Seit etwa einem Jahr lebe ich offen in einer Polybeziehung und habe mich inzwischen daran gewöhnt, so ziemlich jedem Menschen in meinem Umfeld Rede und Antwort stehen zu müssen. Auch wenn ich nichts dagegen habe, hin und wieder als illegitime Botschafterin des Poly-Lifestyles auszuhelfen, gibt es doch einige Sätze, die ich und andere Polys nicht mehr hören können. Deshalb sollen sie hier ein für alle mal beantwortet sein.

1. Also ich könnte das ja nicht.

Das ist der erste Satz, den alle Polyamore zu hören bekommen, sobald sie sich outen. Und dann noch einmal, nachdem sie auf Nachfrage erklärt haben, wie sie polyamor leben. Und noch einmal, wenn sie ihre Partner*innen vorstellen.

Wir sind uns durchaus darüber im Klaren, dass unser Konzept für die meisten Menschen erst einmal fremd und ungewohnt klingt. Aber wir wollen weder missionieren, noch glauben wir, dass Polyamorie für jede*n die richtige Entscheidung wäre. Du kannst also tief durchatmen und dich entspannen – wir zwingen dir keine Kommunen-Mitgliedschaft auf.

2. Ich will meine Partner*innen nicht teilen.

Dieser Satz verpasst jedem*r Poly eine Gruselgänsehaut. Teilen kann man seinen Staubsauger, Bücher oder Urlaubsfotos auf Facebook, aber nicht Partner*innen. Viele Redewendungen und Begriffe, die mit Liebe oder Beziehungen zu tun haben, drücken einen Besitz aus. Partner*innen gehören uns aber nicht, sie gehören nur sich selbst. Deshalb sollten wir auch nicht bestimmen, mit wem sie reden, Freundschaften schließen, ausgehen oder eben Sex haben dürfen.

Polyamorie heißt, zu akzeptieren, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, zu tun und zu lassen, was sich gut für sie oder ihn anfühlt. Eine Beziehung bedeutet, dass wir daran teilhaben und darüber reden und vielleicht auch hier und da einen Kompromiss eingehen. Aber das ist auch alles.

3. Wann hast du entschieden, polyamor zu leben?

Es gibt mit Sicherheit Menschen, die eines Tages entscheiden, Polyamorie ausprobieren zu wollen und die durchaus in monogamen Beziehungen glücklich sein können. Viele Polys sind allerdings davon überzeugt, dass Polyamorie keine Entscheidung ist, sondern eine Veranlagung wie zum Beispiel die sexuelle Orientierung. Für sie kommt es nicht infrage, monogame Beziehungen zu führen, so wie es für einen Großteil der Monoamoren nicht möglich wäre, in einer polyamoren Beziehung zu leben.

4. Du bist doch single, wie kannst du da polyamor sein?

Polyamorie ist keine Beschreibung des Beziehungszustandes, wie zum Beispiel die Bezeichnung offene Beziehung. Polyamor zu sein ist Teil einer Identität und bedingt sowohl Beziehungsentscheidungen, als auch wie diese Beziehungen ausgestaltet werden. Jemand kann polyamor sein und sein Leben lang tolle emotionale und sexuelle Beziehungen zu Menschen führen, ohne jemals in einer intensiven langfristigen Beziehung zu sein.

Polys sind vielleicht auch nur ein Paar mit Affären und engen Freund*innen drum herum. Oder sie sind ein ganzes Netzwerk von Liebhaber*innen, die gemeinsam leben, wohnen, arbeiten und Kinder großziehen. Am Ende geht es nur um die innere Einstellung, dass Polys jede Liebe und jede Verbindung zu einem Menschen so ausleben wollen, wie es sich für sie richtig anfühlt.

5. Ist Polyamorie nicht einfach nur ein Freibrief zum Betrügen?

Wer in einer polyamoren Beziehung lebt und Sex mit anderen hat, betrügt den*die Partner*in nicht. Zwei Erwachsene haben einvernehmlich entschieden, auch außerhalb ihrer Beziehung Beziehungen zu anderen zu pflegen – Sex ist nur ein klitzekleiner Teil dieser Vereinbarung.

Einvernehmlich zu entscheiden, dass eine Beziehung geöffnet wird, bedeutet natürlich nicht, dass Partner*innen einander nie verletzen oder ihr Vertrauen missbrauchen können. Aber auch Monoamore sind nicht vor Eifersucht, Betrug und Kränkungen geschützt, nur weil vermeintlich eine magische Disney-Treue-Fee ihren Schutzzauber über ihnen ausgesprochen hat. Jede Beziehung benötigt ein gewisses Maß an Ehrlichkeit und Empathie, damit niemand zu Schaden kommt.

6. Bist du denn gar nicht eifersüchtig?

Das kulturelle Bild von Eifersucht ist ein vollkommen verzerrtes. Wenn jemand Eifersucht fühlt, gibt er*sie den Partner*innen die Schuld: Hätte er*sie sich nicht falsch verhalten, wäre das nie passiert. Auch Polyamore erleben Eifersucht – sie gehen nur vollkommen anders damit um.

Wenn wir eifersüchtig sind, hinterfragen wir, woher dieses Gefühl kommt und sprechen offen darüber. Wir nutzen Eifersucht als etwas, an dem sowohl wir persönlich als auch unsere Beziehung*en wachsen können. Das ist im Übrigen eine Einstellung, die auch dem Rest der Welt ganz gut tun würde.

7. Polyamorie ist sicher toll für Männer, aber für die Frauen tut es mir leid.

Dieser Satz wird nur noch übertroffen von: "Ich könnte mir das ja gut vorstellen, aber meiner Partnerin würde ich das nie erlauben." Sorry, aber auf so was gibt es nicht einmal eine höfliche Antwort. Nicht jeder Mann rammelt alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, und die meisten Frauen haben sehr wohl Spaß an Sex, auch mit unterschiedlichen Partner*innen. Diese geschlechternormierten Stereotype sind dumm und unglaublich anstrengend und kein Mensch braucht sie, also Schluss damit!

8. Habt ihr immer Dreier?

Ich weiß nicht, ob du schon einmal versucht hast einen Dreier zu organisieren. Es ist nicht so einfach, wie es vielleicht klingen mag. Du brauchst drei Menschen, die sich alle gegenseitig unglaublich heiß finden – was noch halbwegs fix zu bewerkstelligen ist, diese Personen müssen dann auch noch Lust aufeinander haben, sich also nicht nur attraktiv finden, sondern auch tatsächlich Sex miteinander und zu dritt haben wollen, und sie müssten einen Moment finden, in dem alle drei Lust auf Sex haben.

Das ist eine logistische Meisterleistung, die nicht umsonst dazu geführt hat, dass Hetero-Paare, die eine Bi-Dritte suchen, in Poly- und Swingerkreisen gerne mal als Einhornjäger bezeichnet werden. Um es kurz zu machen: Nein, wir haben nicht nur Dreier, aber ja, wir sind sehr engagierte Logistiker*innen.

9. Ich glaube nicht, dass sich Polyamorie durchsetzen wird.

Ja, das glauben wir auch nicht. Polyamorie ist kein Modell, das Monogamie ablösen soll, sondern ein Gegenentwurf, der parallel besteht. Wenn du unglaublich glücklich in einer monogamen Beziehung bist und nie Gefühle für jemand außerhalb deiner Beziehung hast, dann ist doch alles super. Bleib so, wie du bist! Wir wollen nur das gleiche Recht haben, unser Leben und unsere Beziehungen so zu leben, wie es sich für uns gut anfühlt.

10. Das klingt alles spannend, was du erzählst, aber …

Wenn du findest, dass Polyamorie spannend klingt, solltest du dich weitergehend informieren. Selbst, wenn es für dich nicht infrage kommt, gibt es so wahnsinnig viele neue Perspektiven auf Liebe und Beziehungen, die wirklich hilfreich sein können.

Es gibt inzwischen eine überschaubare Reihe von Büchern, wie zum Beispiel Schlampen mit Moral oder Lob der offenen Beziehung, außerdem den sehr unterhaltsamen Podcast Polyamory Weekly, sowie deutsche Portale wie Unter anderen und Polyamorie.de, die auch einige Stammtische und Vernetzungstreffen auflisten.

Ich weiß, das mit der Polyamorie ist ganz furchtbar aufregend und klingt etwas verrückt, aber es tut den Beteiligten nicht mehr oder weniger weh als Liebe das im Allgemeinen eben tut. Können wir uns also einfach darauf einigen, dass wir schon wissen, was wir tun? Das wäre super.