Da ist er wieder. Dieses Mal auf der außenpolitischen Bühne, Scheinwerfer an, Mikrofoncheck, eins, zwei drei, und go! Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mal wieder international für Aufregung gesorgt. Ein Beitrag von extra 3 hat ihm nicht gepasst.

Immer wenn Erdogan es mit seinen Äußerungen in die deutsche Presse schafft, nehme ich Anfragen und Kommentare entgegen als wäre ich sein Sprecher in Deutschland: Wie stehst du eigentlich zu ihm? Hast du schon gehört, was euer Typ wieder gemacht hat? Teilst du eigentlich seine Positionen?

Als Deutscher mit türkischen Wurzeln stehe ich Rede und Antwort, immer wenn es um die Türkei geht: Islam, Kopftuch, Moscheen, IS. Syrien, Kurden, Waffen und Öl. Oh, und Istanbul, Antalya, und Bauchtanz. Und am Ende wieder Kopftuch. Ich stehe da wie eine kostenlose Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung über die aktuelle türkische Politik.

Eigentlich freut es mich ja, wenn Menschen von mir bestimmte Ereignisse erklärt bekommen wollen. Richtig glücklich macht mich das Reden über türkische Politik aber nicht. Und das hat einen Grund: Ich bin kein Türke. Also kein Türke wie ein Türke in der Türkei. Kein türkischer Pass, damit auch nicht verpflichtet, Wehrdienst dort zu leisten, kein Wahlrecht, kein türkischer Patriotismus, nichts. Ich bin so wenig Türke, dass ich bei der Deutschen Bundeswehr meinen Dienst geleistet habe. Ich habe türkische Vorfahren und spreche Türkisch. Aber das reicht ja vielen schon. Wann hat jemand seinen "polnischen" Kumpel über die Regierungsarbeit von Beata Szydlo befragt? Noch nie gehört. Und ich dachte immer, sie wäre so umstritten.

Mein Job als Dauer-Live-Schalte aus Istanbul

Das Merkwürdige ist, dass ich die meiste Zeit gar nicht mit der türkischen Kultur in Verbindung gebracht werde. Ganz im Gegenteil. Ich bin der Kieler mit dem dezenten norddeutschen Akzent, der manchmal mehr deutschen Patriotismus verlangt und seine Türkischkenntnisse nur präsentiert, wenn jemand die richtige Aussprache von Döner wissen will. (Das "ö" nicht langziehen, "r" betonen.) Ich teile soviel mehr mit der deutschen Gesellschaft, als mit der türkischen.

Aber innerlich pendele ich doch zwischen Döner Imbiss und Brauhaus, jeden Tag. Wenn das Umfeld es wünscht, dann bin ich der Türke, der alle türkischen Gerichte kennen und zubereiten muss. Oder halt der Türke, der über türkische Innen- und Außenpolitik spricht und Erdogans irre Worte und Taten erklären muss. Dabei wünsche ich mir eigentlich, über meine Kanzlerin und ihre Politik zu diskutieren. Das gelingt mir nur selten und am besten klappt es, wenn ich in der Türkei bin. Denn dort bin ich definitiv der Deutsche. Endlich. Aber das ist nochmal ein ganz anderes Phänomen.

Hier in Deutschland bin ich offenbar nicht deutsch genug, um meinen Job als Dauer-Live-Schalte aus Istanbul endlich an den Nagel zu hängen und im ARD Hauptstadtstudio zu arbeiten. So fühlt es sich jedenfalls an. Vermutlich bin ich auch selber schuld. Ich beschäftige mich täglich mit den Vorkommnissen in der Welt und die Türkei nimmt nun mal momentan darin einen großen Platz ein. Es ist auch zu spannend manchmal. Neutral bleiben kann ich bei dem Thema eh nicht. Von Erdogan halte ich gar nichts und hoffe bei jeder Wahl auf einen Machtwechsel – bisher vergeblich.

Aber vielleicht ist Erdogan für Menschen wie mich auch ein Segen. Die Vorstellung, dass ich seine Meinung teile, scheint für viele unmöglicher als je zuvor. Vielleicht assoziieren sie mich dadurch weniger mit der Türkei, denn einen anderen türkischen Politiker kennen die meisten nicht. Dann erkennen sie endlich, dass ich hier wählen gehe, von der Politik dieses Landes betroffen bin und eigentlich lieber im Brauhaus sitze, als im Döner Imbiss.