Niemand hatte es geglaubt, doch der Albtraum ist wahr geworden: Der Republikaner Donald Trump wird als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ins Weiße Haus einziehen. Trump hatte während des Wahlkampfes so viel gedroht, beleidigt und diskriminiert, dass niemand so recht sicher ist, was jetzt passieren wird. Während seine Anhänger*innen feiern, ist der Rest der Welt verstummt.

Das Wahlnacht hätte qualvoller nicht sein können. Anfangs sahen wir beruhigt dabei zu, wie Hillary Clinton Stimme für Stimme aus mehreren Bundesstaaten holte. Doch ihr anfänglicher Vorsprung schwand. Entgegen aller Erwartungen holte Trump auf, gewann Bundesstaaten für sich, die seit Jahrzehnten demokratisch wählten.

Am Ende passierte den USA ihr eigener Brexit: Trump hat die US-Präsidentschaftswahl gewonnen. Die Umfragen lagen falsch – gerade deswegen sitzt der Schock nun so tief. Trump wird nun auch Präsident all jener, gegen die er im Wahlkampf so gewettert hat: Muslime, Homosexuelle, Mexikaner, Frauen, Afro-Amerikaner*innen. Niemand wagte zu glauben, auf wie viel Zuspruch er mit seinen diskriminierenden Aussagen stoßen würde, nicht einmal die republikanische Partei selbst.

Unmittelbar nachdem amerikanische Medien seinen Sieg verkündeten, trat erst Vize-Präsident Mike Pence und dann Donald Trump in seinem Kampagnen-Hauptquartier in New York City vor eine ekstatische Menge. "U.S.A! U.S.A.!" brüllte sie, während Pence und Trump von einem historischen Ereignis sprachen. Das ist es tatsächlich. Noch nie war jemand Präsident der USA, der so wenig Erfahrung im politischen Feld hatte.

Und was jetzt? Die Angst um mögliche Auswirkungen des Wahlergebnisses ist groß. Was jetzt folgt, ist für alle politisches Neuland. Sowohl für Amerika als auch für den Rest der Welt. Mit diesen Fragen werden wir uns in den kommenden Wochen und Monaten sehr genau beschäftigen müssen.

1. Wieso lagen die Umfragen daneben?

Alle seriösen Umfragen gaben Clinton vor der Wahl deutlich bessere Siegchancen. Und alle lagen daneben. Die verantwortlichen Wahlforscher*innen, Medien und Umfrageinstitute müssen sich nun fragen lassen, warum niemand Trumps Erfolg hat kommen sehen. Und: Haben sie durch ihre Modelle, die Clinton teilweise mit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit vorne sahen, den Demokraten ein falsches Gefühl der Sicherheit gegeben?

2. Warum wählten so viele Menschen Trump?

Über die Motive der Trump-Wähler*innen ist schon vor der Wahl viel geschrieben worden. Aber wer hat nun wirklich am gestrigen Tag für Trump gestimmt? Was hat diese Menschen dazu veranlasst? Was haben sie gemeinsam? Wie unterscheiden sie sich? Das muss untersucht werden.

3. Welche Verantwortung tragen die Medien?

Alle großen Nachrichtensender haben Trumps Reden während des Wahlkampfs übertragen und seinen diskriminierenden, beleidigenden Ausfällen reichlich Sendezeit eingeräumt. Tragen sie eine Mitschuld an seinem Erfolg? Haben die Medien genug getan, um seine Lügen zu entlarven? Machten sie Trump paradoxerweise dadurch stark, dass sie über jeden seiner Fehltritte exzessiv berichteten, weil so bei seinen Unterstützer*innen das Bild einer Medienverschwörung entstehen konnte?

4. Wie frei kann Trump seine Pläne als Präsident umsetzen?

Die Politik der USA beruht auf einem System der "checks and balances" – verschiede Machtzentren wie das Parlament, der Präsident und der Oberste Gerichtshof sollen sich gegenseitig in der Balance halten und so einen Machtmissbrauch verhindern. Nur: Die zwei Kammern des US-amerikanischen Parlaments sind in den Händen der Republikaner. Auch der Oberste Gerichtshof wird wohl demnächst mehrheitlich konservativ besetzt sein. Wer also soll Trump bremsen?

5. Wie wird Trump seine Macht nutzen?

Wird Trump tatsächlich alle Ankündigung aus dem Wahlkampf umsetzen? Eine Mauer zu Mexiko bauen? Obamacare abschaffen? Vom Pariser Klimaschutzabkommen zurücktreten? Strengere Einwanderungsregeln (vor allem für Muslime) einführen? Die USA stünden vor radikalen Veränderungen, national und international.

6. Wird Trumps Vergangenheit ihn immer wieder einholen?

Wie viele Videoaufnahmen, in denen Trump über sexuelle Übergriffe auf Frauen fantasiert, gibt es noch? Welche Skandale werden während seiner Präsidentschaft sonst noch ans Licht kommen? Gegen ihn und seine Firmen laufen etliche Gerichtsverfahren.

7. Was verändert sich die Beziehung der USA zu Europa und Deutschland?

Mitglieder der deutschen Regierung machen kein Geheimnis aus ihrer Abneigung gegenüber Trump. Wie werden sich Deutschland und Europa mit seiner Regierung arrangieren, zum Beispiel in Sicherheitsfragen? Ist das Handelsabkommen TTIP nun endgültig vom Tisch? 

8. Was bedeutet Trump für den Frieden in der Welt?

Wird Trump neue Kriege beginnen? Wird er durch Provokationen und undiplomatisches Verhalten Friedensprozesse gefährden? Wie wird er zum Beispiel mit dem Nahen Osten umgehen? Das Atomwaffenabkommen mit Iran will er aufkündigen, kündigte er im Wahlkampf an.

9. Wird Trump die USA noch tiefer spalten?

Nach dieser Wahl ist die amerikanische Gesellschaft so polarisiert wie lange nicht. Nach Trumps Auftritten ist es unvorstellbar, dass er die sozialen, ethnischen, religiösen und politischen Gruppen im Land versöhnen wird. Zu befürchten ist eher, dass sich die Konflikte während seiner Präsidentschaft weiter zuspitzen werden.

10. Erobert der Rechtspopulismus die westliche Welt?

Brexit, AfD-Erfolge in deutschen Landtagen und nun Trumps Sieg bei der US-Wahl: Wird der Rechtspopulismus in westlichen Ländern weiter erstarken? Wie schneidet die AfD bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr ab? Was können wir den Populisten entgegensetzen, wenn alle bisherigen Strategien offenbar scheitern?

Die Antworten auf diese Fragen sind größtenteils noch offen. Egal, wie sie am Ende ausfallen. Der 9. November 2016 wird die Politik weit über die Grenzen der USA hinaus verändern.