Menschen haben so ihre Eigenarten. Unsere Partner*innen zum Beispiel: Vielleicht sind sie unpünktlich. Vielleicht sind sie sehr eifersüchtig. Vielleicht sind sie auch recht schweigsam und wirken in Gesprächen abwesend.

Diese Ecken und Kanten haben alle, sie sind ganz normal – und doch stören sie uns. Diese Dinge fallen uns auch meist erst nach einigen Monaten auf, wenn das Frischverliebtsein abgeklungen ist. Oft löst sich so etwas dann von allein: Unsere Partner*innen merken selbst, dass wir unter ihrem Verhalten leiden. Spätestens aber wenn wir unserem Unmut, etwa über die Unpünktlichkeit, das erste Mal Luft machen, sollte eine Kompromissbereitschaft da sein.

Ist es das nicht, und bleiben Partner*innen danach unpünktlich, lohnt sich ein genauerer Blick: denn hier geht es in den meisten Fällen trotz vermeintlichen Begründungen nicht darum, dass sie nicht pünktlich kommen können. Sondern darum, dass sie nicht pünktlich kommen wollen. Sie üben Macht aus.

Von der Macht, die unsere Beziehung lenkt

Macht in Beziehungen? Das klingt zunächst paradox, glauben wir doch gerne daran, dass Macht keinen Platz hat, wo es Liebe gibt. Der Begriff "Macht" beschreibt schließlich die Fähigkeit, die eigenen Interessen durchzusetzen. Dem widerspricht unsere romantische Vorstellung von Liebe und Partnerschaft. Wir wollen ein Team sein.

Macht spielt aber in allen Formen des menschlichen Zusammenlebens eine Rolle: In der Politik, im Wirtschaftsleben und auch in der Beziehung. Nur sollten wir uns in der Liebe nicht an Machtprozesse gewöhnen, die in Betrieben an der Tagesordnung sind.

Der Psychologe Wolfgang Krüger arbeitet seit über 30 Jahren als Paartherapeut und hat kürzlich das Buch "Liebe, Macht und Leidenschaft" veröffentlicht: "Ich habe mich oft gefragt: 'Warum scheitern Partnerschaften, die anfänglich so leidenschaftlich und stark waren?'" Mit der Zeit fand er heraus, dass das nicht nur mit dem stressigen Alltag oder sich einsetzender Langeweile zu tun hat. "Es sind vor allem destruktive Machtprozesse, die eine Beziehung regelrecht zerstören", sagt er.

Diese gründeten sich oft auf Streitspiralen – und falschen Reaktionen. Ein Beispiel: Die Frau verweigert Sexualität, sie übt Macht aus. Darauf reagiert der Mann mit tagelangem Schweigen, er übt ebenfalls Macht aus. Kommt es zur Diskussion, wird dann aber vordergründig über eine Nichtigkeit gestritten, der eigentliche Grund für das Problem wird nicht gelöst.

In allen Partnerschaften gebe es diese stillen Machtkonflikte. Werden sie nicht rechtzeitig erkannt, könnten sie zu einer völligen Entgrenzung voneinander führen. Dann dominierten sie; Respektlosigkeiten und der Kampf um Überlegenheit bestimmten die Beziehung. Macht werde genutzt, um den anderen zu quälen, beispielsweise mit Sexentzug. Es gehe dann häufig nur noch darum, dem anderen etwas "heimzuzahlen". Die meisten Machtprozesse spielen sich laut dem Psychologen aber ganz unbewusst ab. Böse Absichten ließen sich da nicht unterstellen, oft begründeten sich solche Verhaltensmuster aus der Erziehung, dem Umfeld, in dem Menschen aufgewachsen ist. 

Krüger wurde die Bedeutung der Macht in Beziehung selbst erst nach einiger Zeit deutlich, auch in seiner eigenen Partnerschaft. "Erst nach Jahren wurde mir bewusst, dass das Muster dieser Machtkämpfe von Anfang an vorhanden ist. Wir haben es nur nicht verstanden. Wir haben die Verhaltensweisen des anderen falsch bewertet", sagt Krüger, der zur Untermauerung seiner Thesen Umfragen durchführte, Studien durchforstete und über 300 Therapiegespräche auswertete.

Wie erkennen wir, dass ein destruktiver Machtprozess im Gange ist?

Die Einteilung der Macht in Beziehungen lässt sich anhand einiger Fragen erkennen:

  • Wer bestimmt stärker, wie oft man sich sieht?
  • Wer bestimmt, wie oft es Sexualität gibt?
  • Wer bestimmt darüber, wie man die gemeinsame Zeit verbringt?
  • Wer redet eher, wer hört eher zu?
  • Wer kritisiert eher, wer lobt?

Vor allem bei den letzten beiden Punkten zeigt sich Machtverteilung sehr genau: Wenn Partner*innen etwa ständig über den eigenen Erfolg sprechen, aber uns gerne kritisieren – nur um dann empfindlich zu reagieren, wenn sie selbst einmal kritisiert werden. Psychologe Krüger nennt das "Anerkennungs-Macht".

Das Aushandeln der anderen Punkte spielt sich laut Krüger nahezu unbemerkt ab: "Denn fast alles wird selbstverständlich vom anderen gelebt, der andere passt sich an." Nur wenn ein Streit riskiert wird, werden Machtstrukturen plötzlich deutlich.

Die eigentliche Schwierigkeit beginne erst dann, sagt Krüger: "Man braucht zur Bewältigung von Machtprozessen ein gutes Selbstbewusstsein und eine große Unabhängigkeit, nur dann kann man diese Liebes-Schlachten aushalten." Auch Sozialkompetenz ist notwendig. Wir müssen uns fragen:

  • Wie sieht mich mein Partner?
  • Wie schwierig bin ich selbst gelegentlich?
  • Wann bin ich zu aufgeregt, wann zu ängstlich?
  • Kann ich mich genug versöhnen?

"Machtspiele können lange schlummern", sagt Krüger. Meist sind es dann – oft in einem fortgeschrittenen Stadium der Beziehung – äußere Belastungssituationen, die dann die Machtkämpfe verschärfen. "Es sind die Geburt der Kinder, Krankheiten eines Partners, Arbeitslosigkeit, der Bau eines Hauses oder die Berentung."

Apropos Versöhnen: "Es gibt in allen Partnerschaften immer unsägliche Schallplattengespräche, bei denen man um die gleichen Themen streitet und sich nicht einigen kann", sagt Krüger. Hier helfe nur: Aufhören. "Das ist ein Zustand einer zu großen Verstrickung, das bedarf einer vernünftigen Distanz. Wenn ich mich entziehe, kann sich der Partner erholen, bekommt Sehnsucht und die Bereitschaft ist von beiden Seiten ist größer, einen vernünftigen Kompromiss zu erzielen."

Gerade am Anfang lohnt sich ein waches Auge

Am Anfang einer Beziehung sehen wir vieles durch ein Art Liebesfilter. Wir möchten uns dem Gefühl hingeben, uns fallen lassen, die Situation nehmen, wie sie kommt und vor allem nicht wie ein Spürhund nach irgendwelchen Machtspielchen suchen. Dennoch sollten wir auf vermeintliche Kleinigkeiten achten, empfiehlt Krüger, auf kleine Grenzüberschreitungen, Respektlosigkeiten. "Häufig wird das ignoriert, weil wir die Bedeutung alltäglicher Handlungen unterschätzen."

Oft zeigt sich nämlich erst da der wahre Charakter eines Menschen. Und so gibt es einige Warnzeichen. Der Machtwille eines Menschen lässt sich zum Beispiel am Autofahren erkennen, wie einer Studie der Exeter University zu entnehmen ist: Der Typ des aggressiven Fahrers, der rücksichtslos überholt, andere Autofahrer schneidet und ständig über Verkehrsteilnehmer flucht, ist auch in der Partnerschaft ein Mensch, der sich ständig ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzt.

Ein wichtiges Signal sei vor allem der Umgang mit Geld. "Geld sagt unendlich viel über den Charakter aus", sagt Krüger. Vor allem Männer überschätzten Geld häufig. Sie meinten, Ausgaben genau kontrollieren zu müssen. Das zeige, dass ihr Umgang damit nicht unbeschwert sei. Geldeinstellungen ließen sich kaum ändern, sie sind gute Indikatoren: Macht das Gegenüber beim ersten Date keine große Sache daraus, die Rechnung übernehmen und gibt dem*der Kellner*in ein ordentliches Trinkgeld? Oder prüft er minutiös die Rechnung, verlangt eine gerechte Kostenaufteilung und gibt dann auch nur zehn Cent Trinkgeld?

"Wichtig für das Gelingen einer Beziehung ist, dass Partner*innen hinsichtlich des Geldes eine ähnliche Auffassung haben." Mehr noch: Eine wirkliche Partnerschaft sei nur möglich, wenn jede*r seine Vermögensverhältnisse offenlegt und man sich einigt, wie man mit Geld umgeht. "Es ist schon absurd, wenn man zusammen wohnt, miteinander schläft, viele Geheimnisse austauscht und das eigene Geld zum Tabuthema erklärt", sagt Krüger.

Weitere Fragen, deren Antworten einiges über das Gegenüber aussagen:

  • Interessiert sich der Partner für mich, kann er zuhören?
  • Hat er beim nächsten Treffen behalten, was ich gesagt habe?
  • Verträgt er es, wenn ich ihm widerspreche?
  • Greift er auch meine Vorschläge auf oder bestimmt er?
  • Drängelt er beim Sex oder kann er warten?
  • Wie geht er auf meine Themen ein?

"Es gibt hunderte kleine Hinweise, die ich aber nur ernst nehmen kann, wenn ich nicht zu bedürftig bin", sagt Krüger. Deshalb brauche es Freundschaften, wenn man sich auf die Suche begibt. "Wir sollten mit guten Freunden über unsere Erlebnisse sprechen und gemeinsam reflektieren, um das erste Treffen auszuwerten."

Machtspiele müssen wir bewusst steuern

Überhaupt sollten wir uns laut Krüger klarmachen: "Eine halbwegs harmonische Partnerschaft kann nur gelingen, wenn es gemeinsame Grundüberzeugungen im Hinblick auf die Lebensgestaltung gibt."

Wenn wir erkannt haben, dass unsere Beziehung von einem destruktiven Machtprozess begleitet wird, müssen wir diesen bewusst wahrnehmen und steuern, sagt Krüger: "Reden hilft nicht immer. Meist ist es besser, wenn ich diese Machtprozesse beobachte und dann die Kräfteverhältnisse verändere." Wir müssten unsere Ohnmachtsfalle überwinden, indem wir uns auf eigene Projekte konzentrieren, Freundschaften intensivieren und den Schwerpunkt in unser eigenes Leben verlagern. "Bereits das bewirkt häufig, dass der Partner die Machtspiele aufgibt, weil er um die Nähe in der Beziehung kämpft."

Vor allem wir selbst müssen den Anfang machen. Sind wir gefestigt und haben eine innere Grundstärke zurück erlangt, gelingt es, Machtprozesse zu durchbrechen. Gibt es lange keinen Sex? Dann sollten wir einfach einmal im Wohnzimmer schlafen. Ist der*die Partner weiterhin immer unpünktlich? Dann sollten wir aufhören zu warten und uns zu sorgen, sondern uns anderen Dingen zuwenden – und auch einmal alleine zum geplanten Treffen mit Freunden fahren. Meist erkennen Partner*innen dann, dass ihr Verhalten die Partnerschaft beschädigt und ändern etwas. Damit retten sie wahrscheinlich auch die Beziehung.