Morgens in der U-Bahn, auf dem Weg in die Arbeit, die er eigentlich gerne mag, da beginnt sein Herz immer schneller zu schlagen. Er hustet. Ein leichter Brechreiz kratzt in seinem Hals. Seine Beine werden weich, Bewegungen und Gedanken immer hektischer. Dazu kommt die Angst, die Angst vor der Angst.

Er presst seine Hände stark gegen den Sitz in der U-Bahn und versucht sich auf die Häuser, die am Fenster vorbeiziehen, zu konzentrieren. Häuser, Straßen, Menschen. Kurz sind seine Gedanken von der Angst weg. Dann fährt die Bahn in einen Tunnel und seine Angst ist wieder da. Sie bleibt. Ihm schießen Fragen durch den Kopf: Was, wenn ich mich übergeben muss? Was, wenn das Gefühl nicht weggeht? Was, wenn es die Kollegen bemerken? Muss ich sterben?

Michael leidet an Panikattacken. Er hat Angst davor, dass es seinem Körper schlecht geht. Davor, dass er sich übergeben muss oder zusammenklappt, obwohl ihm das noch nie passiert ist. Die Attacken überkommen ihn in der U-Bahn, auf Partys, im Zug oder beim Vorglühen. Er weiß nie, wann sie kommen. Michael ist 27 Jahre alt und heißt eigentlich anders. Auch sein Aussehen soll ich nicht genau beschreiben, darum bittet er mich mehrmals. Wegen der Attacken und wegen der Drogen soll niemand wissen, dass diese Geschichte seine Geschichte ist.

Die Psyche darf nicht krank sein, es muss der Körper sein

Wann seine erste Panikattacke war, daran kann sich Michael nicht mehr erinnern. Zuerst dachte er, das Herzrasen wäre eine Nebenwirkung seines Schilddrüsenmedikaments. Die Attacken mussten einfach körperlicher Natur sein, redete er sich ein, es ging nicht anders. Er ließ sich durchchecken. Der Internist stellte fest, dass sein Herz unregelmäßig schlug. Nach dem EKG war sein Herzschlag wieder normal. Es war wohl die Stresssituation, die sein Herz schneller schlagen ließ.

"Ich ging damals ungern feiern", erzählt Michael. "Auf Partys oder im Club ist es heiß und laut. Wenn ich dort eine Panikattacke bekam, musste ich gehen. Ich wollte diesen Scheiß endlich loswerden und begann genau zu beobachten, wann die Attacken auftraten." Nach und nach wurde ihm bewusst, dass sich Orte und Situationen ähnlich waren. Michael gab sich einen Ruck und sprach mit seinen Eltern darüber. Sie rieten ihm zur Therapie. "Ich war zu Beginn echt skeptisch. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich ein Problem hatte. Aber ich dachte mir, mit einer Gratisstunde ist ja nichts verloren."

„Zu Beginn war es hart, den Leuten davon zu erzählen. Ein Mann, der in Therapie ist, gilt immer noch aus Schwächling." – Michael, 27

Bereits nach der ersten Einheit wurden die Abstände zwischen Michaels Attacken größer. "In der Therapie erzählte ich zum ersten Mal jemandem von meinen Attacken, der Verständnis hatte. Das tat gut", sagt Michael. Seine Therapeutin brachte ihm bei, wie er atmen und was er beachten muss, wenn die Panik in ihm aufsteigt.

Während er spricht, kann ich es kaum fassen, wie offen er redet. Die meisten Männer hausieren schließlich nicht damit, in Therapie zu sein. Obwohl Männer genauso häufig an psychischen Problemen wie Frauen leiden, erklärt der Therapeut Johannes Vennen in seiner Kolumne "Männer und Psychotherapeuten – wer meidet wen?", beträgt der Anteil von männlichen Patienten in ambulanten Praxen nur 30 Prozent. "Männern fällt es offenbar schwerer als Frauen, psychische Probleme mit ihrem Rollenbild in Einklang zu bringen", so der Kieler Therapeut.

Michael nimmt einen großen Schluck von seiner Weißweinschorle und sagt: "Zu Beginn war es hart, den Leuten davon zu erzählen. Ein Mann, der in Therapie ist, gilt immer noch aus Schwächling. Und dann auch noch mit einer Angst, die schwer zu beschreiben ist. Bei einer Angst vor Spinnen ist klar, man hat Angst vor Spinnen. Aber bei einer Panikattacke hat man Angst vor der Angst."

Fast ein Viertel der Menschen hat einmal im Leben eine Attacke

Ich treffe Jürgen Steurer. Er ist Verhaltenstherapeut, 36 Jahre alt, trägt einen Pullunder über seinem Hemd und legt während dem Gespräch seine Uhr auf den Tisch. 20 bis 22 Prozent der jungen Erwachsenen hätten zumindest einmal in ihrem Leben eine Panikattacke, erklärt er. Ob daraus eine Panik- oder Angsstörung werde, hänge von den Umständen ab: "Bei den meisten Patienten gibt es eine lange Phase der Belastung, Stress, einen Todesfall, Trennung oder Jobverlust in der Vorgeschichte. Wenn man so eine Belastung entwickelt, dann greifen manche auch zum Alkohol oder kriegen Depressionen."

Ich frage Michael, ob er trinke oder Drogen nehmen würde wegen seiner Attacken. "Alkohol ist furchtbar", antwortet er. "Da ich ohnehin Angst vor Übelkeit habe, kurbelt der Alkohol dieses Gefühl ja nur an. Also in meinem Fall ist Alkohol echt keine Lösung." Ähnlich gehe es Michael auch mit Gras. Er kann sich noch an einen Horrortrip in Kolumbien erinnern, wo sich alles nur mehr drehte und ihm total übel wurde. Nur MDMA habe funktioniert, sagt er plötzlich. Michaels Freunde nahmen es beim Ausgehen schon länger. Lange traute er sich nicht. An einem Abend in Berlin wollte er dann doch ausprobieren, ob er mit dem Stoff seine Angst loswerden könnte.

Michaels Freund besorgte es, drittelte die roten Pillen mit einem Messer und erklärte ihm genau, was passieren würde und was schiefgehen könnte.

Methylendioxymethamphetamin – kurz MDMA – gibt es in der Party-Szene schon lange. Es ist ein Hauptbestandteil von Ecstasy. MDMA wirkt enthemmend und erzeugt ein starkes Gefühl zur Nähe zu anderen, die bekannte Ich-liebe-euch-alle-Euphorie. Darum wird MDMA oft auch Kuschel- oder Gefühlsdroge genannt.

Michaels Freund besorgte es, drittelte die roten Pillen mit einem Messer und erklärte ihm genau, was passieren würde und was schiefgehen könnte. "Ich dachte mir, wenn ich es jetzt nicht mit jemandem versuche, der sich auskennt, werde ich mich das nie trauen. Ich hatte zu Beginn Angst und wollte am selben Tag noch einen Rückzieher machen. Ich wollte mir nicht mein ganzes Leben von den Attacken bestimmen lassen." Vor dem Club schluckte Michael die Tablette dann, genauso wie seine Freunde. "Beim Raufkommen hatte ich immer noch Schiss, aber als ich oben war, realisierte ich, dass ich es geschafft hatte. Ich hatte Angst und konnte sie besiegen." Später im Club warf er dann noch mal nach, ihm ging es gut. So gut wie schon lange nicht mehr.

Auf MDMA zu sein, ist für Michael eine Ausnahme, eine Auszeit von seinen Problemen, die man sich natürlich nicht zu oft nehmen darf, das weiß er.

Wenn Michael davon erzählt, glänzen seine Augen. Und nicht wegen dem üblichen Drogen-sind-geil-Gelaber, sondern weil dieses Erlebnis für ihn wirklich wichtig war. Von dieser Nacht erzählte er auch seiner Therapeutin. Sie ermahnte ihn zwar, verantwortungsbewusst mit Drogen umzugehen, aber wenn es ihm helfe, sei es okay. Auch seinen Eltern erzählte er davon. "Zu Beginn waren sie skeptisch." Aber nachdem er offen darüber gesprochen hätte, dass es ihm helfe und er verantwortungsbewusst mit der Droge umgehe, hätten sie sich auch für ihn gefreut.

Seither nimmt Michael öfters mal MDMA. Immer mit Freunden, immer zum Ausgehen. Bisher hält es sich in Grenzen, sagt er, auch weil es seine Freunde es selten nehmen würden. Auf MDMA zu sein, ist für Michael eine Ausnahme, eine Auszeit von seinen Problemen, die man sich natürlich nicht zu oft nehmen darf, das weiß er. Die Tage nach dem Trip sind schwer: "Manchmal spüre ich eine richtige Melancholie und ich sehne mich nach dem Gefühl, auf MDMA zu sein", so Michael.

MDMA ist keine Lösung

Verhaltens- und Psychotherapeut Jürgen Steurer sieht das anders: "Ich würde von der Einnahme von illegalen Substanzen immer abraten, ganz besonders wenn ich eine psychische Krankheit habe". Zudem betont er, nehme bei Ecstasy der Puls zu und in dieser Phase sei es noch wahrscheinlicher, eine Attacke zu entwickeln. Denn erst nach einer gewissen Zeit komme eine Phase der euphorischen Wirkung. "Nach dem Trip ist es so, dass der Neurotransmitter Serotonin in geringen Mengen im Gehirn vorhanden ist und das macht die Entstehung von Ängsten und depressive Verstimmungen noch viel wahrscheinlicher".

Was aber wirklich gegen seine Panikattacken helfe, sei ohnehin nicht MDMA, sagt Michael zum Schluss. Es sind die Leute, die nicht fragen, warum er sich so fühlt, sondern einfach für ihn da sind.

Gegen Angst helfe am besten Konfrontation. Nur wer sich der Angst stelle, könne die Angststörung loswerden. Steurer mache mit seinen Patient*innen darum regelmäßig Verhaltensexperimente, wo sie gemeinsam Treppen hoch und runterlaufen und Liegestützen machen. Zuvor und danach müssen die Patient*innen ihren Puls messen. "So sieht der Patient, dass der erhöhte Puls und das Herzrasen ganz von selbst wieder weggeht und etwas ganz Natürliches ist", so Steurer. Mit einem Grinsen im Gesicht sagt er zum Abschluss: "Ich würde darum eher dazu raten als zu MDMA."

Was aber wirklich gegen seine Panikattacken helfe, sei ohnehin nicht MDMA, sagt Michael zum Schluss. Es sind die Leute, die nicht fragen, warum er sich so fühlt, sondern einfach für ihn da sind. Ihm Sicherheit geben und einfach mal seine Hand nehmen oder ihn in ein Gespräch verwickeln.

Hilfe für Drogenkonsument*innen und Angehörige

Grundsätzlich kann jeder Mensch in Krisensituationen bei der Telefonseelsorge unter den kostenlosen Rufnummern 0800 - 111 0 111 und 0800 - 111 0 222 anrufen. Infomaterial und Listen von Ansprechpartner*innen für Drogenabhängige und Angehörige bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, unter anderem mit einem bundesweiten Verzeichnis der lokalen Suchtberatungsstellen sowie eine anonyme Sucht-und-Drogen-Hotline (01805 - 31 30 31). Speziell für Eltern von betroffenen Kindern und Jugendlichen gedacht ist das Elterntelefon der Nummer gegen Kummer.