Im Laufe unsere Lebens verändert sich nicht nur unser Aussehen, es verändert sich auch unsere Persönlichkeit. Nicht nur ein bisschen, sondern bis zur Unkenntlichkeit. Wir verändern uns so sehr, dass sich manche Expert*innen der Philosophie und Psychologie die Frage stellen, ob wir über die Dauer unseres Lebens tatsächlich ein und derselbe Mensch bleiben.

Das ergibt die längste Langzeit-Persönlichkeitsstudie, die jemals durchgeführt wurde. Sie ist Ende Dezember in Psychology and Aging veröffentlicht worden und kürzlich von der British Psychological Society wieder aufgegriffen worden. Kernerkenntnis: Die ständige Zellerneuerung verändert nicht nur unser Aussehen, sondern auch unsere Persönlichkeit.

Die Studie startete im Jahr 1950. Lehrer*innen ordneten insgesamt 1.208 Schüler*innen in Schottland im Alter von 14 Jahren mittels sechs Fragebögen sechs verschiedenen Persönlichkeitszügen zu: selbstbewusst, ausdauernd, stimmungsstabil, pflichtbewusst, originell, lernbegierig. Die Ergebnisse dieser Fragebögen wurden zu einer einzigen Eigenschaft zusammengefasst, welche die Wissenschaftler*innen dependanility, auf Deutsch etwa Stabilität oder Zuverlässigkeit, nannten. Mehr als sechs Jahrzehnte später konnten Forscher*innen 635 Teilnehmer*innen wieder ausfindig machen, 174 erklärten sich für eine erneute Befragung bereit.

Die mittlerweile 77-Jährigen bewerteten sich selbst erneut nach den sechs Persönlichkeitszügen und baten eine enge Bekanntschaft oder eine*n Verwandte*n, dasselbe zu tun. Das Ergebnis: Es gab so gut wie keine Übereinstimmungen zu damals. 63 Jahre später war keine der sechs Persönlichkeitszüge signifikant stabil geblieben, genauso wenig, wie der zugrundeliegende Faktor der dependability. Das überraschte selbst die Wissenschaftler*innen: "Eigentlich vermuteten wir, Beweise für stabile Persönlichkeitsmerkmale über einen noch viel längeren  Zeitraum als 63 Jahre zu finden, aber unsere Korrelationen unterstützten diese Hypothese nicht", schreiben sie in der Studie.

Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu anderen Langzeit-Persönlichkeitsstudien. Vor allem Studien, die Persönlichkeitsveränderung zwischen Kindheit und mittleren Lebensalter oder zwischen mittleren und hohem Alter untersuchten, beobachteten konstante Persönlichkeiten ihrer Teilnehmer*innen. Doch: Je länger das Zeitintervall zwischen Persönlichkeitsmessungen ist, desto schwächer wird deren Zusammenhang. Nach 63 Jahren ist so gut wie nichts mehr davon übrig.

Wenn sich individuell charakteristische Gedanken-, Gefühls- und Handlungsmuster gemeinsam mit diesen zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen über Jahrzehnte ändern, könnte man jetzt je nach Definition von Persönlichkeit urteilen, dass wir in hohem Alter nicht mehr wahrhaftig dieselben Menschen sind wie in unserer Jugend. Könnte eine 80 Jahre alte Frau auf ihr 17-jähriges Selbst treffen, wäre es demnach möglich, dass sich die beiden nicht mal leiden könnten. Wenn es denn überhaupt so etwas wie ein "Selbst" gibt.