Noch bis Samstag ist Köln die Videospielhauptstadt der Welt. Auch in diesem Jahr findet dort mal wieder die GamesCom statt – die größte und wichtigste Videospielmesse in Europa. Im vergangenen Jahr schoben sich 370.000 Besucher*innen durch die Gänge und Hallen. Diesmal werden es nicht weniger Gamer*innen sein, die teils in aufwändigen Kostümen die Videospiele und ihre Macher*innen feiern. An den Ständen angestanden wird dabei vor allem für einen Blick auf die großen Blockbuster, die teils erst in mehreren Monaten erscheinen. Nämlich Shooter wie das neue Call of Duty: Modern Warfare und Gears 5 sowie Open-World-Giganten wie Watch Dogs: Legion und Cyberpunk 2077.

Daneben finden sich auch zahlreiche kleinere, aber nicht weniger ambitionierte oder spannende Games. Darunter auch welche, die große Explosionen und effektvolles Geballer einfach mal links liegen lassen und sich stattdessen trauen, Facetten unseres Lebens und unsere Menschlichkeit zu erkunden. Sie schauen in unseren Geist und unsere Emotionen hinein. Sie lassen aus erster Hand – aber in sicherer Umgebung – bittere Krisen durchleben, theoretisieren darüber, wie Mensch und Maschine zusammenpassen oder durchdenken die verzwickte Situation der aktuellen Generationen. Das ist mal total offenkundig, mal in abstrakte Metaphern und zuckersüße Grafik gehüllt – aber immer einen Blick und ein Hineinspielen wert.

The Shattering

Viel Weiß und noch mehr Grau. So sieht die Welt von John Evans aus – zumindest in seinem Kopf. Denn er hat eine Krise, hadert mit sich und seinem Leben. Ähnlich wie in Klassikern wie Gone Home oder Dear Esther geht es auch in The Shattering darum, Kulissen wie Wohn-, Schlafzimmer, Schulräume und lange Gänge zu erkunden. Doch hier stellen diese die Erinnerungen eines Menschen dar. Briefe und Fotos geben nach und nach kleine Hinweise zu seinem Leben. Ziel ist es letztlich, zu deuten und zu kombinieren, wer John eigentlich ist, was er erlebte, welche Bilder die Wahrheit und welche selbstkonstruierte Lügen darstellen.

Währenddessen zeigt sich auch immer wieder, wie es gerade um den geistigen Zustand von John steht. Nämlich wenn abrupt brutale Kräfte die Räume verformen. Psychotische Schübe reißen sie förmlich auseinander und drängen Lebensereignisse hinfort. Angstreaktionen schichten Betten, Sofas und Schränke zu Barrieren auf, um den Spieler*innen wortwörtlich den Weg zu versperren. Das Team des polnischen Studios SuperSexySoftware will mit The Shattering eine psychologische Reise erschaffen, welche die Frage stellt, wie viel Schmerz ein Menschen ertragen kann, bevor er zerbricht. Aber auch, wie solchen Menschen geholfen werden kann.

The Shattering soll Ende 2019 für PC erscheinen.

In Other Waters

Es stimmt, die Optik und Spieloberfläche von In Other Waters sieht alles andere als spannend aus. Denn die zeigt lediglich einen kleinen Radarschirm, verschiedene Anzeigen und ein Kommunikationssystem. Aber genau das ist's, was das Alter-Ego der Spieler*innen ausmacht. Das ist nämlich die Künstliche Intelligenz eines Taucheranzugs, mit dem die Xenobiologin Ellery Vas den Ozean des Planeten Gliese 677Cc erforscht. Gemeinsam scannen beide nach fremden Lebewesen, organischen Rückständen und suchen Minae Nomura, eine andere Xenobiologin, die in den außerirdischen Wassern verschollen ist.

Im Verlauf des Spiels kommen neue Werkzeuge und damit Erkundungsmöglichkeiten hinzu. Aber vor allem entwickelt sich zwischen der Denkmaschine und ihrem menschlichen Schützling eine persönliche und stetig intimer werdende Beziehung, die über einfache Dialoge, die Einfärbungen des Spielschirms und die sphärische Musik sicht- und spürbar wird. Aber wie vertrauenswürdig ist die KI? Wie stabil ist diese Beziehung? Kann zwischen Mensch und Maschine tatsächlich ein echtes Mit- und Füreinander bestehen? Genau darum geht’s in dem Indie-Game des Entwicklers Gareth Damian Martin.

In Other Waters soll im Frühjahr 2020 für PC erscheinen.

Mosaic

Seinen Namen kennen wir nicht. Aber das ist okay, denn der Protagonist aus Mosaic kann und soll ein Jedermann sein. Tag für Tag quält er sich aus seinem Bett, zieht sich an und schleppt sich durch eine gesichtslose Metropole zu seiner öden Arbeitsstelle. Er ist ein Niemand, der in einer gigantischen Masse aus antriebslosen Arbeitsdrohnen untergeht, die mit sinnfreien Daddelspielen und Nachrichten auf ihren Smartphones ruhig gestellt werden. Jedenfalls bis der Held eines Tages beginnt, absonderliche Risse in seiner Wirklichkeit wahrzunehmen und von Visionen überwältigt wird.

Mit Mosaic entwickelt das Among The Sleep-Studio Krillbite eine gesellschaftskritische und ziemlich stylische Mischung aus 3D-Adventure und 2D-Side-Scroller, die offenkundig von Indie-Hits wie Limbo und Inside inspiriert ist. Denn genau wie in diesen sollen die Spieler*innen auch hier durch surreale Szenerien gescheucht werden, die für Deutungen und Interpretationen offenstehen. Aber schon jetzt ist klar, dass die Sehnsucht nach Individualität, die Omnipräsenz von Social Media, die Gamification des Alltags und die digitale Allzeitverfügbarkeit einige der Themen sein werden, die die Macher*innen aufgreifen.

Mosaic soll für PC, PlayStation 4, Xbox One und Nintendo Switch erscheinen.

Answer Knot

Wenn es ein Gefühl gibt, das einen schier in den Wahnsinn und in die Verzweiflung treiben kann, dann das der Ungewissheit. Genau das ist es, was Zack in Naraven Games' Ego-Abenteuer Answer Knot durchlebt – und mit ihm die Spieler*innen. Der Reisejournalist ist alleine zu Hause in seinem Appartement und wartet auf seine Frau. Die ist noch nicht wieder da – obwohl sie es längst hätte sein sollen. Jedoch hinterlässt sie immer wieder Nachrichten auf einem Anrufbeantworter. Sie erklärt, warum sie später kommt, dass sie noch Zigaretten holen geht und dann Polizisten auf der Straße sieht, die Autos anhalten.

Mit jeder nachgeschobenen Nachricht wird das Gefühl stärker, dass irgendetwas Merkwürdiges vorgeht und eine Gefahr aufzieht. Vorangetrieben durch zusätzliche Tu-dies-, Tu-das-Aufgaben in den glaubhaft gestalteten Umgebung, entfaltet das von der Schweizerin Julia Jeanneret erdachte Videospiel eine überraschend dichte und mysteriöse Geschichte. Die nimmt die Spieler*innen lediglich für kompakte 30 Minuten bis zu eineinhalb Stunden in Beschlag. Etwas, das aber auch vollkommen okay ist, denn Answer Knot gibt es kostenlos.

Answer Knot ist bereits für PC verfügbar.

Out of Place

Es muss mal eine ziemlich schöne Welt gewesen sein. Jedoch wurde sie zerrissen – zwischen der Front jener, die an althergebrachten Traditionen festhalten wollten und jenen, die in der Technologie die Zukunft sahen. Von jetzt auf gleich findet sich der junge Simon in dieser bizarren Welt wieder, muss überleben und sich in Action-Abenteuer-Kämpfen mit mystischen Schwertern gegen bizarre Roboterkreaturen erwehren. Dabei hilft ihm ein kleiner mechanischer Gefährte, der als golden leuchtender Ball neben ihm schwebt.

Was Out of Place besonders machen soll, meinen die Entwickler des noch jungen Hamburger Studios Bagpack Games, ist, dass Simon, anders als die Held*innen in vielen Abenteuern, mit lesbaren Gefühlen auf seine Lage reagiert. Er soll mit seinem Gesicht und Körper sichtbar Angst, Wut, Verwirrung, aber auch Mut ausdrücken – und so einen emotionalen Draht zu den Spieler*innen knüpfen. Das soll Simon zu mehr als nur einem Avatar machen, zu einer authentischen Person. Und das könnte durchaus gelingen. Denn obwohl noch in einer ziemlich frühen Entwicklungsphase, sieht Out of Place schon beeindruckend aus.

Noch ist unklar, wann und für welche Plattformen Out of Place erscheinen wird.

Minute of Islands

Vor Äonen haben Giganten aus Wasser und Erde ein wunderschönes Archipel geformt. Doch das droht nun durch toxische Sporen verschmutzt und zerstört zu werden. Die Bewohner*innen der Inselwelt werden derzeit noch durch altertümliche Antennen geschützt – doch die verfallen zunehmend und müssen repariert werden. Daher ist es im Videospiel des Studios Fizbin an den Spieler*innen, als Mechanikerin Mo umher zu schippern und sowohl Mensch als auch Natur zu schützen. Eine scheinbar endlose, aber trotzdem richtige und wichtige Mission.

Das handgezeichnete Jump'n'Run-Abenteuer versprüht eine sonderbare Atmosphäre aus Einsamkeit, Hoffnung, Ernüchterung und Melancholie. Scharf werden bezaubernde Naturkulissen und bittere Szenen von verendenden Walen, verfallenen Dörfern und der durch leere Einöden marschierenden Mo aneinander gereiht. Minute of Islands verbildlicht damit auch das Gefühlschaos der Generation Fridays for Future, den Kampf gegen den Klimawandel, der aussichtslos scheint, aber geführt werden muss. Das ist bedrückend und wundervoll zugleich.

Minute of Islands soll im Frühjahr 2020 für PC, Mac, PlayStation 4, Xbox One und Nintendo Switch erscheinen.

Genesis Noir

Radiowellen schwingen vor sich hin. Im Hintergrund kreisen Galaxien und mitten im Nichts sitzt ein Kerl mit Hut und Saxophon. Der wird anschließend durch die gesamte Geschichte der Menschheit und des Universums, hindurch durch Jazz Clubs, schwarze Löcher und kollabierende Sternensysteme geführt. Und das geht mal im Stile eines klassischen aber simplen Point'n'Click-Abenteuers und dann eines Rätsel- und Musikspiels. Denn in Genesis Noir geht es viel um Takt, Klang und Rhythmus. Aber vor allem geht es um die Kraft der Liebe – und die Hindernisse, die sie in Zeit und Raum überwinden kann.

Das Ziel der Spieler*innen in dieser schrägen Odyssee ist es nämlich, die Liebe ihres Lebens zu finden – und vor den unbarmherzigen Kräften der Natur zu retten. Und das ist nicht zuletzt optisch eine einzigartige Erfahrung. Die Figuren bestehen aus dicken Strichen, die durch die beinah monochrome Kulisse gelenkt werden. Die sind mit breiten Texturen überzogen, die sich dann gerne mal in geometrische Kunstwerke verwandeln, die im Einklang mit Akkorden vibrieren. Das Werk des Zwei-Mann-Studios Feral Cat Den aus New York verspricht damit ein gleichsam obskures wie auch wundersames Spielerlebnis.

Genesis Noir soll 2020 für PC und Xbox One erscheinen.