Wer bin ich überhaupt? Diese Frage habe ich mir in meinen 22 Lebensjahren häufig gestellt. Als Kind bosnischer Geflüchteter in Hamburg, der schönsten Stadt der Welt, geboren und aufgewachsen, bin ich häufig auf der Suche nach einer Antwort. In Bosnien bin ich für viele die Deutsche, in Deutschland hingegen bin ich oft nur die Bosnierin – ein Phänomen, das vermutlich viele junge Menschen mit Migrationshintergrund kennen.

Da ich kürzlich angefangen habe, Ethnologie zu studieren, beschäftige ich mich nun viel intensiver mit der Frage, was Kultur ist. Was meine Kultur ist. Plötzlich bin ich hin- und hergerissen zwischen Kulturen und Identitäten, zwischen Schlager und Sevdalinka (= bosnische Volksmusik) und versuche herauszufinden, ob ich mich für eine Seite entscheiden könnte, wenn ich müsste. Für wen würde ich in einem WM-Finale zwischen Deutschland und Bosnien jubeln? Ich werde es wohl so bald nicht erfahren. Die bosnische Nationalmannschaft spielt derzeit wirklich grausamen Fußball.

Definiert ein Stück Papier die Liebe zu einem Land?

Als ich vor einigen Jahren in der Hamburger Innenstadt einen älteren Herrn, der sich lautstark gegen Einwanderung aussprach, mit meiner Herkunftsgeschichte konfrontierte, fragte er mich, welchen Pass ich besitze. Er warf mir schließlich an den Kopf, ich solle doch in Bosnien leben, wenn ich schon keine deutsche Staatsbürgerin wäre. Wird meine Liebe zu einem Land wirklich von einem Stück Papier definiert? Liebe ich ein Land weniger, weil ich auch ein anderes liebe? Ein fieseres Beispiel: Kann man sich als Mutter oder Vater für eines von zwei Kindern entscheiden?

Warum sollte ich mich überhaupt entscheiden müssen? Menschen, die das fordern, haben selbst keinerlei Bezug zu dieser Thematik und können nicht nachvollziehen, dass man sich nicht für ein Land, für eine Kultur entscheiden kann, wenn man zwischen zweien steht. Sie können nicht nachvollziehen, dass mir sowohl das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin als auch das Land, in dem meine Wurzeln liegen, wichtig sind. Sie verstehen nicht, dass ich reich bin, weil ich zwei interessante, teilweise vollkommen gegensätzliche Kulturen in mir vereine.

So war es schon immer das Normalste der Welt, zweimal im Jahr Bayram, das islamische Zucker- und Opferfest, zu feiern, im Dezember einen Weihnachtsbaum zu schmücken und mit meinen Freund*innen, die ebenfalls aus den verschiedensten Kulturkreisen stammen, Weihnachten zu feiern.

Wer offen ist für andere Kulturen, hat mehr von der Welt

Ich bin in einem Stadtteil aufgewachsen, der glatt als Definition des Begriffes Multikulti durchgehen könnte und es hat niemandem geschadet, die verschiedenen kulturellen Einflüsse aufzunehmen und zu verinnerlichen, ganz im Gegenteil. Egal ob ich die bosnische und die deutsche Kultur, die türkische und die deutsche Kultur, die russische und die deutsche Kultur oder die afghanische und die deutsche Kultur in mir vereine: Wir alle können mit unserem Kulturverständnis dazu beitragen, Brücken in der Gesellschaft zu errichten; Brücken, die wir in einer Zeit, in der die Angst vor fremden Kulturen Barrikaden in den Köpfen errichtet und Hass sät, dringend gebrauchen können.

Es ist genug Platz in meinem Herzen

Mittlerweile besitze ich einen deutschen Pass und musste meine bosnische Staatsbürgerschaft aufgeben. So klischeehaft es auch klingen mag, hatte ich dabei das Gefühl, einen Teil von mir abzugeben, weil ich deutsch und bosnisch bin. Eine norddeutsche Bosnierin, die sich auf dem Papier zwar entscheiden musste, in ihrem Herzen jedoch immer Platz für beide Kulturen haben wird.