"Das ist mir noch nie passiert", glühte mir A. ins Ohr, "aber ich finde wirklich beide gleich gut!" Wir standen an einer Bar und A. konnte die Bestellung nicht abwarten, um mir zu erzählen, was sich seit unserem letzten Treffen ereignet hatte. Getränk dann endlich in der Hand, brachte sie mich auf den neuesten Stand und erzählte mir von einer ziemlich amüsanten, aber auch ziemlich vertrackten Geschichte. Es ging um einen Typen, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Und einen anderen Typen. In den sie sich auch Hals über Kopf verliebt hatte.

Es gibt da einfach zwei wunderbare Menschen

"Ich mag einfach beide sehr gern. Und jedes Mal, wenn ich denke, dass ich doch einen lieber mag, fällt mir der andere wieder ein." A. hatte ihr Liebesleben mit Vollgas in eine Sackgasse gefahren. Sie war zwar verliebt, aber eben in zwei Personen gleichzeitig. Und das war ein Problem.

Ich hätte gerne einen Partner. Aber ich kann mich nicht entscheiden!
A.

Nicht nur, weil sie sich moralisch nicht ganz auf der astreinen Seite fühlte und unsicher war, ob und vor allem wie sie das kommunizieren könne. Sondern vor allem, weil sie kein Bedürfnis verspürte, es mit beiden gleichzeitig weiterlaufen zu lassen. "Polyamorie ist nichts für mich. Ich hätte gerne einen Partner. Aber ich kann mich nicht entscheiden!"

Wie wägt man Menschen gegeneinander ab?

Und so grübelte A. weiter darüber nach, ob man Menschen gegeneinander abwägen könne. Sie setzte beide Männer auf die imaginäre Waage des perfekten Partners und musste sich eingestehen, dass die Waage mal hierhin, mal dorthin ausschlug, aber an der Tatsache, dass sie einfach beide sehr wollte, änderte sich nichts. "Aber kann das denn überhaupt sein", fragte sie schließlich, "oder spinne ich?" Zu große Gier oder schlicht die ewige YOLO-Zwickmühle? A. ist sich nicht sicher, ob sie ihren Gefühlen trauen darf.

Wenn man im Freund*innenkreis herumfragt, um herauszufinden, ob eine multiple Verliebtheit überhaupt möglich sei, kommen zuverlässig zwei sehr eindeutige Antworten: Die einen halten das für völlig unmöglich. Das ist die Fraktion, die im Gespräch als allererstes über den Unterschied zwischen Verlieben und Verknallen aufklärt. Verknalltsein wird dort in allen möglichen Konstellationen zugestanden, aber schon das Lieben in Verlieben will diese Fraktion nicht gelten lassen. Verlieben sei ausschließlich, sei exklusiv und an eine anbahnende Beziehung geknüpft. Daher seien Leute, die behaupten, sich in mehrere Personen verliebt zu haben, auch nicht ganz ernst zu nehmen. Das sei eine Spielart des Ego-Polierens oder ein kurzer hormoneller Schluckauf. Jedenfalls nicht der Rede wert.

Die andere Fraktion reagiert enthusiastisch, wenn man sie auf A.’s Dilemma anspricht. "Aber klar!" wird dann gerufen und seufzende Geschichten von schönen Menschen und schwierigen Momenten herausgekramt. Doch auch diejenigen wissen selten Rat, wenn es um die Frage geht, wie man sich entscheidet, wenn man doch eigentlich nur eine*n will.

A. plagt also weiterhin das schlechte Gewissen, doch ihre Gefühle wird sie trotzdem nicht los.

Von eigentlichen Gefühlen

Der Paartherapeut Volker Kalmbacher reagiert auf dieses Dilemma mit einem Hinweis auf die klassische Kopf-Bauch-Problematik: "Es ist eher ein Konzept, das wir haben, dass es immer nur eine Person gibt oder geben sollte. Da glaube ich ehrlich gesagt nicht recht dran. Wenn die Kognitionen die Regie übernehmen, sinkt vielleicht die Offenheit für eine zweite Begegnung."

Es ist eher ein Konzept, das wir haben, dass es immer nur eine Person gibt oder geben sollte. Da glaube ich ehrlich gesagt nicht recht dran.
Volker Kalmbacher

Aus seiner Sicht ist es also gar nicht ungewöhnlich, was A. passiert ist. "Wenn man viel unterwegs ist, viele Kontakte hat, ist man flexibler und geht vielleicht eher einer Stimmung nach, als wenn man sich von Beginn an kognitiv einengt und widersprechende Gefühle in den Hintergrund drängt", erklärt Kalmbacher.

Wer ohne Schere im Kopf herumläuft, viel auf neue Menschen trifft, dem können also auch schon mal mehrere Menschen gleichzeitig den Kopf verdrehen. Schön, aber schwierig. Denn wer nicht weiter ausloten möchte oder keine Chance dafür sieht, diese Verliebtheit mit allen Betroffenen zu teilen, der hat nur eine Wahl: den eigenen Gefühlen genau zuzuhören.

"Das, was ich fühle, ist meist näher an der Realität dran als das, was ich denke", meint Volker Kalmbacher. Wer in einer Situation ist wie A., solle also in sich hineinhorchen: Was spürt man, wenn man mit den Personen zusammen ist, wo fühlt man sich entspannter und lebendiger? "Das reale Erleben ersetzt nichts", so der Paartherapeut. Kurzfristig löst diese Erkenntnis A.’s moralisches Dilemma nicht, längerfristig ist aber eine emotionale Ehrlichkeit – zumindest sich selbst gegenüber – die nachhaltigere Option. Denn selbst, wenn Gefühle nicht moralisch einwandfrei sind, ist es auch keine Lösung, sie unter Dauerverdacht zu stellen.