Hinweis zur Überarbeitung: In einer früheren Fassung war in diesem Beitrag vom "weißen Hetero-Mann" die Rede. Nach der Veröffentlichung des Artikels am 20. Juni erreichten uns einige Zuschriften von Leser*innen, die eine unschlüssige Argumentation sowie einen positiven Rassismus im Text erkannt und kritisiert hatten. Ich gebe dieser Kritik recht und entschuldige mich bei allen, die ich mit der Klassifizierung beleidigt haben mag. Jedwede Einordnung von Menschen entspricht weder meinem noch dem Weltbild der Redaktion, weshalb wir den Artikel überarbeitet haben. Zudem hätte ich den Unterschied zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Gewaltstatistik genauer ausdifferenzieren müssen. In der vorliegenden Version bleibt die Kernaussage allerdings erhalten: Der Beitrag schildert weiterhin meinen subjektiven Eindruck davon, dass sich in der Öffentlichkeit ein Bild des gewalttätigen Mannes verdichtet.

Ich bin Mann – und könnte offenbar keiner gefährlicheren Gruppe von Menschen angehören.

In Stanford vergewaltigte der 21-jährige Brock Turner eine Studentin. In Orlando erschoss der 27-jährige Kevin James Loibl die Musikerin Christina Grimmie. In Bristall ermordete der 52 Jahre alte Thomas Mair die Politikerin Jo Cox. In Marseille prügelten Hooligans auf andere Männer ein.*

Diese furchtbaren Schlagzeilen verdichten in der öffentlichen Wahrnehmung ein fatales Bild des Mannes: Er ist gewalttätig. Er ist brutal. Er ist ein Problem.

Vom schlechten Gewissen, ein Mann zu sein

Und wer einen Blick auf die Gewaltstatistiken wirft, wird in diesem Bild bestärkt: In Deutschland sind im vergangenen Jahr circa 75 Prozent aller Straftaten von Männern begangen worden, 93 Prozent aller Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben Männer begangen. Es fühlt sich nicht gut an, "einer von denen" zu sein. Vor allem, weil ich keiner von ihnen bin. Trotzdem bin ich verunsichert, weil ich manchmal nicht mehr weiß: Wie soll ich mich Frauen gegenüber verhalten, um nicht bedrohlich zu wirken?

Kürzlich wollte ich mich mit einer Frau treffen, die ich nicht besonders gut kenne. Ich hatte Verspätung und schrieb ihr, statt in der Bar zu warten, könne sie doch auch bei mir vorbeikommen. Im gleichen Moment bereute ich die Nachricht: Hatte der Vorschlag doppeldeutig gewirkt? Glaubte sie, die Verspätung sei nur vorgeschoben, um sie bei mir zuhause ins Bett zu kriegen?

Vor ein paar Tagen ging ich nachts eine dunkle Straße nach Hause und begegnete dabei einer jungen Frau. Statt creepy im gleichen Tempo hinter ihr herzulaufen, gab ich mir Mühe, sie möglichst schnell zu überholen. Ich wollte ihr damit zeigen: Ich bin hinter dir, aber keine Panik, ich tu dir nichts. War das jetzt richtig?

Nachts, wenn wenig Menschen auf der Straße sind, in dunklen Gassen, in U-Bahnen, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ein Mann bin. Natürlich lassen die furchtbaren Schlagzeilen außer Acht, dass von Millionen anderer Männer keine Gefahr ausgeht. Ohne Frage gibt es mehr freundliche, sanftmütige und ungefährliche Kerle. Kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Kein Grund für Verunsicherung. Frauen haben trotzdem andere Erfahrungen gemacht und deshalb Angst. Angst vor uns.

Momenten die Bedrohlichkeit nehmen

Deshalb: Wir müssen mehr zeigen, dass wir ungefährlich sind. Dieses miese Gefühl hilft uns dabei. Es hilft dabei zu verstehen, dass wir Männer in gewissen Situationen bedrohlich wirken könnten, auch wenn wir es gar nicht sind.

Bisher war es immer umgekehrt: Die anderen mussten ihr Verhalten an die potentielle Bedrohung anpassen. Margarete Stokowski brachte das kürzlich in ihrer Kolumne bei Spiegel Online auf den Punkt: "Immer sind es die Frauen, die ihr Verhalten anpassen sollen", schrieb sie. "Vielen Männern ist nicht klar, wie sehr Frauen die Angst und den Schutz vor Gewalt in ihren Alltag integrieren. Wie sehr wir ein Klima von Bedrohung für normal halten."

Es ist an der Zeit, dass sich der Mann sensibler verhält. Vor allem nachts. Wenn wenig los ist auf den Straßen. Das soll keinesfalls bedeuten, dass wir uns als Beschützer aufspielen sollten. Wir müssen Freundinnen nicht jedes mal nach Hause begleiten, wir können es aber natürlich anbieten. Es hilft bereits, dass wir uns die Frage stellen: Wie wirke ich gerade? Könnten wir nach dem Kneipengang als grölende Männergruppe anderen Angst machen? Könnte es sein, dass unser schlendernder Gang durchs dunkle Parkhaus Panik bei anderen auslöst?

Auch wir ungefährlichen Männer können noch mehr Rücksicht nehmen. Nicht, um das Image des Mannes aufzupolieren. Nicht, um Schulterklopfer dafür zu kassieren, dass wir so umsichtig sind. Sondern um dafür zu sorgen, dass sich die Frauen in unserer Umgebung sicherer fühlen.

*In einer früheren Version verwies der Beitrag an dieser Stelle auf einen Fall in München, dessen genaue Hintergründe nicht geklärt sind.