Neulich im Modegeschäft: Als ich gerade nach einem T-Shirt griff, das eine lustige Avocado aufgedruckt zu haben schien, zog ich es weiter heraus und musste feststellen: nicht eine lustige Avocado. Das sind zwei, aufgedruckt auf Nippelhöhe. Mal wieder eines dieser Shirts, dachte ich fast ein bisschen genervt und hängte es zurück.

Als die ersten T-Shirts in Umlauf kamen, die Früchte, Sterne oder aufgemalte Brüste zeigten, zeugte das noch von einem neuen Gefühl. Die simplen Shirts sehen schließlich cool, verspielt und lustig aus. Und vor allem sind sie ein dezenter und gleichzeitig starker Seitenhieb. Sie rücken etwas immer noch oft Tabuisiertes, beziehungsweise von Medien und Gesellschaft Sexualisiertes wie die weibliche Brust volle Kanne in den Mittelpunkt. Schaut her, hier sind sie, scheinen die Oberteile zu rufen – allerdings, ohne wirklich viel zu zeigen.

Ein körperloses Paar Brüste

Gerade in Zeiten, in denen Instagram männliche Oberkörper erlaubt und weibliche Nippel zensiert, rütteln die Boob-Shirts unsere Gesellschaft wach. Im Einklang mit der #freethenipple-Bewegung bilden sie einen weiteren Schritt in Richtung Female Empowerment, in Richtung Gleichberechtigung und Gleichbehandlung. Auf eine subtile Weise geben sie den Frauen ihre Brüste ein Stück weit zurück und stellen sich über eine Objektivierung von Frauen, wie es auch Haley Nahman von der Plattform Man Repeller feststellt: "Zum ersten Mal sind die Brüste abgetrennt von ihrer Besitzerin. Sie werden nicht im Kontext einer weiblichen Person hervorgehoben, sondern als ein körperloses Paar". Sie schreibt weiter: "Der männliche Blick auf die Brüste fehlt hier so offensichtlich, so deutlich. Diese Brüste sind nicht gepusht, nicht total symmetrisch, keine gefetteten Objekte eines Sports Illustrated Covers." Ein spannender Gedanke.

Mittlerweile fühlt es sich jedoch an, als wäre diese starke Nachricht verloren gegangen. Die Boob-Shirts sind im totalen Mainstream angekommen. Flamingo-Nippel hier, Avocado-Nippel dort. Wie bei Bands, die man schon gut fand, als sie noch in kleinen Clubs gespielt haben, frage ich mich, was die breite Masse mit diesem – jetzt ist es einer – Trend macht. Wenn es Shirts dieser Art überall zu kaufen gibt, sieht dann überhaupt noch jemand, worum es eigentlich geht? Und fühlen sich die Träger*innen automatisch als Feminist*innen? Oder andersherum: Ist der Mainstream eigentlich etwas Gutes? Bedeuten mehr Nippel-Shirts nicht auch mehr Umdenken?

T-Shirt-Feminismus für alle?

Vielleicht schwingt bei dieser Überlegung auch ein generelles Problem des sogenannten T-Shirt-Feminismus mit. Genauso wie es seit einiger Zeit Shirts mit allen möglichen Aufschriften von Feminist bis Women's Rights Are More Than Alright zu kaufen gibt – die aber nicht zwangsläufig Position, sondern nur Pose bedeuten. Dieses Phänomen beschrieb Maria Hunstig Anfang Juli im SZ-Magazin. Sie erzählt, wie Dior im September 2016 ein schlichtes weißes Baumwoll-T-Shirt mit dem Aufdruck We Should All Be Feminists auf den Markt warf und damit einen Nerv traf: "Und so wurde das Shirt bald an Stars wie Rihanna, Kendall Jenner, Natalie Portman und Jennifer Lawrence gesichtet und zum It-Piece der Saison, trotz seines stolzen Preises von 550 Euro." Sie verdächtigt die Modefirmen, nur auf einen Zug aufzuspringen, um sich zeitgeistig zu positionieren. Die Slogans würden durch ihre inflationäre Verwendung aber an Symbolkraft verlieren.

Tschüss, Symbolkraft

Dieses Gefühl macht sich auch breit, wenn ich mir anschaue, in welcher Masse Boob-Shirts mittlerweile als gewinnbringende Artikel in allen möglichen Modeläden hängen, wer sie alles trägt und vor allem wie. Wenn sie plötzlich als Crop-Top auftauchen, untergräbt das doch etwas die eigentliche Nachricht der extra formlosen Oberteile? Oder ist es so meta, das ich nur einfach nicht mehr mitkomme?

Am Ende zählt wohl eher, wer so ein Oberteil trägt und nicht, dass die Person es anhat. Wofür diese Person sonst steht und was sie zu sagen hat. Eine*n Feminist*in machen die Shirts aber aus niemandem, denn mit einem Kleidungsstück ist es nicht getan. Bestenfalls verhält es sich mit diesem Trend wie mit den kleinen Bands, die plötzlich berühmt werden: Sie werden Fans gewinnen und einige Nachahmer*innen anstacheln. Und am allerwichtigsten: Sie könnten langfristig etwas in unserer Wahrnehmung verändern.