Homosexualität im Fußball fühlt sich auch 2017 noch wie ein Tabuthema an: Die Zahl der geouteten Profispieler in Deutschland lässt sich an einer Hand abzählen. Um genau zu sein an einem Finger. Und in dem Fall sei angemerkt, dass die besagte Person, Thomas Hitzelsperger, erst nach dem Ende seiner Karriere damit an die Öffentlichkeit trat. Nun folgt ein Schweizer seinem Beispiel: Pascal Erlacher ist zwar kein Fußballspieler, doch ein gefragter Schiedsrichter der Schweizer Top-Liga. In einem Interview mit der Zeitung Blick, um das er selbst gebeten hatte, erklärt Erlacher, warum er diesen Schritt gegangen ist – und wie homophob es in den Umkleidekabinen zugeht.

Auf die Frage, warum er sich outet, erklärt Erlacher: "Ich hoffe, dass ich mit meinem Outing eine öffentliche Diskussion anrege. Spricht man nicht über ein Thema, ist das Stillstand. Und Stillstand ist Rückschritt." Er ist sich jedoch sicher, dass es nicht nur positive Reaktionen auf sein Outing geben wird. Doch Erlacher weiß, dass noch immer viele Menschen darunter leiden, dass Homosexualität im Fußball totgeschwiegen wird. Das sei auch einer der Gründe für das Interview: "Wenn ich nur schon einem einzigen Fußballer oder Schiedsrichter mit meinen Erfahrungen helfen und Mut machen kann, hat sich mein öffentliches Bekenntnis gelohnt."

Ja, ich bin schwul – na und?" – Pascal Erlacher im "Blick"

Erlacher berichtet im Interview davon, wie er sich in seiner eigenen Zeit als aktiver Fußballer verstecken musste, wie er Angst davor hatte in Schwulenbars zu gehen, wie er sogar ein zweites Handy benutzte, Geschichten vom vergangenen Wochenende erfand, sogar eine Beziehung mit einer Frau führte. Mittlerweile ist Erlacher glücklich mit seinem Partner und kann vielleicht auch deshalb so offen und mit einem gewissen Abstand über die Vergangenheit sprechen. Er berichtet von Situationen aus der Umkleide, in denen er selbst eine Rolle einnahm, vorgab jemand zu sein, der er eigentlich nie war: "Wenn in der Garderobe jemand gesagt hat: ,Hey, du schwuler Siech!' oder: ,Schau nicht so schwul!', lachte ich mit und tat so, als fände ich diese Sprüche auch cool. Dabei dachte ich jeweils: ,Pasci, sag ja nichts dazu, sonst fällst du noch auf!' Ich habe mich in der Kabine verstellt und mir komische Dinge angeeignet, um ja nicht aufzufallen."

Die Reaktionen auf Erlachers Offenheit sind durchwachsen: Wie das Online-Magazin queer berichtet, reagieren Schweizer LGBTQ-Verbände begeistert, der Journalist Michael Wegemann ist der Meinung, Erlacher habe für seinen Mut Standing Ovations verdient. Der Schweizer Schiedsrichter Chef äußert sich eher verhalten und sieht das Ganze "auch kritisch, weil ich nicht weiß, ob das Fußballgeschäft dafür bereit ist. Die Reaktionen sind nicht absehbar." In knapp zwei Wochen, am 21. Dezember, wird das Schweizer Fernsehen einen Dokumentarfilm namens Ich, der Schiedsrichter über Erlachner zeigen. Laut queer versucht der Schweizerische Fußballverband jedoch, die Doku erst in der Winterpause auszustrahlen – wahrscheinlich um möglichst wenig Aufsehen bezüglich des Coming-outs zu erregen.

Fragen über Fragen

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob 2017 ein Outing überhaupt noch notwendig ist. Ob es heute nicht eigentlich egal sein sollte, welches Geschlecht man liebt. Ob man damit nicht ein Fass aufmacht, das keines sein sollte. Doch bevor wir uns diese Fragen stellen, sollten wir uns viel eher fragen: Warum scheint ein Outing im männlichen Profifußball so schwierig zu sein? Warum ist das so ein Tabuthema?