Um herauszufinden, wie unsere lange Geschichte des Blutvergießens zustande kommt, analysierte der Forscher José María Gómez mit seinen Kolleg*innen an der Universität von Granada zunächst einmal Daten. Viele Daten. Sie untersuchten für ihre Studie "The phylogenetic roots of human lethal violence" über vier Millionen Todesfälle aus 1.024 Säugetierarten und 600 menschlichen Populationen im Zeitraum von etwa 50.000 Jahren bis zur Gegenwart. Insbesondere betrachteten sie "Todesfälle durch Krieg, Mord, Totschlag, Kindestötung, Kannibalismus und so weiter; ohne Differenzierung, ob an den tödliche Ereignissen ein oder mehrere Täter beteiligt waren oder ob es sich um kollektive Tötungen handelte".

Was die Forscher*innen dabei herausfanden, ist faszinierend und beklemmend zugleich: Wir haben Gewalt offenbar von frühen Primaten vererbt bekommen. Sie ist uns angeboren – und wir können das nicht ändern.

Trotzdem: Wir müssen nicht so sein

Einige Tierarten, wie Primaten und Menschen – ja, auch wir sind rein biologisch betrachtet Tiere –, sind dafür bekannt, gewalttätiges Verhalten gegenüber Mitgliedern der gleichen Spezies zu zeigen. Bei anderen Tieren jedoch, wie etwa bei Walen und Fledermäusen, gibt es praktisch keine Hinweise auf tödliche Gewalt untereinander.

Lange blieb die menschliche Gewalt ein Mysterium für die Forschung. "Tödliche Gewalt wird von einigen als kulturelles Merkmal betrachtet, aber Aggression bei Säugetieren, einschließlich Menschen, hat auch eine genetische Komponente mit hoher Erblichkeit", schreiben die Forscher*innen. "Es ist allgemein anerkannt, dass die Evolution auch menschliche Gewalt geprägt hat."

Wir haben uns durch die Evolution viel eher dazu entwickelt, gegeneinander zu kämpfen, tippen die Forscher*innen. Wie die Studie zeigt, stieg im Laufe der Zeit die Rate der tödlichen Gewalt untereinander zunächst an – heute werden rund zwei Prozent aller menschlichen Tode durch Menschenhand herbeigeführt. Das deute darauf hin, dass die menschliche Gewalt eine genetisch festverdrahtete Tendenz ist, die sich von der Aggression der frühen Säugetiere her immer weiter ausgebildet hat.

Die Forscher*innen um Gómez stellten aber fest, dass die tödliche Gewalt untereinander in Verbindung mit Schwankungen in der soziologischen und politischen Organisation der Bevölkerung ebenfalls schwankt. Die blutrünstigste Zeit unserer Geschichte war das Mittelalter. Die Schaffung von Gesellschaften, in der staatliche Gewalt legitimiert wurde, ließ die tödliche Gewalt wieder sinken. Kultur kann die evolutionär vererbte menschliche Gewalt also beeinflussen. Und wir könnten da wieder herauswachsen.

Die Gewaltkurven laufen über die Geschichte betrachtet nämlich nicht immer gleich, sondern ebbten immer wieder ab oder sprangen nach oben – je nach sozialen und territorialen Begebenheiten.

Für die Forscher*innen ist das die wichtigste Botschaft ihrer Studie, wie sie schreiben: "Egal wie gewalttätig oder pazifistisch wir ursprünglich waren, wir konnten das Ausmaß der Gewalt durch Veränderung unserer sozialen Umwelt senken." Wir können eine friedliche Gesellschaft aufbauen, wenn wir das wollen.