Katja Krasavice ist wohl eine der umstrittensten YouTuberinnen Deutschlands. Mit Videos, die Clickbait-Titel wie So geht man richtig fremd oder Wtf? Ich befri*dige mich mit ner Gurke! :O tragen, erzielt sie bis zu sechs Millionen Klicks, ihrem Kanal folgen mittlerweile fast eine Millionen User*innen. Kurz: Sie ist verdammt erfolgreich.

Vergangenen Freitag veröffentlichte die Leipzigerin nun ihren ersten Song und reiht sich damit bei anderen YouTuber*innen wie den Lochis oder Bibi ein, die ebenfalls eine Ausflug in die Musikbranche wagten. Der Song trägt den Titel Doggy, auf dem Cover ist der schlabbernde Snapchat-Hunde-Filter zu sehen. Mit Hündchen oder süßen Welpen hat das Lied jedoch relativ wenig zu tun. Katja besingt stattdessen ihre Vorliebe für Sex im Doggystyle und verlangt: "Gib’s mir Doggy, gib’s mir Doggy, gib’s mir Doggy."

Was? Immer ich?" – Katja Krasavice in ihrem neuen Video

Zugegeben: Sprachlich eröffnen Zeilen wie "Ich laufe aus und ich will's jetzt, ich bin in Stimmung und ich will Sex" keine Horizonte, sind eher niveaulos. Der Text bleibt allgemein recht inhaltslos, behandelt eigentlich nur Katjas Wunsch nach Geschlechtsverkehr in der Hündchenposition. Dass Katja keine begnadete Sängerin und Autotune offensichtlich der beste Freund ihres Produzenten ist, wird schon nach den ersten Zeilen klar. Auch die Handlung des Musikvideos hat keinen Oscar verdient: Vier Freundinnen sitzen im Wohnzimmer um einen Glastisch versammelt und spielen Karten bis eine der Frauen auf die Idee kommt, dass die Gewinnerin der Partie doch eine weitere aus der Runde aussuchen solle, deren Aufgabe es dann sei, den Pizzaboten zu verführen. Die Wahl fällt im Folgenden – oh Wunder – auf Katja, die sich nach anfänglicher Empörung ("Was? Immer ich?") relativ schnell dazu bereit erklärt ("Aber okay, dann mach ich das halt!"), dem Pizzaboten die Tür öffnet, ihn ins Haus zieht und antanzt. Wettschulden sind eben Ehrenschulden.

Der Rest des Videos besteht im Grunde nur aus der sich auf einem Bett räkelnden Katja, für mittelklassige Musikvideos mittlerweile zum Standard gewordenen Partyszenen und einer kurzen Zwischensequenz, in der Katjas Freundinnen snappen und erklären: "Das ist so geisteskrank. Das müsst ihr euch auf jeden Fall anschauen!" Wie "geisteskrank" die ganze Situation tatsächlich ist, liegt im Auge des*r Betrachter*in. Dafür dass es in dem Song ganz unverblümt um das Verlangen nach Sex im Doggy-Style geht, ist das Video relativ harmlos: ein bisschen Getanze hier, ein paar knappe Outfits da – nichts, was man nicht auch auf einer Sonnencreme-Werbung am U-Bahnhof sehen würde. Dennoch sind die Reaktionen unter dem Video zum Teil sehr hasserfüllt:

"Diggah, du bist so ne schlampe" – YouTube-Kommentar

"der pizza Lieferant hat locker größere titten als katja" – YouTube-Kommentar

"Mädchen du wirst einfach echt langsam scheisse langweilig und peinlich ist da auch noch. Du bist abartig hässlich schau mal dein frettchengesicht an! Die einzigen die dich geil finden sind alte pedos oder Opfer die sowieso keine andere abbekommen. Echt peinlich Mädchen hahahahahaha" – YouTube-Kommentar

"ich hoffe du wirst in den nächsten so vergewaltigt das du stirbst du Nuten bitch" – YouTube-Kommentar

"Ekelhafte hure! Und wenn man die ungeschminkt sieht erschreckt man sich hässliche Bakterie" – YouTube-Kommentar

Slut Shaming – ernsthaft?

Das ist nicht in Ordnung. Man kann über die Art und Weise wie Katja Krasavice sich in der Öffentlichkeit präsentiert diskutieren. Man kann ihrem Frauenbild, das sie vertritt, kritisch gegenüberstehen. Man kann und sollte sogar eine Meinung zu ihr haben. Aber warum schreien alle gleich "Schlampe", wenn eine Frau sich offen zeigt, wenn sie ihren Wunsch nach Sex freiheraus äußert, wenn sie über ihre Vorlieben spricht, wenn sie offen und ohne jegliche Anzeichen von Schamgefühl über diverse sexuelle Abenteuer, wenn sie sich freizügig gibt? Slut Shaming, ernsthaft? 

Katja spielt offensichtlich mit Klischees. Sie weiß mit den Medien umzugehen, versteht genau, welche Folgen welches Verhalten mit sich bringen und was sie damit bezwecken kann. Ich würde sogar sagen, sie provoziert ganz bewusst, setzt ihren Körper ein und es funktioniert. Wie sonst erklären sich die hohen Klickzahlen? Das besagte Musikvideo hat seit seiner Veröffentlichung am vergangenen Freitag knapp viereinhalb Millionen Aufrufe generiert. Und sind wir mal ehrlich: Der Text ist simpel und anspruchslos, der Beat ist einprägsam – Katja hat hier einen perfekten Aprés-Ski-Ballermann-Hit herausgebracht.

Sex Sells

Katja nutzt ein Marketingkonzept, das alles andere als neu ist: sex sells. Na und? Die Werbeindustrie macht sich das seit Ewigkeiten zu Nutze. Und wenn irgendwelche Rapper in ihren Songs erklären, was sie mit welcher Frau wie gemacht haben, dann interessiert das niemanden. Dann ist das in Ordnung. Aber wenn eine Frau einen Pizzaboten verführt, dann ist das ein Aufreger? Dann zerreißen sich viele das Maul darüber? Wenn Katja Krasavice wirklich so gerne Sex mit vielen verschiedenen Partnern hat, dann soll sie das doch ruhig machen. Es ist nicht eure Aufgabe, das zu bewerten. Und ich verstehe auch die Überraschung und die Vorwürfe nicht: Kritisiert doch lieber die Tatsache, dass sexistische Werbung noch immer genutzt wird. Denn da liegt doch das eigentliche Problem. Und vielleicht ist Katja Teil dieses Problems, doch wir sollten uns zunächst hinterfragen, bevor wüste Hass- und Schimpf-Tiraden gegen die YouTuberin abgefeuert werden.

Ich verstehe einige Bedenken, kann nachvollziehen, dass das Frauenbild, das Katja vertritt, definitiv nicht das Bild ist, mit dem sich viele identifizieren möchten. Ich persönlich bin auch kein Fan von ihr. Und das ist in Ordnung. Nichtsdestotrotz sollte es kein Aufreger mehr sein, wenn eine junge Frau sich zu ihren sexuellen Vorlieben bekennt, die Zeiten des Slut Shamings sollten doch nun langsam mal vorbei sein. In Pornos ist es okay, weil sie da ja nur stöhnen und sonst den Mund halten oder was? Wenn wir doch alle so offen, tolerant und sex-positive sind, dann kann uns das doch auch egal sein? Ich habe länger überlegt, ob ich diesen Song thematisieren soll, ob ich ihr damit nicht eine Plattform gebe, die ich ihr gar nicht unbedingt geben möchte, aber es ist mir unerklärlich, wie ihr Auftritt und ihr Song Vergewaltigungswünsche und Beleidigungen übelster Sorte provozieren können. Es ist 2017, get the fuck over it.