Sherlock Holmes ist verschwunden. In seiner Londoner Wohnung ist es schummrig, der Regen prasselt gegen die Fenster. Es bleibt eine Stunde Zeit, um das Rätsel um das Verschwinden des berühmten Detektiven zu lösen. Dafür müssen die Spieler*innen des Live Escape Games im Team arbeiten, Holmes' Wohnung nach Hinweisen durchsuchen, geheime Türen öffnen und sich so von Raum zu Raum durch ein etwa 75 Quadratmeter großes Areal knobeln. Der Zeitdruck sorgt für den Nervenkitzel: Wer innerhalb einer Stunde nicht alle Rätsel löst, verliert.

"Insgesamt schaffen 70 Prozent der Spieler unsere Live Escape Games, 30 Prozent scheitern", sagt Heiner Häntze. Er ist der Betreiber des Escape Berlin, der Selbstbeschreibung nach Europas größtem Anbieter der Knobelabenteuer, die wie reale Videospiele anmuten.

Die Idee für Live Escape Games oder Escape Rooms stammt aus Japan, Ende der Nullerjahre eröffneten dort die ersten Räume. In Deutschland soll es aktuell 392 Spiele in 86 Städten geben. Das Escape Berlin sitzt in einem ehemaligen Callcenter und bietet zurzeit zwei Szenarien an: das Sherlock-Spiel und ein "Big Bang Theory"-Knobelszenario, das sich insbesondere an Schüler*innen richtet. In Dresden gibt es ein Live Escape Game, bei dem die Spieler*innen ihre Flucht aus der DDR planen müssen, bei einem Anbieter in Hannover gilt es, innerhalb von 60 Minuten einen Impfstoff gegen ein tödliches Virus zu entwickeln.

In Berlin sitzt Häntzes Team, das aus Drehbuchautoren, Architekten und Bühnenbildern besteht, circa zwei Monate daran, ein Spiel zu erdenken. Insgesamt dauert der Bau der Szenarien ein gutes Jahr. Für das Sherlock-Spiel haben sich Häntze und seine Mannschaft besonders viel Mühe gegeben: "Unser Ziel ist es, dass sich die Leute sofort ins 19. Jahrhundert zurückversetzt fühlen." In den Regalen lehnen 150 Jahre alte Bücher, alle Möbel stammen aus Museen oder vom Trödel.

90 Minuten Panik

Von Bowling, Kino und Paintball gelangweilte Freunde, Arbeitskolleg*innen, Schulklassen oder Junggesellen-Feiergruppen buchen immer öfter Escape-Room-Sessions. Inzwischen gibt es auch ein paar Profi-Teams, die für die Rätselei durch Deutschland tingeln. Für solche Hardcore-Fans entwickeln Häntze und sein Team zurzeit ein Horrorszenario. "Raw" entsteht auf einer Fläche von etwa 300 Quadratmetern. "Das Prinzip ist, dass du dich nicht mal zwischendurch erschrickst, sondern 90 Minuten lang Panik hast", erklärt Häntze.

In einem Raum muss eine Kreissäge zusammengebaut und in Betrieb genommen werden. In einem anderen muss sich ein*e Spieler*in mehrere Minuten in einen Sarg legen, während die anderen ein Rätsel lösen. In einem weiteren Raum müssen die Spieler*innen einen Weg durch ein Labyrinth mit mehreren Etagen finden – kriechend im Dunkeln. "Männer wollen dieses Spiel nicht spielen", fasst Häntze die Ergebnisse einer Befragung zusammen, "die Nachfrage ist vor allem bei Frauen sehr hoch."

Mehr als 40 Überwachungskameras installieren Häntze und seine Kollegen in "Raw", es gibt Wartungsgänge und -luken, damit das Team die Spieler*innen schnell herausholen können. "Wir können hier alles jederzeit stoppen", sagt er. In der Schaltzentrale des Escape Berlin gibt es vier Plätze für die sogenannten Game-Master, die das Spiel überwachen und den Spieler*innen im Notfall Tipps geben. Dafür haben sie je zwei Bildschirme vor sich, über die sie die Räume überwachen. Ab und an senden sie Textnachrichten, die in den Spielen auf Bildschirmen aufploppen. "Gerade Profi-Teams wollen keine Hilfe, die kriegen sie nur, wenn sie wirklich am Verzweifeln sind", sagte Häntze.

Obwohl 30 Prozent der Teilnehmer*innen an den Spielen scheitern, habe es noch nie Beschwerden gegeben. Viele Gruppen kommen auch wieder, um sich noch mal dem Zeitdruck zu stellen und alle Rätsel zu lösen.