Cem ist 27 Jahre alt und muss trotzdem in der Kinderabteilung nach neuen Klamotten suchen. Er hat Hypochondroplasie, eine Form des Kleinwuchses. Menschen mit dieser Erkrankung werden nicht größer als 140 Zentimeter. Es nervt ihn, wenn T-Shirts in seiner Größe mit süßen Tierchen bedruckt sind oder er viel Geld für maßgeschneiderte Erwachsenen-Kleidung ausgeben muss. "Ein Sakko oder Hemd finde ich selten oder weiß schon vorher, dass ich zum Schneider muss", sagt er. Bezahlbare Mode speziell für Kleinwüchsige gibt es nicht.

Sema Gedik will das ändern und gründete Auf Augenhöhe – das erste Modelabel für kleinwüchsige Menschen. Ihre erste Kollektion stellte sie in diesem Jahr auf der Fashion Week in Berlin vor. "Wenn man bei Google 'Mode für Kleinwüchsige' eingibt, bekommt man Vorschläge wie 'Mode für kleine Frauen'. Ich bin eine kleine Frau, aber kleinwüchsig zu sein ist etwas anderes", sagt sie. Seit drei Jahren vermisst die Modedesign-Studentin kleinwüchsige Menschen in Deutschland und Spanien. Ihr Ziel: eine Konfektionsgröße – so wie S, M und L – zu errechnen.

Mittlerweile hat sie 280 kleinwüchsige Menschen in Deutschland und Spanien vermessen. Dabei stellte sie fest: Sie sind nicht nur kleiner, sondern haben auch andere Körperproportionen. Ein Beispiel: Wenn ich im Stand meine Arme locker hängen lasse, sind meine Handgelenke auf Höhe des Hinterns, bei Kleinwüchsigen auf Höhe der Taille.

Über den Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e. V. findet Sema die Erwachsenen, die sie vermisst. Viele Kleinwüchsige unterstützen das Projekt, aber nicht alle freuen sich über die Zuwendung. Als Sema 2014 zum jährlichen Kleinwuchsforum in Hohenroda eingeladen wird, erlebte sie auch Misstrauen. "Ein Teilnehmer meinte zu mir: ‚Mach’ dir mal nicht so einen Stress. Wir brauchen das nicht. Ich finde seit 23 Jahren Kleidung – auch wenn es nicht ganz sitzt, ist es okay für mich‘", erzählt sie.

Das verunsicherte sie im ersten Moment, doch dann erkannte sie: "Jetzt muss Vertrauen geschaffen werden". Und das hat sie geschafft, indem sie immer wieder ihre Mission erklärte. Mittlerweile sind viele ihrer kleinwüchsigen Models zu Freunden geworden und unterstützen das Projekt. Der Filmemacher Maxim Kuphal-Potapenko hat sie begleitet und zeigt einen Einblick in die Freundschaften:

280 Mal Maß nehmen, schneidern und anprobieren – warum macht Sema das? "Ich mache das Projekt nicht, weil ich diese Menschen bemitleide. Im Gegenteil: die Leute, die ich kennengelernt habe, haben teilweise mehr Selbstbewusstsein als ich. Was ich bewirken möchte, ist, dass die Gesellschaft die Augen öffnet", sagt sie.

Diversität in der Mode

Der Name ihres Labels Auf Augenhöhe zeigt, dass sie keine Unterschiede zwischen ihren kleinwüchsigen und den anderen Models macht. Mit ihrer Kollektion können sich kleinwüchsige Erwachsene ihrem Alter entsprechend kleiden und müssen nicht mehr in der Kinderabteilung einkaufen.

Darüber hinaus stellt ihre Mode bestehende Schönheitsstandards der Modeindustrie in Frage und verhilft Menschen abseits der Norm zu Sichtbarkeit. Damit trifft sie einen Nerv: Anfang des Jahres ernteten behinderte Models auf der Fashion Week in New York Applaus. Im Juli stellten die kleinwüchsigen Models Semas Kollektion auf der Fashion Week in Berlin vor: