. Der Sticker ist kaum zu spüren, er lässt sich am BH oder unter dem T-Shirt befestigen.

Mohan wollte schon seit Jahren etwas gegen sexuelle Gewalt unternehmen. Wie viele andere war sie schockiert von der Gruppenvergewaltigung in Delhi 2012. Damals war eine 23-Jährige in einem fahrenden Bus von sechs Männern missbraucht und gefoltert worden, sie starb kurze Zeit später an ihren Verletzungen. "Ich dachte mir sofort, ich muss etwas erfinden", sagt Mohan heute gegenüber ze.tt.

Doch das war nicht so leicht. Mohans Universität in Chennai war sehr konservativ. Um die Studentinnen zu schützen, mussten die schon um halb sieben in ihren Schlafsälen sein. Mohan wollte sich davon nicht aufhalten lassen. "Manchmal habe ich abends im Labor weitergearbeitet und mich unter den Tischen versteckt – das Sicherheitspersonal durfte mich ja nicht sehen." Zwei Mal sei sie deshalb fast von der Universität geflogen. Damals entwickelte sie gemeinsam mit anderen Student*innen einen BH, der bei Belästigung Elektroschocks abgibt. Mittlerweile arbeitet sie am MIT und hat dort den smarten Sticker erfunden.

Ein T-Shirt als Alarmanlage

Wie das funktioniert? Der Sticker merkt, wenn das T-Shirt gewaltsam ausgezogen wird. Die Trägerin hat dann 20 Sekunden Zeit, um das Gerät bei einem Fehlalarm zu stoppen – dann verschickt der Sensor automatisch eine SMS mit Standortangabe an fünf Notfallkontakte: Familienmitglieder, Freunde oder auch die Polizei. Gleichzeitig startet eine Sprachaufnahme: Sie soll den Täter anhand seiner Stimme später vor Gericht identifizieren.

Manisha Mohan testete ihre Erfindung an 70 Frauen und Männern – viele davon waren selbst Opfer sexueller Gewalt. Der Sticker soll Menschen helfen, sich im Alltag wieder sicherer zu fühlen. Die Wissenschaftlerin will damit auch denen helfen, die sich gegen sexuelle Gewalt noch schwerer wehren können als andere: alte oder behinderte Menschen und Kinder. Gerade ist Mohan auf der Suche nach Investor*innen für ihr Produkt.

Viele andere Anti-Vergewaltigungs-Produkte am Markt

Der smarte Sticker ist nicht das einzige Gadget gegen sexuelle Gewalt. Immer öfter werden neue Produkte erfunden – auch wenn es oft bei Prototypen und Crowdfunding-Aktionen bleibt. Sie sollen Vergewaltigungen verhindern, indem sie Alarm schlagen oder Täter aufhalten. Wer danach googelt, findet Pfefferspray in Lippenstiftform, Halsketten mit Alarmfunktion. Es gibt Nagellack, der sich verfärbt, wenn man den Finger in einen Drink mit K.O.-Tropfen taucht. Oder spezielle Unterwäsche: eng anliegend, damit sie der Angreifer nicht herunterreißen kann, aus schnittfestem Material. Die schwedische Designerin Nadja Björk hat einen Gürtel gegen Vergewaltigungen entwickelt – olivgrün, im Militärstil und mit silberner Zickzackschnalle. Wer das Verschlusssystem öffnen will, braucht beide Hände. "Viele Frauen sind bei einem Angriff wie paralysiert. Der Gürtel soll ihnen Zeit verschaffen, um sich zu wehren oder um Hilfe zu rufen", sagt Björk gegenüber ze.tt. 

Eine Erfinderin aus Südafrika ging es drastischer an. Sie hat mit Rape-axe eines der umstrittensten Anti-Vergewaltigungs-Produkte entwickelt: ein Kondom mit Zähnen. Den Kunststoff-Tampon führt die Frau in die Scheide ein. Wenn der Vergewaltiger seinen Penis herauszieht, graben sich messerscharfe Widerhaken hinein, die nur von einem Arzt entfernt werden können. Laut Hersteller soll das Produkt noch dieses Jahr in Südafrika verkauft werden, wo die Vergewaltigungsraten zu den höchsten der Welt gehören. Befürworter*innen hoffen auf den Abschreckungseffekt – Kritiker*innen fürchten, der Vergewaltiger würde danach noch brutaler gegen die Frau vorgehen.

Gut gemeint – aber wirkungslos?

Viele Gadgets gegen sexuelle Gewalt sind umstritten. Wolfgang Behr von der Münchner Polizei findet: Zumindest in Deutschland sind sie nicht notwendig. Schreien, kratzen, beißen, um Hilfe rufen – das bringt im Ernstfall mehr. Behr muss ungläubig lachen, als er von Manisha Mohans smartem Sticker hört. "Wenn der Täter eine Waffe dabei hat und das Opfer zwingt, die Kleidung selbst auszuziehen, bringt das gar nichts", sagt er. Außerdem finden viele Übergriffe über der Kleidung statt. Wenn ein Grabscher die Brust einer Frau berührt, bleibt Mohans Sticker stumm – er schlägt nur dann von selbst Alarm, wenn das T-Shirt brutal vom Leib gerissen wird. Auch Björks Sicherheits-Gürtel kann nur verhindern, dass Täter ihn ausziehen – nicht aber, dass er einer Frau zwischen die Beine greift.

Außerdem könnten Gadgets ein falsches Bild von sexueller Gewalt vermitteln. Denn rein statistisch ist es meistens eben nicht der Unbekannte, der Frauen in dunklen Parks oder Unterführungen auflauert. "Wenn wir uns einfach mal die Zahlen anschauen, dann ist es so, dass sexualisierte Gewalt meistens zuhause stattfindet – im sozialen Umfeld der Frauen", sagt Maja Wegener von der Organisation

Terre des Femmes

. Täter sind oft Nachbarn, Partner, Bekannte. In diesem Umfeld würden die Gadgets ohnehin nur wenig nutzen, da sie die Frauen meist nicht tragen würden, da sie sich sicher fühlen.

Ist Technologie der falsche Weg?

Kritiker*innen finden: Die Gadgets senden zudem falsche Signale an die Gesellschaft. "Es kann doch nicht sein, dass wir Dinge entwickeln, die Frauen vor Vergewaltigung schützen", sagt Maja Wegener von Terre des Femmes.

 

"Es geht ja darum, dass wir die Gesellschaft so verändern, dass es keine Vergewaltigungen mehr gibt!"

Viele sehen in der Anti-Vergewaltigungs-Technik auch eine weitere Form des Victim Blaming. Denn sie verlagert die Verantwortung zumindest indirekt auf das Opfer. Statt zu sagen: Männer, hört auf zu vergewaltigen, klingt das oft eher nach: Frauen, bringt euch in Sicherheit. Kritiker*innen befürchten: Die Gadgets könnten zu einer weiteren Verhaltens-Vorschrift für Frauen werden – statt: "Trag keinen Mini-Rock" eben "Trag einen smarten Sticker".

Um eine akademische Diskussion über das Thema führen zu können, müsse man sich erst in einer Position befinden, in der man sich das leisten kann, meint Manisha Mohan dazu. "Natürlich würde ich gerne in einer idealen Welt leben, in der wir über solche Technologien gar nicht erst nachdenken müssen", sagt sie. "Aber momentan ist es ähnlich wie über Krebs nachzudenken. Keiner wünscht sich die Krankheit – aber wenn man sie hat, kämpft man besser dagegen an."