Es gibt einen Grund, wieso dieser Text erst jetzt erscheint, eine Woche nach dem US-Raketenangriff auf Syrien. Nach dem Militärschlag auf eine Basis des Assad-Regimes gab es unzählige reflexartige Reaktionen. Im Grunde genommen waren es zwei: Ja, Trump hat das Richtige getan und nein, Trump hat das Falsche getan.

In der Redaktion waren wir uns uneins. Wir dachten nach, stritten uns, drifteten in philosophische Fragen ab. Die einen sagten, sie würden die Entscheidung der US-Regierung befürworten. Die anderen meinten, sie könnten sie niemals gutheißen. Wir entschieden uns letztlich gegen einen sofortigen Kommentar, weil einerseits zu viele Fragen offen waren und weil wir andererseits zum gemeinsamen Schluss kamen, dass es in diesem Fall kein Schwarz oder Weiß gibt – eben kein eindeutiges Richtig oder Falsch.

Hier versuchen wir nun, den Angriff aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten – und das differenzierteste Fazit zu ziehen, das uns derzeit zu diesem Thema möglich scheint.

1. Eine spontane, emotionale Entscheidung

Viele Menschen dürften vor allem davon überrascht gewesen sein, wie plötzlich der US-Raketenangriff erfolgte. Anfang vergangener Woche Bilder eines schlimmen Giftgasangriffs in Syrien, Ende vergangener Woche eine militärische Intervention der USA. Handelte Trump vorschnell, vielleicht sogar aus persönlicher Betroffenheit? Oder wog er den Angriff sorgsam ab, unter Berücksichtigung aller möglichen Alternativen und Konsequenzen für Syrien und die USA?

Im Vergleich zum ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der in seiner Amtszeit zwar oft von der berühmten roten Linie sprach, aber eben nie einen Militärschlag befahl, wirkt Trumps Vorgehen überstürzt, beinahe chaotisch. Politiker*innen aus Opposition und der eigenen Partei forderten eine Intervention von Obama. Im vergangenen Dezember wurde er in einer Pressekonferenz gefragt, wieso er nicht endlich eingreife. Er sagte dort, er habe hunderte Stunden – monatelang, wenn man es hochrechne – mit Berater*innen, Militär und externen Expert*innen getagt, um die Lage durchblicken zu können. Er entschied letztlich, nicht zu intervenieren, weil ein solcher Angriff den USA echte Probleme bescheren könne und er sich nicht über den Kongress und den UN-Sicherheitsrat hinwegsetzen wolle.

Trump hingegen ist noch keine zwei Monate im Amt, und wurde laut US-Medien gerade einmal zwei Tage zum Thema beraten, bevor er eine Entscheidung traf. Er selbst erklärte den Angriff als Reaktion auf die drastischen Bilder sterbender, wunderschöner Babys nach dem Giftgasangriff. Das entspricht dem klassischen Trump-Schema: auf Reiz folgt Reaktion. Bisher verfolgte der aktuelle US-Präsident keine Politik, egal auf welcher Ebene, länger als wenige Tage. Den Militärschlag befahl er daher mit hoher Sicherheit spontan. Und anhand emotionalisierender TV-Bilder, statt langer Analysen.

2. Am roten Knopf sitzt ein politisch unerfahrener und wankelmütiger Showmaster

Manchmal muss man die Persönlichkeit eines Menschen ausblenden, bevor man sich ein Urteil über dessen Taten bildet. Doch ist das im Fall des US-Präsidenten kaum möglich. Donald Trump, der wankelmütige Twitterpräsident, darf wirklich Militärschläge befehligen. Und er tut es. Vor wenigen Jahren blickte der Mann durch Reality-TV-Kameras und rief "you're fired", jetzt schickt er Tomahawk-Raketen durch die Welt.

Bisher verpuffte vieles von dem, was Trump tat, im Nichts. Seine Vorstöße zur Einreisepolitik wurden gerichtlich abgeblockt und auch sonst erreichte er politisch bislang wenig bis gar nichts. Trump hat weder politische noch militärische Erfahrung – aber jetzt wissen wir, dass er wirklich in der Position ist, die Weltgemeinschaft zum Krieg aufzustacheln. Er geht mit dieser Verantwortung so leichtfertig um, wie er auch den Klimawandel leugnet oder Geld aus der humanitären Hilfe abzieht.

Bei Trump wirkt es so, als passiere alles immer nebenher. Während eines Fernsehinterviews erzählte er, wie er Schokoladenkuchen aß, als er die Raketen in den Irak schickte – dann korrigierte er sich, "um, to Syria". Wenn ein Staatsoberhaupt schwerwiegende Handlungen so nacherzählt, als ginge es darum, welche Krawatte er warum ausgewählt hat, ist das sehr bedenklich.

Vieles von dem, was er seinem Vorgänger Obama vorwarf, macht Trump nun selbst: Jahrelang schloss er einen Angriff auf Syrien kategorisch aus. Ja, man muss Menschen einräumen, dass sie ihre Einstellung ändern können. Doch Trump bewies uns nun, dass unter ihm alles möglich ist. Nicht nur unmöglich infantile Tweets, sondern auch reale Kriegshandlungen mit realen Opfern.

3. Sechs Jahre Reden haben nichts gebracht

Immer wieder hörte man Kommentator*innen davon sprechen, was denn die Alternativen zum Raketenangriff gewesen wären? Und tatsächlich: Sechs Jahre lang schlug die Diplomatie fehl, die humanitäre Hilfe verfehlte ihre Wirkung. Ohne den Raketenangriff hätte sich in Syrien sicher auch nichts verbessert. Die Lage dort ist katastrophal und wird immer schlimmer, die Hauptstadt ist zerstört, Kinder sterben durch Giftgas. Vergangene Woche passierte das nicht zum ersten Mal. Es gibt Kriegsverbrechen auf allen Seiten. Aber ein echtes Einschreiten des Westens, das gab es noch nie.

So betrachtet war ein Eingriff von außen womöglich richtig – er könnte nicht nur Syriens politischer Führung zeigen, dass der Welt ihre Grausamkeiten nicht entgehen, sondern auch extremistische Gruppen warnen, dass der Westen ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht duldet.

Die Weltgemeinschaft trägt sicher eine moralische Verantwortung füreinander, wie es die Vereinten Nationen (UN) formulieren. Ein Handeln war erforderlich. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob ein Militärschlag die einzige Lösung sein kann. Ein Mitglied der Redaktion warf etwa die Frage auf, wo unsere moralischen Grenzen liegen: Wieso es direkt Raketen sein müssen und man nicht beispielsweise Assad persönlich festsetzen könne, ihn quasi zur Diplomatie zwingen. Auch Flugverbotszonen und Sanktionen gegen Russland wären vielleicht nicht völlig undenkbar gewesen.

4. Keine Allianzen, keine Strategie, kein Zukunftsplan

Trump entschied den Raketenangriff, ohne den Alliierten darüber zu berichten. Kein Partner war involviert, kein Bündnis beteiligt, lediglich Frankreich wurde vorher informiert. Der Militärschlag auf Syrien war im wahrsten Sinne eine One-Man-Show.

Soweit es sich bisher sagen lässt, griff die USA Syrien zudem ohne eine längerfristige Strategie an. Im Gegenteil: Der Militärschlag sei eine einmalige Sache gewesen, heißt es bislang aus dem Weißen Haus. Pläne für künftige Interventionen, gar einen Masterplan für nachhaltigen Frieden in Syrien? Gibt es nicht. Trump plant auch nicht, jetzt Kraft in die humanitäre Hilfe zu stecken. Das bedeutet, dass die USA vor dem Angriff entweder nicht in Zukunft blickte und Konsequenzen hinterfragte, oder die Konsequenzen sehr wohl kannte und diese aus welchen Gründen auch immer in Kauf nahm. Beide Vorstellungen sind grotesk: Die größte Militärmacht der Welt zieht entweder planlos in den Krieg oder wissentlich ohne Rücksicht auf die Interessen anderer.

Der Angriff zeigt: Ein zurückhaltenderes Amerika, wie Trump es im Wahlkampf ankündigte, wird es nicht geben. Das machen auch seine aktuellen Drohungen gegen Nordkorea deutlich. Der US-Präsident widerspricht sich quasi laufend selbst. Die Rolle der USA in der Weltpolitik wird dadurch noch undurchschaubarer. Das macht es auch Bündnispartnern in Europa schwer, auf die USA und ihren Präsidenten einzugehen und künftig gemeinsame politische Projekte zu stemmen.

5. Das Motiv des Militärschlags bleibt völlig unklar

Was dachte sich Trumps Beraterstab, als er ihm zum Angriff riet? Was möchte die US-Regierung damit bezwecken? Liegt Trump tatsächlich etwas daran, dass die Menschen in Syrien endlich wieder in Frieden leben können? Oder geht es hier um andere Interessen?

Wir können ehrlicherweise nur spekulieren. Möglich ist, dass der Angriff als symbolische Handlung geplant war: Wenn wir wollen, können wir diesen Krieg mit unserer militärischen Stärke beenden. Möglich ist auch, dass die USA dem Assad-Regime tatsächlich Einhalt gebieten möchte. Dann stellt sich aber die Frage, wieso man in Regierungskreisen noch eine Woche zuvor darüber nachdachte, dass Assad ein möglicher Verbündeter im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat sein könnte.

Die US-Regierung tut sich – womöglich gerade deshalb – sehr schwer damit, nun eine vernünftige, offizielle Begründung zum Angriff zu formulieren. Nachvollziehbar: Viele Menschen in den USA wünschen sich, man hätte schon 2013 in Syrien interveniert. 2016 dann ging der Wunsch um, gemeinsame Sache mit Assad zu machen. Und 2017 soll die Regierung dann plötzlich einen Angriff auf sein Regime legitimieren?

Möglich ist, dass der Angriff vorwiegend als ein Signal an Moskau und den russischen Präsidenten Vladimir Putin gedacht war, der als Unterstützer Assads gilt. Möglich ist auch, dass Trump sich vor den US-Bürger*innen von den Vorwürfen, er sei nur mithilfe Moskaus Präsident geworden, reinwaschen will. Die politischen Verwicklungen sind fragil und es ist nach wie vor unklar, wie Putin und Trump wirklich zueinander stehen. Doch so plötzlich der Angriff erfolgte, so unklar sind die wirklichen Motive.

6. Es ist nicht absehbar, mit wem die USA es sich verscherzte

Durfte Trump eigentlich angreifen? Auch wenn einige europäische Partner, unter anderem Deutschland, den Militärschlag im Nachhinein unterstützen, war er völkerrechtswidrig. Die Charta der Vereinten Nationen (UN) billigt einen Einsatz von militärischer Gewalt nur, wenn ein angegriffener Staat sich verteidigt oder der UN-Sicherheitsrat den Militärschlag genehmigt. Beides war nicht der Fall.

Die UN-Regeln sind klar, wie Jochen Bittner in der aktuellen ZEIT schreibt: "Selbst wenn Assad eine Million Menschen vergasen würde – einen Nothilfe-Automatismus gibt es nicht. Völkerrechtlich anerkannt ist zwar inzwischen auch das Konzept der Schutzverantwortung, also eines Eingriffsrechts in Fällen, in denen ein Staat seine Souveränität missbraucht, um schwere Verbrechen an der eigenen Bevölkerung zu verüben." Doch auch dafür bräuchte es ein Mandat des UN-Sicherheitsrats.

Wie beeinflusst dieser Angriff die amerikanisch-russische Beziehung? Wie steht Putin zu Trump, wie weit ist er bereit zu gehen? Welche schlafenden Riesen hat die USA geweckt? Bereits kurz nach dem Militärschlag ließ Russland mitteilen, dass dieser extrem ernste Konsequenzen für die USA haben könne und nach einer Erklärung verlange. Auch der Iran verurteilte den Angriff, er sorge nur für mehr Instabilität. Beide Länder unterstützen das syrische Assad-Regime: Russland etwa habe sogar im Vorfeld vom letzten Giftgasangriff gewusst, den nach bisheriger Faktenlage wirklich Assad befehligte. Bisher legte Russland acht Vetos ein, wenn es um Resolutionen in Syrien ging, so auch gestern. Warum und ob womöglich wirtschaftliche Interessen dahinterstecken, lässt sich nicht sagen.

Es ist gut möglich, dass Putin sich durch Trumps Militärschlag schwer angegriffen fühlt und das nur einen noch größeren Graben zwischen USA und Russland mitsamt Partnern zieht. Die Eskalationsschwelle dürfte jetzt jedenfalls niedriger sein, als zuvor.

7. Wie effektiv dieser Angriff letztlich war, zeigt erst die Zukunft

Rein militärisch betrachtet war der Raketenangriff nicht so wirkungsvoll, wie die USA sich das erhofft haben dürfte. Abgesehen von den Todesopfern – darunter sind laut der Presseagentur Sana übrigens auch zivile eines naheliegenden Dorfes, fünf Erwachsene und vier Kinder –, trafen die Raketen mehrere Flugzeuge, Treibstoffdepots, Munitionslager und Hangars in Assads wichtigster Luftwaffenbasis. Die Landebahn jedoch blieb nahezu unbeschadet. Die Basis konnte offenbar schon am nächsten Tag wieder den Betrieb aufnehmen. Trump gab sich daraufhin wissend und erklärte über Twitter, dass man generell keine Landebahnen angreife.

Politisch betrachtet waren die Auswirkungen des Angriffs jedoch gewaltig. Trump dürfte ein globaler Hallo-wach-Moment gelungen sein. Zusätzlich antwortete der Präsident auf angestaute Sehnsüchte vieler Menschen, wie Bernd Ulrich in der aktuellen ZEIT schreibt: danach, dass wenigstens irgendetwas gegen das Morden in Syrien getan werde und die USA Europa doch nicht mit der Lage dort im Stich lasse.

Doch was der Militärschlag in Syrien letztlich bewirkt, vermag niemand zu durchblicken. Im besten Fall nimmt es der syrischen Regierung die Illusion, sie könne den Bürgerkrieg militärisch gewinnen, weil es da eben noch einen größeren Fisch im Teich gibt, und beteiligt sich an diplomatischen Gesprächen. Im schlimmsten Fall tut sich jetzt überhaupt nichts – und vier Kinder sind völlig umsonst gestorben.

Was abschließend zu sagen bleibt

Zur Wahrheit gehört sicherlich, dass ein Signal an das syrische Regime überfällig war: Ihr geht hier definitiv zu weit. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass 59 Tomahawk-Raketen auf einen syrischen Militärstützpunkt, so alleinstehend, nichts in diesem Land zum Positiven verändern. Zur Wahrheit gehört letztlich ebenfalls, dass niemand von uns weiß, welche tieferen Beweggründe hinter der Entscheidung der US-Regierung steckten.

Abschließend lässt sich sagen, dass zwar endlich gehandelt werden musste, aber die Umstände und die tiefergreifenden Dynamiken, die Trump durch die Variante Tomahawk jetzt in Gang setzte, sind mehr besorgniserregend als ein tatsächlicher Gewinn für Syriens Frieden.