Wenn Menschen reihenweise aufhören zu masturbieren, stimmt was nicht. Bitte, liebe Wissenschaft, sag jetzt nicht, dass unsere geliebte Selbstbefriedigung doch negative Auswirkungen auf uns hat. Alexander Rhodes aus Pittsburgh liebte es zu masturbieren. Er liebte es so sehr, dass er es manchmal zehn Mal täglich tat. Überkam ihn die Selfsex-Lust, lief er zur nächstgelegenen Toilette und besorgte es sich – egal wo, egal wann. Nach eigener Aussage ein Pornoabhängiger, der sämtliche Lebensbereiche vernachlässigte, nur um möglichst problemlos masturbieren zu können.

Im Jahr 2011 stolperte der damals 22-Jährige über einen Masturbations-Thread auf Reddit. Darin war eine Studie verlinkt, nach der eine einwöchige Masturbationspause zu einem Anstieg des Testosteronspiegels im Blutserum von 145,7 Prozent führen soll. Ein hoher Wert des Sexualhormons fördert bekanntermaßen die Libido, den Antrieb und die Ausdauer. Und das wollte Alexander auch haben. Er machte den ultimativen Selbsttest und hörte auf zu masturbieren. Eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte.

Sein Vorhaben stellte sich als "außergewöhnlich schwierig" heraus. Jedes Mal, wenn er auch nur ein bisschen Haut einer Frau sah, bekam er starkes Herzklopfen. "Nach einer Woche ohne dachte ich, ich würde sterben", erzählt der damals verlorene junge Mann.

Seinen Testosteronspiegel ließ er zwar nicht messen, trotzdem bemerkte er neben seinen Todesängsten einige körperliche Veränderungen: erhöhte Konzentration, Energie und Produktivität. Diese überraschenden Ergebnisse seiner ersten onanielosen Woche brachten ihn dazu, eine NoFap-Gruppe auf Reddit zu gründen.

Zu Beginn sah Alexander die Gruppe noch als eine eher spaßige Möglichkeit, seine Erfahrungen zu teilen und mit anderen Enthaltsamen zu vergleichen. Schnell aber sammelten sich dort Menschen mit selbstdiagnostizierter Porno- und Masturbationsabhängigkeit. Eine Selbsthilfegruppe für all jene, die sich aufgrund der Anonymität des Internets endlich an die Öffentlichkeit trauten. Die Gruppe wuchs in den Folgejahren von 50 auf beinahe 168.000 Teilnehmer*innen. Oder wie sie sich selbst nennen: Fabstronauts.

Was sagt die Community?

Die Meisten traten der NoFap-Community bei, um sich über die angeblichen Vorteile einer Masturbierabstinenz auszutauschen. Und das taten sie auch. Die Gruppe wurde größer, kuriose Annahmen immer häufiger.

Einige behaupteten, Depressionen überwunden zu haben, andere wiederum konnten sich damit selbst von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) heilen. Mehr noch. Das Selbstvertrauen würde steigen, die Aura freundlicher, die Wirkung auf das andere Geschlecht deutlich anziehender sein. Einige berichteten darüber, wie sie im Fitnesscenter, in der Schule, am Arbeitsplatz plötzlich von Frauen angestarrt würden. Dass sie endlich und nach vielen Jahren der Friendzone entkommen konnten, dass sie seither jede Frau bekommen würden. Sie beschrieben ihre Abstinenz als Superpower und schworen auf ihren Erfolg. Die gestoppte Autoerotik wurde zum Wundermittel gegen Problemchen und Probleme. Der allgemeine Konsens: Lass die Finger von deinen Weichteilen und alles wird besser.

Einige erklärten sich ihr besseres Leben mithilfe des Placebo-Effekts. Vielleicht war es eine psychologische Konsequenz der Schuldgefühle, die sie unterbewusst bei der intimen Fingerakrobatik empfanden? Immerhin wurde die Selbstbefriedigung bis vor einigen Jahrzehnten von der Gesellschaft dämonisiert – und gilt in der katholischen Kirche nach wie vor als Fehlform sexuellen Verhaltens sowie als Mangel an Persönlichkeit.

Übrigens: Alexander führte in seiner NoFap-Gruppe eine kleine Umfrage durch. Das Ergebnis: Die Mehrheit seiner Fabstronauts ist heterosexuell und männlich. Ungefähr 44 Prozent sind Jungfrauen. Mehr als 60 Prozent sind Atheist*innen oder Agnostiker*innen. Und etwa 40 Prozent bezeichnen sich nicht als masturbationssüchtig.

Was sagt die Wissenschaft?

Im Jahr 2013 traten Wissenschaftler der Cambridge University mit Mitgliedern der NoFap-Community in Kontakt, um eine Studie über den Gebrauch von Pornos durchzuführen. Sie fanden heraus, dass die Hirnaktivität der User*innen – zur Erinnerung: Sie waren nach eigenen Angaben zwanghafte Pornoschauer*innen – und der von Alkohol- oder Drogensüchtigen überraschend ähnlich sind. Bedeutet das, dass Pornogucken tatsächlich süchtig macht?

Matthew Johnson, Neurowissenschaftler und Psychologieprofessor an der University of Nebraska-Lincoln, glaubt das nicht. Es wäre eher die Struktur des Gehirns, die den Pornogebrauch beeinflusst. Zwanghafte Sexfilmschauer*innen sind wahrscheinlich anfällig für Suchtverhalten im Allgemeinen. Wer zu Regelmäßigkeit und Wiederholung tendiert, tendiert auch in Bezug auf Masturbation dazu. Ohne Neigung dafür könne eine kleine Dosis Masturbation, genau wie Alkohol, durchaus gesund sein, um "ein wenig Dampf abzulassen", meint Dr. Johnson.

Er nimmt an, dass Menschen, die zu viel essen, zu viel trainieren oder anderes zwanghaftes Verhalten an den Tag legen, dieselben Ergebnisse erzielen würden. Das Mehr an Energie, Konzentration und Produktivität komme nicht von der Masturbier-Enthaltsamkeit selbst, sondern davon, eine Sucht überwunden zu haben – egal, ob es Masturbieren oder Fernsehen ist. Wenn du selbst keine Person mit zwanghaften Tendenzen bist, kannst du also beruhigt weiterjodeln.

Ob jemand tatsächlich sein ADHS heilen konnte, sei zwar unwahrscheinlich, aber möglich. Sich seinen eigenen Lustimpulsen zu widersetzen, könnte eine Form von selbst erteiltem Verhaltenstraining sein, das Betroffene wiederum nutzen, um ihr ADHS besser zu kontrollieren. So zumindest die Annahme. Eine anziehendere Wirkung auf das andere Geschlecht erklärt sich Dr. Johnson anhand des gestiegenen Selbstbewusstseins, das durch das erfolgreiche Überwinden der Sucht aufkommt.

Für den nicht zwanghaften Normalbürger, der den Eigenspaß aufgibt, gibt es demnach keine wissenschaftlich belegten Vorteile. "Ich bin kein Anti-Masturbations-Fanatiker. Masturbieren kann sicher gesund sein und ich denke, ich werde irgendwann auch wieder masturbieren. Ich sehe mich nicht als Missionar, der Menschen davon abhalten möchte, ihre Geschlechtsteile anzufassen", sagt Alexander.

Gut so. Denn wir alle haben Hände und was wir damit machen, ist unsere Sache.