Die Sängerin Taylor Swift gewann vergangene Woche endgültig den Prozess gegen den früheren Radio-DJ David Mueller. Nach vierstündigen Beratungen stellten sich die acht Geschworenen in Denver – US-Staat Colorado – am Montag auf die Seite der Sängerin.

Mueller muss Swift als Entschädigung ein symbolisches Schmerzensgeld in Höhe von einem Dollar zahlen. Er streitet nach wie vor ab, es gewesen zu sein, bedauert keinen Job mehr zu finden und in der Öffentlichkeit nun für immer der Typ zu sein, der Taylor Swift begrapscht hat.

Der Fall bekam viel Aufmerksamkeit und entfachte eine weltweite Diskussion rund um Victim Blaming, die Frage nach Verhältnismäßigkeit und Sexismus in der Musikindustrie. Viele solidarisierten sich mit Swift, manche stellten aber auch die Fairness des Prozesses infrage. Klar ist: Sexuelle Belästigung ist strafbar und muss verfolgt werden.

Aber gebührt dem ehemaligen DJ dafür der Hass der ganzen Welt und Arbeitslosigkeit?

"Thanks for coming"

Alles begann 2013 vor einem Konzert in Colarado, als Swift gemeinsam mit Fans für Fotos bei einem Meet and Greet posierte. Swift erklärt den Vorfall gegenüber TMZ so: "Er legte seine Hand unter mein Kleid und fasste auf meinen nackten Hintern."

Die Sängerin war danach schockiert und wusste nicht, was sie sagen sollte und antwortete ihm deshalb nur "Thanks for coming". "Es war, als hätte jemand meine Persönlichkeit abgeschaltet", erklärt Taylor Swift ihre Reaktion später.

Swifts Management hatte zunächst versucht, die Angelegenheit inoffiziell zu klären. Den Rechtsstreit begann Mueller 2015 mit einer Klage gegen Swift, ihre Mutter und ihren Manager. Er machte die drei für den Verlust seines Jobs verantwortlich und forderte von ihnen fast drei Millionen Dollar – 2,54 Millionen Euro – Schadensersatz. Swift reichte daraufhin Gegenklage ein.Sie betonte vor Gericht keine Schuld an der Kündigung zu haben, es sei in der Verantwortung der Radiostation gelegen. An den Anwalt Muellers gerichtet sagte sie: "Ich werde mich weder von dir noch deinem Klienten dazu bringen lassen, mich in irgendeiner Weise zu fühlen, dass dies meine Schuld ist. Hier sind wir Jahre später, und ich werde für die unglücklichen Ereignisse seines Lebens verantwortlich gemacht, die das Produkt seiner Entscheidungen sind – nicht meiner. "

Klar ist, dass Taylor Swift mit ihren 85 Millionen Flollower*innen auf Twitter, ohne jemals auch nur einen Tweet abgesetzt zu haben und 170 Millionen verkauften Tonträgern, am längeren Hebel sitzt. Mit ihren doch recht niedlichen Songs und gleicher Attitude, war sie lange nicht gerade als die Kämpferin des Feminismus bekannt. Trotzdem fällt Swift nicht zum ersten Mal durch ihren Einsatz gegen sexuelle Belästigung und Gewalt auf. Im vorigen Jahr unterstützte sie die Sängerin Kesha mit 250.000 Dollar für deren Rechtsstreit gegen einen Produzenten, dem Kesha unter anderem sexuellen Missbrauch vorwarf.

Aktion im Namen aller Frauen

Die Sängerin weiß, dass sie sich in einer privilegierten Position befindet, wie sie selbst sagt, und sich die meisten Frauen eine derartige Klage inklusive Gerichtskosten erst gar nicht leisten könnten – und vielleicht auch nicht recht bekommen würde. Nach Darstellung ihres Anwalts wollte sie genau darum allen Frauen zeigen, dass man sich gegen sexuellen Missbrauch wehren könne. "Ich weiß, dass ich im Leben und in der Gesellschaft privilegiert bin und dass ich die Kosten für einen Gerichtsprozess wie diesen tragen kann, um mich selbst zu verteidigen. Meine Hoffnung ist, anderen zu helfen, deren Stimme ebenfalls gehört werden muss."

Zahlreiche Stars und Kolleg*innen stellten sich im Laufe des Prozesses auf die Seite von Swift. Sängerin Nelly Furtado lobte ihren Einsatz für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz und berichtet von ähnlichen Erfahrungen:

Auf der anderen Seite beteuert David Mueller nach wie vor seine Unschuld. Auf die Frage von abc, ob er Swift somit vorwerfe zu lügen, antwortet er: "Was ich sage ist, dass ich nicht getan habe, was sie sagen. Ich habe es nicht getan. Ich habe sie nie begrabscht oder meine Hand unter ihren Rock gelegt."

Manche sympathisieren nun mit dem DJ oder finden es verhältnislos, dass der DJ für einen betrunkenen Ausrutscher nun sein ganzes Leben bereuen müsse. In Zeiten des Internets wissen wir alle, wie schnell und intensiv Menschen Hass abbekommen können. Und ja, vielleicht mag es unverhältnismäßig sein, dass Mueller nun den gesamten Frust über unsere nach wie vor sexistische Gesellschaft abbekommt und Frauen ähnliche Erlebnisse auf ihn projizieren. Man darf aber auch nicht vergessen, dass schließlich er den Prozess begonnen hatte und bis heute seinen Fehltritt nicht zugibt, obwohl es sowohl ein Beweisfoto als auch die Zeugenaussagen eines Bodyguards gibt.

Wer, wenn nicht Swift?

Natürlich ist Taylor Swift als eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Pop-Sängerinnen in einer privilegierten Position. Aber wenn nicht sie für die Rechte der Frauen eintritt, wer dann? Mueller zu bemitleiden und bei Swift Mitschuld zu suchen ist ein klassischer Fall des Victim Blamings.

Es war verdammt noch mal einfach nötig, dass endlich auch vor Gericht klargemacht wird, dass Begrabschen nicht einfach so passieren darf, sondern einen sexuellen Übergriff darstellt. Allein der Begriff Begrabschen untermauert die Tiefe des Eingriffs. Lange genug wurde in der Vergangenheit ein Klaps auf den Po behandelt, als wäre es eine Umarmung oder ein Händedruck und würde zum Umgang gehören und müsse von den Frauen einfach akzeptiert werden.

Im Winter vergangenen Jahres wurde das Sexualrecht auch in Deutschland erneuert. Nach Gina-Lisa Lohfinks Fall wurde die so genannte Nichteinverständnislösung – also den Grundsatz Nein heißt Nein – im Sexualstrafrecht verankert. Unter Strafe fällt mit der neuen Regelung auch die sexuelle Belästigung. Demnach handelt strafbar, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, etwa durch Begrabschen. Es bleibt dennoch ein langer Weg, bis endlich alle realisiert haben, dass Gegrabsche nicht zufällig passiert und gar nicht so harmlos ist, wie es klingt.

Für Taylor Swift beinhaltete dieser Prozess auch Risiken. Sie bewies viel Mut damit, öffentlich darüber zu sprechen und sich nicht von Muellers Klage über fast drei Millionen Dollar und seinen Anschuldigungen, dass sie alles falsch interpretiert hätte, verunsichern ließ. Man muss Swifts Musik auch nicht mögen, um ihr an dieser Stelle Respekt zu zollen. So gut wie jede Frau hat derartiges erlebt.

Und so gut wie jede Frau kann ein Lied davon singen, wie fremde Hände – scheinbar zufällig – auf ihren Hintern gelandet sind.