Wenn die US-amerikanische Bevölkerung es nicht total verbockt, ist es sehr wahrscheinlich, dass Hillary Clinton ins Weiße Haus einziehen wird. Den Fakt, dass künftig vielleicht eine Frau das höchste Amt der USA belegt, sehe ich durchaus positiv. Es kann ein Schritt hin zu einer Welt sein, in der Journalist*innen nicht mehr darüber schreiben müssen, wie besonders und was für ein historisches Event es sei, dass eine Frau ein hohes politisches Amt inne hat.

Eben diese Journalist*innen feiern den sich ankündigen Wahlsieg Clintons als einen Sieg des Feminismus. Die Gleichung lautet dabei meistens: Clinton = Frau = findet Gleichberechtigung gut = Feministin. Die Gleichung ist falsch. Denn nicht jede Frau und auch nicht jede Frau, die sich für Geschlechtergleichheit einsetzt, ist eine Feministin.

Zwar ist Feminismus eine politische Bewegung, die für Gleichberechtigung und die Selbstbestimmung der Frau und gegen jede Form von Sexismus kämpft. Dabei ging und geht es jedoch nie lediglich um einzelne realpolitische Nadelstiche, zum Beispiel in Form von Frauenquoten, die dies herbeiführen sollen. Für mich strebte und strebt die feministische Bewegung stets nach einem grundlegenden Wandel und Umbruch der gesellschaftlichen Verhältnisse. Feminismus ist daher auch seit seiner Entstehung eng verknüpft mit linken Strömungen sowie der LGBT- und Bürgerrechtsbewegung. Bestehende soziale Konstrukte und Geschlechterverhältnisse sollen aufgebrochen und neu gedacht werden. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, das mit einer Schritt-für-Schritt-Politik in der derzeit bestehenden Ordnung nie eine völlige Gleichberechtigung und Selbstbestimmung zu erreichen ist. 

Realpolitischer Nadelstichfeminismus

Ja, Hillary Clinton ist in meinen Augen eine Vertreterin des realpolitischen Nadelstichfeminismus. Ja, sie setzt sich ein für Schritt-für-Schritt-Maßnahmen, die zu mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern führen sollen. Auf ihrer Website steht, dass sie sich, sollte sie denn Präsidentin werden, dafür einsetzen möchte, dass die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen geschlossen wird. Sie möchte physische Gewalt gegen Frauen "ansprechen" und bekämpfen. Und sie möchte das Recht von Frauen verteidigen, auf legalem Wege abzutreiben.

Doch nur, weil Hillary Clinton Gleichberechtigung als Menschenrecht ansieht und sich für die Rechte von Frauen einsetzt, ist sie noch lange keine Feministin. Eine Hillary Clinton als Präsidentin leitet keine radikale Umwälzung der sozialen Konstrukte und Geschlechterverhältnisse ein.

Der männliche Regierungsapparat

Das steht auch außerhalb ihrer Macht. Denn Hillary Clinton wird (aller Wahrscheinlichkeit nach) führender Kopf eines politischen Systems, das durch und durch von Männern geprägt ist. Im Senat und dem Repräsentantenhaus, den beiden Kammern des US-Kongresses, sitzen derzeit zu 80 Prozent Männer. Und auch in der kommenden Legislaturperiode ist damit zu rechnen. Bedeutet: Überwiegend Männer entscheiden darüber, ob Frauen abtreiben dürfen oder nicht. Männer entscheiden darüber, wie die Gehaltslücke zwischen den Geschlechtern zu schließen sei. Und Männer entscheiden darüber, wie physische Gewalt gegen Frauen (die überwiegend von Männern ausgeübt wird) bekämpft werden kann. Ob nun eine Frau an der Spitze steht oder nicht, ändert nichts daran, dass wir ein männliches Regierungssystem haben. Es ändert auch nichts daran, dass wir in einer Gesellschaft leben, die von Männern geprägt wird.

Um tatsächlich feministische Politik machen zu können, müsste Clinton das Polit-System bekämpfen, in dem überwiegend weiße, alte Männer das Sagen haben. Als langjährige First Lady, Senatorin und Außenministerin gehört sie jedoch zum Urgestein eben dieser US-amerikanischen Polit-Szene, dem sogenannten Establishment. 

Mit ihrer Wahl zur Präsidentin stärkt sie vielleicht sogar die männliche, herrschende Klasse, die Kritiker*innen künftig immer sagen wird: Was wollt ihr denn, wir haben doch Gleichberechtigung, schließlich haben wir eine weibliche Präsidentin.

Clinton > Trump

Trotzdem ist es wichtig, dass Hillary Clinton die Wahl am 8. November gewinnt. Denn natürlich gilt es zu verhindern, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten wird. Die Philosophin und Feministin Judith Butler sagte dazu erst kürzlich in einem Interview mit der FAZ: Lieber gegen die Politik einer Hillary Clinton auf die Straße gehen, als gegen die eines Donald Trumps.

In Sachen Feminismus wird sie sich als Präsidentin die Liste ihrer männlicher Kollegen einreihen. Deren Politik ebensowenig feministisch war, wie es Clintons ist.