Täglich werden wir mit dem Tod konfrontiert, darüber zu sprechen fällt uns schwer. Besonders wenn es um die eigenen Eltern geht. Wie können wir mit dem Thema umgehen?

Mein Vater ist diesen Sommer 73 Jahre alt geworden. Er ist nicht krank oder gebrechlich, ganz im Gegenteil. Er arbeitet Vollzeit. Ein jugendlicher Typ mit Turnschuhen und Hemden, die lässig über die Hose hängen. Umso überraschter bin ich, als er mich kurz nach seinem Geburtstag bei einem Glas Wein auf der Terrasse fragt: "Wie viele dieser schönen Sommer werde ich wohl noch erleben?" Eigentlich sollte ich jetzt etwas Tröstliches sagen, stattdessen murmle ich nur "Ach, Papa" und wechsle das Thema. Mehr bringe ich nicht heraus.

Später frage ich mich, ob das falsch war. Wieso kann ich mit meinem Vater über fast alles sprechen, aber nicht über den Tod? Wahrscheinlich weil ich mir ein Leben ohne meine Eltern nicht vorstellen kann. Meine Mutter eines Tages nicht mehr anrufen zu können, um ihr von meinem Tag zu erzählen, oder mit meinem Vater Samstagmorgens nicht mehr am Frühstückstisch in der Zeitung blättern, das zu akzeptieren fällt schwer.

Obwohl wir ständig in den Nachrichten oder Filmen mit dem Tod konfrontiert werden, setzen wir uns mit der eigenen Sterblichkeit oder der unserer Verwandten nur ungern auseinander. Das überlassen wir lieber den Profis: Ärzt*innen, Pfleger*innen, Sterbebegleiter*innen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015 stirbt heute fast jeder zweite Mensch im Krankenhaus und jeder dritte im Pflegeheim. So können wir dem Thema leichter aus dem Weg gehen.

Angehörige fühlen sich oft hilflos und überfordert

Dass der Tod für viele Menschen ein Tabuthema ist, bestätigt Christian Schulz-Quach. Der Psychiater war mehrere Jahre Palliativarzt am Universitätsklinikum Düsseldorf, mittlerweile arbeitet er am St. Christophers Hospiz in London. Eine Frage hört er besonders oft, wenn er mit Angehörigen über den Zustand seiner Patient*innen spricht: "Was, jetzt schon?" Selbst, wenn Menschen nach langer Krankheit oder in hohem Alter sterben, fühlen sich viele überrumpelt. "Der Tod wird gerne bis zum Schluss verdrängt", sagt er. "Wenn er dann eintritt, löst er großen Stress bei den Menschen aus. Viele wissen nicht, welche Behandlung sich ihre sterbenden Angehörigen wünschen. Sie fühlen sich hilflos und überfordert."

Ich denke an meine Oma. Sie ist gestorben, als ich 18 Jahre alt war. Kurz vorher haben meine Schwester und ich sie im Krankenhaus besucht. Es war ein Schock. Sie sah nicht mehr aus wie unsere Oma. Das Gesicht eingefallen, die Haut fahl. Wir standen da und wussten nichts mit uns anzufangen. Danach sind wir nicht mehr zu ihr, obwohl sie noch zwei Monate gelebt hat. Das tut mir heute noch leid, fast fühle ich mich schuldig. Wir konnten mit ihrem Tod nicht umgehen, wir waren darauf nicht vorbereitet.

So eine Reaktion ist laut Christian Schulz-Quach nicht ungewöhnlich. "Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, fällt jedem Menschen schwer", sagt er. Der Psychiater rät dazu, das Thema offen auszusprechen. "Viele fürchten, den Gesprächspartner zu deprimieren, aber das ist Quatsch." Zwar könne das Thema starke Emotionen wie Angst, Trauer und Wut auslösen, aber sich diese gegenseitig zu zeigen, sei auch eine Art Liebesbeweis. Zwischen Kindern und Eltern festige ein solches Gespräch die Beziehung.

Über den Tod sprechen, aber wie?

Ich nehme mir also vor, meinen Vater noch mal auf das Thema anzusprechen. Nur wie? Ich will nicht, dass die Situation unangenehm oder traurig wird. Aber wie fragt man jemanden, ob man ihm im Ernstfall die Entscheidungen abnehmen oder ihn künstlich ernähren lassen soll?

Schulz-Quach rät mir, vor dem Gespräch meine eigene Haltung zum Thema zu überdenken. Wie denke ich über den Tod? Welche Erfahrungen habe ich bisher damit gemacht? Und vor allem: Habe ich Angst davor? "Und dann gehen Sie zu Ihren Eltern und sagen: Ich habe mir Gedanken zum Thema Tod gemacht, die würde ich gerne mit euch teilen. So begegnen sie sich auf Augenhöhe."

Ich sitze mit meinem Vater im Auto, auf der Rückbank stapeln sich die Einkäufe vom Wochenmarkt. "Papa, ich habe über deinen Tod nachgedacht. Kannst du dir vorstellen, mit mir darüber zu sprechen?" Mein Vater zieht die Augenbrauen hoch. Er wirkt ziemlich überrascht. "Nicht so gern", sagt er. Das habe ich nicht erwartet. "Wieso nicht?" Die Antwort kommt schnell: "Na weil das ein unangenehmes Thema ist, das muss man doch nicht heraufbeschwören." Wir parken vor unserem Haus, mein Vater bleibt sitzen.

"Der eigene Tod ist etwas sehr Intimes"

Ich starte noch einen Versuch: "Ich habe darüber nachgedacht, wie das damals mit der Oma war", sage ich. "Das hat mir Angst gemacht. Ich glaube, ich will nicht im Krankenhaus sterben." Er schaut mich nachdenklich an. Dann sagt er: "Mir wäre es wichtig, Ärzte um sich zu wissen, die mir Schmerzmittel geben können, wenn es zu schlimm wird. Aber künstlich ernährt werden, das will ich auf keinen Fall. Das müsst ihr denen dann sagen." Dann zieht er den Schlüssel aus dem Schloss und öffnet die Tür. Er steigt aus dem Auto. Das Gespräch ist für ihn beendet.

"Der eigene Tod ist etwas sehr Intimes", sagt Schulz-Quach. "So ein Gespräch darf man nicht erzwingen. Und es müssen nicht alle Fragen auf einmal geklärt werden." Es gehe erst einmal darum, Gedanken auszutauschen. Zu zeigen, dass man bereit ist, dem*der anderen zuzuhören.

Ich steige ich aus dem Auto aus. Auf dem Weg zur Haustür fühle mich erleichtert. Ich habe meinem Vater gezeigt, dass er mit mir über seine Sorgen sprechen kann. In Zukunft werde ich dem Thema nicht mehr ausweichen. Vielleicht ergibt sich noch mal ein Gespräch. Das Schöne ist: Uns bleibt ja noch Zeit.