Lara ist erst 25 und hat noch viel vor sich: viele Feste, viele Lieder, viele Küsse – und viele Jahrhunderte. Denn Lara lebt im Jahr 2044; in einer Zukunft, in der Mensch und Maschine eins geworden sind. Niemand ist mehr krank und niemand stirbt. Gesundheit ist so selbstverständlich wie mühelos. Abgenutzte Organe werden ausgetauscht, fehlende Körperteile werden ersetzt. Friedhöfe stehen unter Denkmalschutz und Krebs ist ein selten ausgesprochenes Wort für eine noch seltenere Krankheit.

Doch wie ist das möglich? Ist es Magie, ein Wunder, der Messias? Nein, alles eine Frage der Technik: Durch Laras Körper schwirren Billionen von Nanoroboter, klein wie rote Blutkörperchen. In den Gefäßen, im Gewebe, überall sind sie unterwegs – zerstören Krankheitserreger, berichtigen die DNA, filtern Gifte und reparieren Abnutzungen.

In Laras Gehirn beeinflussen die Bots alle Neuronen: So erhöhen sie ihre Intelligenz, verbinden ihren Körper mit dem Internet und erschaffen virtuelle Realität für alle Sinne, in der nichts unmöglich ist. Sprachen oder Instrumente lernt Lara binnen Sekunden, lädt das Wissen einfach aus dem Netz. Sie ist wie alle anderen Menschen: ein Lexikon auf Beinen, das alles weiß und jeden kennt.

Zukunftsmusik

Laras Alltag ist fiktiv, aber nicht aus der Luft gegriffen: Er basiert auf den Theorien zur Singularität – aufgestellt beziehungsweise verfolgt von Wissenschaftlern wie Michio Kaku, Zukunftsforschern wie Ray Kurzweil, Unternehmen wie Google und Regierungseinrichtungen wie der Nasa.

Einigen dieser Theorien zufolge, ist ein Leben wie das von Lara die Zukunft der Menschheit. Was es umso spannender macht, sie sich genauer anzusehen. Ganz davon abgesehen, dass sie ein ganz kleines bisschen verrückt klingen.

Singu-was?

Die Singularität ist der Zeitpunkt in der Zukunft, wenn Künstliche Intelligenz mit Bewusstsein entsteht, die alle Grenzen sprengt. Es ist eine Zeit, in der Mensch und Technik verschmolzen sind: die Epoche der Maschinen-Menschen, die sich rasant selbst verbessern. Weil sie können. Weil sie nicht mehr an die biologische Evolution gebunden sind, sondern technisch aufrüsten und sich selbst immer weiterentwickeln.

Die Maschinen-Menschen sollen unsterblich sein, immun gegen alle Krankheiten, ewig jung und unfassbar intelligent. Und die Ultraintelligenz in der Singularität könnte in wenigen Stunden mehr Erkenntnisse liefern, als die Arbeit einer Milliarde Einsteins innerhalb eines Jahres. Das würde die Welt von Grund auf verändern: Hunger, Armut und Umweltverschmutzung könnten der Vergangenheit angehören.

Der Vorhang fällt

Wegen dieser Ultraintelligenz gilt für die Singularität, dass alles, was danach passiert, vom heutigen Stand aus nicht vorhersehbar ist. Sonst müsste man ja wissen, wie diese Intelligenz sich verhalten wird. Und dafür müsste man wissen, was sie wissen wird – was ungefähr so sinnvoll ist, wie sich vorzustellen, man sei Albert Einstein, um dann zu versuchen, die Relativitätstheorien zu verstehen.

Daher kommt auch der Name: Singularität ist nämlich eigentlich eine Bezeichnung aus der Physik. Sie meint einen Punkt mit unendlicher Schwerkraft, beispielsweise ein schwarzes Loch. Weil nichts daraus entkommen kann, nicht einmal Licht, ist es wie ein Vorhang. Alles, was dahinter stattfindet, ist verborgen.

Segen oder Unfall?

Dass Singularität so vielversprechend ist, erklärt auch, warum die Nasa, Intel, Nokia und Cisco sie fördern. Und, warum Google-Gründer wie -Mitarbeiter*innen beim Aufbau der Singularity University geholfen haben. Im Rennen um die Singularität winken dem, der die Nase vorne hat, nämlich ungeheure Gewinne.

Aber im Chor der Zukunftsbeschwörer*innen singen auch mahnende Stimmen: Stephen Hawking hat mehrfach betont, Künstliche Intelligenz sei unausweichlich und die Menschheit müsse sich vorbereiten. Gemeinsam mit über 1000 Forscher*innen und Philosoph*innen unterzeichnete er 2015 einen offenen Brief, der vor intelligenten Waffen warnt.

Und Steve Wozniak, einer der Apple-Gründer, sagte während eines Vortrags, Künstliche Intelligenz werde so plötzlich kommen wie ein Unfall. Crash! Boom! Bang! Der Superroboter ist da.

Härter, besser, schneller, stärker

So weit, so gut. Singularität klingt ziemlich abgehoben. Aber ihre Basis ist einfach: Der Umstand nämlich, dass technologischer Fortschritt immer schneller und schneller wird. Als Beispiel nehme man eine Geburtstagskarte, in der ein Chip "Happy Birthday" singt: "Der Chip hat mehr Rechenpower als alle Alliierten 1945", erzählt der Physiker Michio Kaku, "Hitler, Stalin, Churchill oder Roosevelt hätten getötet für diesen Chip. Und was machen wir? Wir schmeißen ihn weg." 1969 schickte die Nasa Menschen zum Mond – heute hat jedes Smartphone mehr Power als alle Computer zusammen, die bei dieser Mission benutzt wurden.

So geht es weiter, immer weiter in Richtung Singularität. Etwa alle 18 Monate verdoppelt sich derzeit die Rechenkraft, die man zum gleichen Preis kaufen kann. Technologien kommen und werden abgelöst, Computer werden immer schneller; und immer kleiner. Was dazu führt, dass sie immer näher am Körper getragen werden. Und auch schon ihren Weg ins Innere gefunden haben.

Wann sind wir daahaa?

Da man keine Vorhersagen über die Folgen der Singularität machen kann, konzentriert sich alles auf den Weg zum Ziel und wann die Menschheit da wohl ankommt. Der Erfinder, Unternehmer und Zukunftsforscher Ray Kurzweil ist der bekannteste Verfechter der Singularität. Er sagt: 2045 sind wir da! Der Informatik-Professor Beat Honegger unterbietet: Spätestens 2040! Andere, wie der Physiker Michio Kaku, wirken dagegen bescheiden: Im Lauf der nächsten Jahrhunderte. Irgendwann.

Einer Meinung sind die meisten "Singularitarier*innen" nur, wenn es um die Hürden geht, die auf dem Weg zur Singularität übersprungen werden wollen. Drei von ihnen soll die Menschheit nehmen: Genetik, Nanotechnologie und Robotik.

In der Genetik-Phase lernen Menschen, das Erbgut zu ihrem Vorteil zu verändern. In der Nano-Phase rüsten winzige Bots den Körper von Innen auf. Und im letzten Schritt, der Robotik-Phase, entsteht mit Hilfe der Nanotechnologie eine Künstliche Intelligenz mit Bewusstsein, die alles bisher Dagewesene übertrifft. An dieser Grenze steht das Schild: Hier beginnt die Singularität.

Es gibt mehr

Bis diese Ultraintelligenz entsteht, kann die Zukunft also noch erahnt werden. Einige dieser Ahnungen zeigen die folgenden vier Teile dieser Serie: Sie versammeln Technologien aus Genetik, Nanotechnologie und Robotik, die es bereits gibt und enthüllen die Welt, in der wir heute leben.

Was den Singularitätstheorien zufolge noch werden könnte – darüber gibt Laras Alltag Auskunft, zu Beginn jedes Teils. Was macht der technologische Fortschritt mit uns? Wie menschlich sind wir noch im Jahr 2044, kurz vor der Singularität? Und ist das alles überhaupt realistisch?

Fortsetzung folgt

Im zweiten Teil beginnt die Reise bei den Genen. Spoiler Alert: Ja, es gibt bereits Farmen, die sich auf geklonte Rinder spezialisiert haben. Und Firmen, die Haustiere klonen. Und Katzen, die im Dunkeln leuchten. Miau!