jätete Unkraut. "Wir kannten uns noch überhaupt nicht und führten Smalltalk", sagt Gabriel. Dann meinte sie plötzlich: "Warum wirst du eigentlich kein Pfarrer?" Gabriel machte das wütend, ja fast zornig. Er zermarterte sich seit Monaten den Kopf und dann erklärte ihm eine unbekannte Person das, was er sich schon so lange überlegte. "Ich habe mich ständig gefragt, ob ich nur das in mir sehe, was die anderem sehen, oder ob es wirklich der richtige Weg für mich ist." Gabriel dachte lange darüber nach. Und dann entschied er sich. Er schrieb dem Regens einen E-Mail.

Der Regens ist in etwa so etwas wie der Direktor des Priesterseminars, nur dass er sich zusätzlich mit jedem einzelnen Seminaristen und dessen Ausbildung beschäftigt. Bevor Gabriel die E-Mail abschickte, zeigte er einem befreundeten Pfarrer den Brief. "Das war eine interessante Situation", erinnert sich Gabriel. Der Pfarrer sah ihn an, sagte lange nichts und antwortete ihm dann ganz nüchtern: "Gabriel, allein der Weg ist es wert, dass du das machst."

Am selben Abend schickte er die Mail ab, erzählte jedoch niemanden davon. "Als ich auf Senden gedrückt hatte, dachte ich mir schon: Gabriel, du bist verrückt." Denn die meisten hier im Priesterseminar hätten einen Grund: eine spezielle Begegnung, ein Erlebnis oder Faszination für Liturgie oder Sakramente. Irgendwas eben. Gabriel hat keinen Grund. Das sagt er immer wieder. Und trotzdem ist er sich sicher, dass er hier sein will.

Alte Zeiten im Priesterseminar

Nach dem Brief lud ihn der Regens zu einem Vorstellungsgespräch ein. "Ich habe mich damals sehr über die Mail von Gabriel gefreut", erinnert sich Regens Roland Buemberger. In den 60er Jahren lebten noch um die 100 Seminaristen im Priesterseminar in Innsbruck. Das sei heute mit 14 Seminaristen natürlich ganz anders. "Aber man darf nicht immer alles nur negativ sehen", sagt Buemberger mit einem Grinsen auf den Lippen. "Dafür ist die Betreuung heute individueller. Ich kann mich jedem widmen".

Nur weil es heute weniger Anwärter gäbe, würde trotzdem nicht jeder genommen werden, erklärt er. Im Gegenteil. Als zukünftiger Seelsorger habe man schließlich eine Verantwortung. Oft kämen Männer mit psychischen Problemen oder Menschen, die Macht ausüben wollen. "Die muss ich natürlich ablehnen. Auch wenn jemand sagt, er will Priester werden, weil er Frauen und Familie hasst, dann muss man das kritisch sehen", so der Regens. Bei Gabriel hatte er aber ein gutes Gefühl.

Im Sommer letzten Jahres ging Gabriel den Jakobsweg. Danach erzählte er seinen Eltern von seinem Plan Priester zu werden. "Meine Mama ist lange vor mir gesessen und hat gar nichts gesagt. Ich glaube, sie hätte sich gewünscht, dass ich ihr früher davon erzählt hätte", so Gabriel. Aber seine Familie unterstütze ihn auf seinem neuen Weg. Im Herbst startete er das Propädeutikum. Heute, ein Jahr später, hat Gabriel angefangen, Theologie zu studieren und wohnt im Priesterseminar in Innsbruck, das einem durchschnittlichen Studentenheim gar nicht so unähnlich ist. Jeder hat ein eigenes Zimmer und muss auf die anderen Rücksicht nehmen. Dreimal täglich wird gemeinsam gebetet und gegessenen: morgens, mittags und abends. "Man darf nicht vergessen, die ersten WGS, die es gab, waren schließlich die Klöster und die Priesterseminare. Dort wohnten schon vor hundert Jahren Männer gemeinsam", so Buemberger.

Heute sei das Leben hier zudem viel lockerer. Früher, noch vor seiner Zeit hier, hatten die Seminaristen keine eigenen Schlüssel. "Um Punkt 19 Uhr wurden die Tore geschlossen und jeder musste da sein", erzählt der Regens. Angeblich hätten aber die Seminaristen, die im Erdgeschoß wohnten, oft ein Fenster für die anderen offen gelassen. Der Regens schmunzelt, während er davon erzählt. "Jeder ist freiwillig hier und ich halte gar nichts von Angstmache", sagt Buemberger. "Schließlich sollen die Seminaristen später ihre Gemeinden ja auch nicht durch Angst führen."

"Na klar darf ich trinken und feiern gehen"

Jeder im Haus hat seine Aufgaben. Gabriel ist zum Beispiel dafür zuständig, dass die Bar immer voll ist. Ich bin neugierig und frage ihn, was er denn jetzt als werdender Priester nicht tun dürfe. "Ich darf eigentlich alles mit Maß und Ziel, auch Alkohol trinken." Wenn er am Wochenende zu Hause ist, gehe er auch feiern. Ich sehe Bilder davon auf Facebook, wie er mit Freunden gemeinsam Bier oder Shots trinkt.

Das Thema Frauen sei schon schwieriger. Gabriel hatte noch nie eine richtige Freundin, eher eine "platonische", wie er sagt. "Ich weiß letztendlich nicht, ob ich etwas verpasse. Aber ich kann es sowieso nicht erzwingen. Ich war immer offen für eine Beziehung und bin es auch jetzt noch", so Gabriel. Das überrascht mich. Und was würde er dann tun, wenn er sich verlieben würde, frage ich ihn. "Naja, wenn ich mich wirklich verliebe, dann muss ich das mit dem Priesterplan wohl neu reflektieren", sagt er ernst.

Auch für den Regens ist Liebe kein Tabuthema. "Wenn sich jemand verliebt, bekommt er Zeit, um die weiteren Entscheidungen für sich zu prüfen. Man kann sich beurlauben lassen, um zu sehen, wie sich die Beziehung entwickelt. Außerdem hoffe ich, dass in der Zukunft das Zölibat kein Zwang mehr sein wird", so Buemberger. Man müsse sich immer fragen, was die Kirche dadurch verlieren würde. "Ich würde sagen: gar nichts! Sie würde sehr talentierte Priester dazu gewinnen", ist er sich sicher. Buemberger erzählt mir, dass es ihn manchmal richtig traurig mache, wenn er sehe, dass tolle Priester ihren Beruf aufgeben, weil sie eine Familie gründen wollen.

Unverstaubte Orgelklänge

Seit er 13 Jahre alt ist, spielt Gabriel Orgel. Er öffnet das Holz über den Tasten, stellt ein paar Regler um und beginnt. Was er spielt, klingt so ganz anders, als ich es erwartet hatte. Es hat nichts mit den anstrengenden und tiefen Tönen zu tun, die ich aus der Kirche kenne. Es klingt eher nach Swing. Gabriel bewegt sich im Takt dazu, er genießt das Spielen. Dann spielt er noch ein Jazzstück. Ich sehe ihn nur verdutzt an und er lacht mich aus. Während er spielt, glitzert die Sonne durch die Kirchenfenster in der Kapelle. Bis auf die Musik ist es ganz leise.

Dann packt Gabriel seine Bibel ein, wir gehen zum Frühstück. In der Hand hält er sein eigenes Ovomaltine. Beim Frühstück kommen alle Seminaristen vor der Uni zusammen. Mich erinnern das Buffett und die Möbel etwas an meinen Schulskikurs. Am Freitag ist ihr Gemeinschaftsabend. Die Seminaristen und der Regens diskutieren über mögliche Filme. Andere reden über Lehrveranstaltungen und Anwesenheitspflicht. Über gute und schlechte Professoren. Sie reden eben wie ganz normale Studierende. Auch sie sind manchmal frustriert.

Jeder am Tisch ist interessiert an meinem Glauben. Warum ich nicht an Jesus glaube, wollen sie wissen. Manche hören zu, Gabriel will mit mir diskutieren, er versucht mich zu überzeugen. Sein Glaube ist für ihn wichtig. Auch was in der Bibel steht. Für Gabriel sind die biblischen Erzählungen und Gefühlswelten der Psalmen etwas, das nie an Aktualität verlieren wird und zum Menschen dazugehört. Klemens Langeder, ein Seminarist im fünften Semester, erzählt mir von einer Hochzeit eines Freundes, die ohne Priester und mit selbst ausgedachten Ritualen gefeiert wurde. Jeder durfte eine Zutat in den Liebestrank auf der Hochzeit geben. Klemens fand das schön, man müsse offen für Neues sein, erzählt er mir. Bevor sich er entschied Priester zu werden, studierte er Produktion und Management.

Die jungen Männer im Priesterseminar haben sich für ein ganz anderes Leben entschieden. So ganz anders als ich und die meisten von uns. Sie leben für Gott, für Jesus. Ich hätte es nicht erwartet, aber dass diese jungen Menschen einmal Priester sein werden, gab mir etwas Hoffnung. Denn mit verstaubtem Orgelgesang und Engstirnigkeit hat mein Besuch in der Kirche so gar nichts zu tun.