Sie dulden die Unterdrückung nicht länger: Tausende Studierende in Kaschmir, einer indischen Region nördlich von Pakistan, sind seit Wochen auf den Straßen. Sie schreien, werfen Steine, liefern sich offene Kämpfe mit Militär und Polizei. Seit Mitte April ein 17-jähriger Kommilitone von indischen Sicherheitskräften erschossen wurde, ist ihre Wut gegen das System entfesselt.

Wir wollen Freiheit", rufen die Studierenden in Srinagar, der Hauptstadt

Die Gewalt gegen die Studierenden erreicht derzeit immer krassere Ausmaße, Medienberichten zufolge wurden Hunderte verletzt in Krankenhäuser eingeliefert, Dutzende festgenommen. Die indische Regionalregierung errichtete etwa einen Checkpoint vor dem Government Degree College in Pulwama, um die Studierenden unter Kontrolle halten zu können.

Sie wehren sich vehement gegen diese Mittel, vermummen sich, versammeln sich auf Straßen, treiben die Sicherheitskräfte hinter sich her und attackieren ihre Fahrzeuge. Studentinnen aus Frauen-Universitäten übernehmen führende Rollen bei den Protesten, wie Al Jazeera berichtet.

Nur eine weitere Eskalation im langen Kaschmir-Konflikt

Der wichtigste Auslöser für die neue offen-aggressive Stimmung gegen die Staatsgewalt war offenbar ein Video vom 9. April, das ein Twitter-Nutzer hochgeladen hatte. Es zeigt, wie das indische Militär einen Demonstranten als menschliches Schutzschild vor die Windschutzscheibe eines Fahrzeugs fesselte und so durch die Straßen patrouillierte – mutmaßlich, um andere Protestierende davon abzuhalten, mit Steinen zu werfen. Der ehemalige Ministerpräsident von Jammu und Kaschmir, Omar Abdullah, übte über Twitter offen Kritik an dem Vorgehen.

In Kaschmir tobt seit Jahrzehnten ein komplexer und brutaler Konflikt zwischen Rebellen und der Regionalregierung. Versammlungen sind in Kaschmir verboten, Bürger*innen werden von den Straßen ferngehalten. Wie Jan Roß, Auslandskorrespondent für Zeit Online in Indien, schreibt, wollen die Behörden damit Aktionen von antiindischen Demonstrierenden und Militanten verhindern. Diese wollen aus der mehrheitlich muslimischen Provinz einen eigenen Staat machen oder sich dem islamischen Pakistan anschließen. Im Konflikt zwischen Pakistan und Indien sind seit den 1980er-Jahren mindestens 70.000 Menschen getötet worden, 8.000 Menschen verschwanden spurlos, 1,5 Millionen sind traumatisiert, wie ein kaschmirischer Arzt bezeugt.

Kürzlich verhängte die Regionalregierung eine Art elektronische Ausgangssperre, berichtet Joß: Einen Monat lang wird in Kaschmir der Zugang zu Plattformen wie Facebook, Twitter, WhatsApp oder Skype blockiert sein. Kein Highspeed-Internet mehr. Die offizielle Begründung: Soziale Medien würden antinationalen Elementen zur Unruhestiftung missbrauchen. Für die Menschen dort ist das Internet mit die einzige Möglichkeit, untereinander zu kommunizieren und sich für Proteste abzusprechen.

Der Zorn kaschmirischer Menschen staute sich lange auf – jetzt hat sich der Kampf um das Recht auf Protest und gegen die Unterdrückung auch auf Universitätcampus ausgeweitet. Am vergangenen Samstag eskalierte ein Straßenkampf zwischen Studierenden und der Polizei nahe der Uni in der Stadt Handwara. Die Sicherheitskräfte setzten dort sogar Gas ein, um die Protestierenden zurück zu drängen. Wieder wurden viele verletzt.

Der wütende Protest wird vorerst nicht zur Ruhe kommen.