Bereits im Studium war das Lernen in der Uni-Bib ohne Musik für mich praktisch unmöglich. Um produktiv zu sein, musste ich in die Welt der Melodien eintauchen. Musik ließ mich mein Umfeld vergessen und half mir, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Ohne Musik wurde jedes Flüstern meiner Sitznachbar*innen zum Geschrei und jeder Kuli-Klick zum Peitschenknall. Bis heute ist das so. Musikhören gehört fest zu meinem Alltag, wie blinzeln oder Nägel kauen. Ich höre ständig Musik. Auch jetzt gerade, während ich diese Zeilen schreibe, haucht mir Bob Moses ins Ohr, dass er nicht der erste sein wird, der zu weinen beginnt.

Musik hilft mir, produktiver zu arbeiten. Das bilde ich mir zumindest ein. Aber stimmt das auch? Eigentlich hatte ich gehofft, dass sich diese Frage leicht zu meinen Gunsten beantworten lässt: Klar, Musikhören fördert die Konzentration, die Kreativität, die Motivation. Case closed. Leider ist es nicht so einfach. Ob das nämlich wirklich der Fall ist, oder ob – im Gegenteil – Musik sogar behindernd wirkt, ist nach wie vor nicht ganz klar. Etliche Studien widmeten sich dieser Frage und lieferten vermeintliche Antworten in beide Richtungen.

"Aber der Mozart-Effekt!", rufen bereits die Ersten. Er beschreibt eine berühmte These aus den 1990er Jahren. Nach einem Experiment der University of California in Irvine hätten Testpersonen ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen, wenn sie klassische Musik (insbesondere von Mozart) hörten. Diese Ergebnisse konnten allerdings in späteren unabhängigen Experimenten und Metastudien nicht reproduziert werden. Wie sich herausstellte, war die Hypothese nicht haltbar und Mozarts Fähigkeiten reichten am Ende dann doch nicht so weit. Es soll übrigens auch einen "Schubert-Effekt" und einen "Stephen-King-Effekt" geben. Andere Personen, selbes Spiel.

Wahrscheinlich ist es immer noch am besten, in absoluter Stille zu lernen und zu arbeiten. Aber wann hat man die schon? Eine derartige Umgebung ist außerhalb künstlich gestalteter Rahmenbedingungen schwer im Alltag zu finden. Außerdem: Je stiller es ist, desto sensibler sind wir gegenüber den Geräuschen aus der Umgebung. Das Ticken einer Uhr, das Kaugummikauen des Kollegen, die Straße vor dem Haus, alles hört sich lauter an. Das Gehirn lässt sich eben nicht so leicht beruhigen. Ähnliches passiert, wenn jemand sagt: "Denke jetzt auf keinen Fall an einen süßen, großohrigen Babyelefanten. Nicht dran den-" Zu spät.

Am besten sind Lieder, die uns völlig egal sind

Gehen wir also davon aus, dass uns Musik beim Konzentrieren hilft. Welche Musik wäre dafür am sinnvollsten? Songs, die wir entweder sehr mögen oder gar nicht leiden können, taugen nicht zum Arbeiten. Denn in solche Songs investieren wir zu viele Emotionen, was uns wiederum ablenkt. Zu unseren Lieblingssongs wippen wir womöglich mit oder besingen sogar den ganzen Raum. Bei verhassten Liedern denken wir vermutlich an nichts anderes, als das Lied wegzudrücken und kriegen schlechte Laune.

Auch unbekannte Songs sind nicht unbedingt zu empfehlen. Fremde Geräusche und Melodien, die wir noch nie gehört haben, ziehen Aufmerksamkeit an. Wir wollen wissen, was hier so tönt. Wissenschaftler*innen der Fu Jen Catholic University in Xinzhuang City in Taiwan untersuchten den Einfluss der eigenen Musikvorliebe auf die Konzentrationsfähigkeit. Das Ergebnis: Am besten sind Lieder, die uns völlig egal sind.

Wörter lenken ab. Laut Studienergebnissen des Cambridge Sound Managements sind es nicht Geräusche an sich, die uns bei der Arbeit behindern. Sondern verständlich gesprochene Wörter. Hören wir jemanden sprechen oder singen, zwingt das unsere Aufmerksamkeit in diese Richtung. Wir wollen wissen, was gesagt wurde. Wir wollen verstehen. Für 48 Prozent aller Büroarbeiter*innen ist Sprechen im weitesten Sinne erster Ablenkungsgrund, ergab die Studie aus Cambridge.

Wer also das störende Gespräch der Kolleg*innen mit Kopfhörern überdecken möchte, aus denen Musik mit Text rieselt, macht keinen Unterschied. Die Konzentration verlagert sich jetzt bloß auf D'Angelo, der mit melodischen Seufzern erklärt, dass er wirklich sehr in dich verliebt ist. So ist es zumindest gerade bei mir.

Geräusche aus der Natur und Umgebung

Musik, die Geräusche aus der Natur inkorporiert, kann helfen. Das Rauschen eines kleines Bachs oder das Plätschern von Regentropfen kann die Stimmung, die Konzentrationsfähigkeit und generell die Zufriedenheit beim Arbeiten erhöhen. Denn genau wie White Noise überdecken sie zwar störende Töne aus der Umgebung, lenken aber trotzdem nicht ab. Das fanden Wissenschaftler*innen des Rensselaer Polytechnic Institute in New York heraus. Gänzlich ohne Musik kommt Rainymood aus, eine Website, die nichts weiter als den Sound von stürmischem Regen abspielt.

Wem Naturgeräusche zu langweilig und rhythmische Melodien zu viel sind, der kann auf Geräuschgeneratoren zurückgreifen. Sie imitieren natürliche Töne aus der Umgebung. Auf Websites wie Coffitivity oder Hipstersound kann man zum Beispiel die Geräuschkulissen verschiedener Cafés anhören, inklusive unverständlichem Gemurmel und Geschirrgeklimpere.

Das Tempo eines Liedes wirkt sich unterschiedlich auf Stimmung und Leistung aus. Richtig macht's, wer klassische Musik als Konzentrationshilfe nutzt. Bereits mehrere Studien fanden heraus, dass vor allem Barockmusik eine beruhigende Wirkung auf Geist und Körper haben soll (zum Beispiel hier und hier). Mit angenehmen 60 Bpm (Schlägen pro Minute) soll sie sogar Blutdruck und Puls reduzieren. Die passendste Bezeichnung aus dem klassischen Musikjargon für so ein Tempo wäre Larghetto, zu Deutsch: etwas breit. Mit etwas breiter Musik lässt es sich also gut von störenden Umgebungsgeräuschen ablenken, ohne dass sie störend wirkt.

Bei kopflosen, repetitiven Beschäftigungen wie E-Mails checken oder Ausfüllen von Excel-Tabellen kann Musik helfen, effektiver zu sein. Doch je mehr Grips für die Bewältigung der Aufgaben notwendig ist, desto weniger Ablenkung vertragen wir. Ich selbst arbeite am liebsten mit lauter Musik ohne Text im Ohr. Oft mit einem Mix aus klassischen Instrumenten und gutem Beat, wie es Örsten oder Joey Pecoraro machen. Dennis Kuo bietet auf seinem Youtube-Kanal Study Music Project ähnliche Kompositionen an. Sie sind eigens dafür gedacht, das Lernen und Arbeiten zu erleichtern.

Trotzdem: Am Ende muss jeder für sich selbst herausfinden, mit welchen und wie vielen Geräuschen er sich beim Produktivsein am liebsten umgibt. Was die einen zum tanzen bringt, lässt andere in den Konzentrationstunnel fallen. Am besten ist, du wählst etwas breite Musik, die du kennst, aber nicht zu gerne hast, ohne oder mit nur wenigen Lyrics, mit einem 60 Bpm-Tempo, und Regentropfen-Geplätscher und klassischen Barock-Elementen kombiniert. Ist doch ganz einfach, oder?