Je mehr Fachbegriffe und Foucault-Zitate Studierende benutzen, desto höher ist die akademische Street Credibility. Den wenigsten ist bewusst, wie ausgrenzend diese Dynamik ist. Ein Kommentar

Wenn es eine Bevölkerungsgruppe gibt, die exemplarisch für das rot-grün-versiffte Feindbild der AfD stehen, dann sind es vermutlich Studierende der Geisteswissenschaften. Geht man durch die Gänge der Freien Universität Berlin, an der ich Philosophie und Politik im fortgeschrittenen Semester studiere, sieht man Aushänge für Karl-Marx-Lesekreise und Demoaufrufe. Fast alle hier sind irgendwie links, auf einer Skala zwischen Grünen und Antifa. Das Konzept einer inklusiven Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt und in der alle die gleichen Chancen haben, würden die meisten vermutlich unterstützen.

Interessant dabei ist, dass ich selten eine so ausgrenzende Kultur kennengelernt habe wie in Uniseminaren. Auch wenn dort im Sprechen gegendert und Wert darauf gelegt wird, Menschen geschlechtsneutral anzusprechen. Die meisten der Seminare, die ich besucht habe, sahen so aus: Die Diskussion über die gelesenen Texte spielten sich zwischen Dozent*in und fünf überwiegend männlichen Studierenden ab. Der Rest saß stumm in den hinteren Reihen und schaute aus dem Fenster.

Foucault zitieren ist der Uni-Schwanzvergleich

Woran liegt das? Haben die anderen 25 Teilnehmenden einfach keinen Bock? Sind sie diese apathischen, unpolitischen, punktesammelnden Studierenden, über die sich die älteren Vorm-Krieg-war-alles-besser-Generationen immer beklagen?

Ich meine, dass das Problem ein Ausgrenzungsmechanismus ist:

Durch einen bestimmten Sprachgebrauch werden Studierende von der Diskussion ausgegrenzt.

Diese Dynamik stellt sich meist schon in der ersten Sitzung ein. Schnell kristallisieren sich die Wortführer*innen heraus, die mit Monologen voller Fachbegriffe und Vergleiche zu anderen Autor*innen um sich werfen. Bei jeder Gelegenheit anzumerken, was Foucault schon mal zu Sachverhalt X geschrieben hat, ist der Schwanzvergleich der modernen Geisteswissenschaft. Hinzukommt, dass die Redebeiträge anderer oft scharf kritisiert oder als banal abgetan werden. Statt sich gemeinsam komplizierte Texte zu erarbeiten, geht es in solchen Momenten im Grunde darum, zu zeigen, wer mehr weiß.

Besonders Studierende, die den Unisprech nicht schon im Akademiker*innen-Elternhaus erlernt haben, werden so von der Teilhabe am Seminar ausgegrenzt. Erfahrungsgemäß sind es ebenfalls oft Frauen, die in die Rolle der Zuhörenden gedrängt werden.

Das Problem ist, dass der dominante Sprachgebrauch und eine Einteilung in gute und schlechte Fragen einschüchternd wirkt. Statt Fragen offen und ehrlich zu stellen, überlegt man sich plötzlich dreimal, wie und ob man die Frage formuliert. Ist das nicht zu banal? Und bevor man sich die Blöße gibt, dumme Fragen oder Redebeiträge auszusprechen, verstummt man lieber ganz.

Wie schafft man ein inklusives Seminar?

Was wäre zu tun, um diese ausgrenzenden Seminarstrukturen aufzubrechen? Tatsächlich ist die Sprache, die hier als Ausgrenzungsfaktor funktioniert, meist eine einzige Farce. Würde man die Sätze der Wortführer*innen von Fachbegriffen und Namedropping befreien, wäre den Sätzen einiges an ihrer intellektuellen Strahlkraft genommen.

In meinem Politikstudium habe ich einmal ein Seminar über Menschenbilder in der politischen Ideengeschichte belegt. Meistens beteiligten sich alle 30 Teilnehmenden aktiv am Gespräch. Der Dozent legte zu Beginn des Seminars drei Regeln fest, mit denen er versuchte, die Ausgrenzungsmechanismen auszuhebeln:
1. Fachbegriffe erklären

In der Diskussion sollten Fachbegriffe vermieden werden. Wer auf einen bestimmten Begriff nicht verzichten wollte, musste ihn zumindest kurz erklären – selbst wenn er noch so banal erscheint, wie etwa Hegemonie. Einerseits fühlen sich dadurch Menschen weniger eingeschüchtert, die bestimmte Fachbegriffe nicht kennen. Andererseits verhindert es, dass Menschen Fachbegriffe in den Raum werfen, von denen sie selbst oft nicht genau wissen, was sie bedeuten.
2. Doppelt-quotierte Redner*innenlisten

Der Dozent des Seminars hat die Studierenden nach dem Prinzip einer doppelt-quotierten Redner*innenliste drangenommen. Solche Listen werden häufig in linkspolitischen Gruppen verwendet. Sie sollen einerseits garantieren, dass Männer und Frauen gleichberechtigt an dem Gespräch teilnehmen und andererseits, dass Erstredner*innen zuerst drangenommen werden, sodass das Gespräch nicht nur zwischen denselben fünf (männlichen) Studierenden stattfindet.

Der Dozent hat nicht tatsächlich eine Strichliste geführt, sondern aufmerksam beobachtet, wer wie oft zu Wort gekommen ist. Meldeten sich nach zwei männlichen Redebeiträgen wieder nur Männer, hat er die weiblichen Seminarteilnehmerinnen nicht mit einem Satz à la "So, jetzt muss mal wieder eine Frau sprechen" unter Druck gesetzt. Stattdessen wartete er einige Momente, fasste das zuvor Gesagte noch mal zusammen oder formulierte die Frage um. Die Technik hat funktioniert: Meist meldeten sich daraufhin auch Frauen oder Teilnehmende, die zuvor nicht so viel gesagt hatten.
3. Alle Redebeiträge ernst nehmen

In vielen Seminaren clashen unterschiedliche Meinungen und Bildungsniveaus aufeinander. Statt bestimmte Redebeiträge pauschal als falsch abzustempeln, wurde in jenem Seminar Wert darauf gelegt, dass alle Gedanken und Meinungen ernst genommen und diskutiert wurden. Natürlich kritisierten wir uns gegenseitig, aber wir haben stets versucht, Kritik nicht wertend zu formulieren.

Das Ergebnis: ein Seminar, in dem sich fast alle engagierten. Der Dozent hat einen Raum geschaffen, in dem sich jede*r sicher genug fühlte, auch die scheinbar simpelsten Fragen zu stellen oder Thesen zu formulieren, auch auf die Gefahr hin, dass diese vielleicht falsch werden könnten. Gleichzeitig hat man sich nicht unter Druck gesetzt gefühlt, wenn man mal keine Lust hatte, mitzuarbeiten.

Meiner Erfahrung nach hängt es maßgeblich von Dozierenden ab, ob eine entspannte, nicht-ausgrenzende Seminaratmosphäre entsteht. Die wenigsten Studierenden machen sich Gedanken darüber, wie sehr sie andere mit ihrem Unisprech ausgrenzen können. Und das, obwohl viele von ihnen regelmäßig für eine ausgrenzungsfreie Gesellschaft auf die Straße gehen.