Im echten Leben ist Pigo Lin Uhrmacher; ein Beruf, der Präzision und Geduld erfordert. Wird ihm das zu intensiv, lenkt er sich in seiner Freizeit mit etwas sehr anderem ab: mit der Anfertigung pornöser, manchmal leicht unappetitlicher Illustrationen. Der 32 Jahre alte Künstler aus Taiwan möchte mit seinen Bildern sein eigenes "pures und einfaches Verlangen ausdrücken". Weil "den Sex", den würde er einfach lieben.

Zu sexueller Lust gehöre laut Lin manchmal auch ein bisschen Schmerz und Gewalt, denn das würde die Liebe zweier Partner*innen verstärken. Die Gesichtsausdrücke der Frauen seien deshalb oft eine Mischung aus lustvoll und schmerzverzerrt.

"Es ist, als würde ich die Welt durch eine erotische Brille sehen", sagt Lin. Diese Brille verwandele alltägliche Situationen in Sex, die mal mehr und mal weniger abstrakt sein können. Seine Vorstellungen bringt er dann erst mithilfe von Photoshop und dann mit Tinte in die Realität.

Interpretieren, was er*sie auf einem Bild tatsächlich sieht, muss jede*r für sich selbst. Denn Lin arbeitet gerne mit Metaphern. Oder auch nicht. Diese Deutungsschwierigkeiten könnten dazu führen, dass manche Bilder verstörend wirken. Wir haben uns fünf Bilder herausgesucht, über deren Bedeutung wir uns nicht einig waren, und herumgesponnen.

Lock

Philipp: Das Klischee sagt: Eine Frau zum Orgasmus zu bringen, ist eine eigene Wissenschaft. Während dem Mann irgendwie, irgendwo, irgendwann ein paar heiße Minuten genügen, muss bei der Frau alles stimmen. Dieses Klischee bedient in meinen Augen das Bild in Form einer Metapher eines Schlossknackers. Der komplexe weibliche Höhepunkt oder der komplizierte Weg dahin ist für den ausführenden Herren harte Arbeit. Nach ihrem lustverzerrten Gesicht zu urteilen, leistet er allerdings keine schlechte Arbeit. Bezüglich der Frau im Spiegel/Fenster: Dass manche einen voyeuristischen Fetisch haben, ist nichts Neues. Soll sie.

Marieke: Ein Schlossknacker, wirklich? Ich sehe hier eine Frau, der es offensichtlich nicht allzu sehr gefällt, dass an ihr herumgeschraubt wird. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das Schloss, das sie trägt, zu einem Keuschheitsgürtel gehört – der ihr von jemand anderem angelegt wurde? Oder sie will sich vielleicht selbst schützen. Ihr Gesicht ist für mich eher schmerzverzerrt als lustvoll. Genau das scheint aber die Frau hinter der Glasscheibe wiederum sehr zu reizen.

Surf Rescue

Marieke: Das ist knallharter Unterwasser-Sex. Alleine die Bojen schreien schon: "Phallus!", so senkrecht stehen sie im Meer. Der Mann wird zum Raubtier, weil er die Frau von hinten – sie kann ihn nicht sehen, sie kann sich nicht wehren – wie eine Beute erlegt. Als würde ein Hai eine Flunder reißen – und der gefällt's! Denn die Frau begibt sich hier nur allzu gerne in die Rolle der Beute und genießt ihre Wehrlosigkeit.

Philipp: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich aus diesem Bild nicht wirklich schlau werde. Vielleicht so: Eine in Seenot geratene Frau wird von einem sexy Muskelprotz gerettet. Das Beutetier Mann alias Hai allerdings nutzt seine Überlegenheit aus und betoucht sie. Sie steht, ohne es kontrollieren zu können, auf diese bedrohliche Dominanz und lässt es sich gefallen, genießt es sogar. Vielleicht zeigt das Bild daher eine Mischung aus männlicher Überlegenheit, (ungewollter) Lust und Gefahr.

A fish enjoy of water

Philipp: Ich sehe hier etwas ganz Unschuldiges. Ein nackte Frau ist ins Wasser gefallen und droht zu ertrinken. Ein gutgesinnter Fisch, dessen Flosse eine bisschen leckt, bringt sie an die Oberfläche und rettet ihr Leben. Es ist ein bisschen Arielle, gemischt mit einer zarten Dosis Flipper. Unverdorben und engelsrein. So wie ich.

Marieke: Ich lach mich tot, Philipp! Für mich ist das Oralverkehr. Der Fisch (Ein Wal, wieder ein Hai – ich weiß es nicht) steckt volle Kanone mit seiner nennen wir es Nase im Unterleib der Frau. Was will er dort anderes, als sie lecken? Moment, warum überhaupt ein Er? Die Nase des Fisches sieht selbst ein bisschen aus wie eine Vulva, vielleicht geht es hier gar nicht um Flipper und Arielle, sondern Arielle und Arielle?

A ground swell in darkness and distance

Philipp: Das ist eindeutig eine Metapher für das Rotlichtmilieu einer Stadt in den Niederlanden. Frauen präsentieren sich durch eine schützende Glasscheibe (=Wasser). Faszinierte Touristen stehen davor und fotografieren, obwohl das verboten ist. Wie die Frauen grundsätzlich aussehen ist egal, für den Touristen sind die Ladyparts das einzig Wichtige. Traut er sich die Glasscheibe zu öffnen (=ins Wasser zu springen), kann er mit ein wenig finanzieller Mühe (=hinschwimmen), ähm, … hinein.

Marieke: Das ist einfach nur eine riesige Frau mit rosa Beinen, die im Wasser rumliegt. Plötzlich kommt ein Typ – Moses, 33, Prophet – vorbei, spaltet das Meer und macht ein Bild davon.

Magical Finger

Marieke: Dieses Bild macht mir Angst. Die Frau, die in der Wanne liegt, schaut offensichtlich unglücklich. Der Finger, der aus der Gegend ihres Schritts ragt, gehört, der Hautfarbe nach, nicht zu ihr. Der Strudel voll Blut, der ihr Badewasser färbt, impliziert für mich Gewalt, die sie nicht wollte.

Philipp: Okay, erst mal: krasses Bild. Um es harmlos zu lassen, schlage ich folgende Interpretation vor: Hier sieht man das frauliche Leid der monatlichen Menstruation und der männliche Umgang damit. Frauen erzählen ihren Freunden, Partnern, Männern, wie mühsam, schmerzhaft und unrein der weibliche Zyklus sein kann. Die Männer nicken zwar meist verständnisvoll, können aber in Wirklichkeit nichts mit diesen Informationen anfangen, finden sie vielleicht sogar eklig. Er kann es nicht nachvollziehen, nicht fühlen, er ertrinkt quasi in Unwissen.