Dass Beziehungen schwieriger sind, je weiter zwei Menschen voneinander entfernt leben, wissen wir. Vor allem aber Luiza und Robin Holst: Seit knapp zehn Jahren pendeln sie mehr als 10.000 Kilometer. Denn Robin wohnt in Schweden und Luiza in Brasilien. Er ist in Göteborg zu Hause, sie in Rio de Janeiro. Vergangenes Jahr wollten sie die Fernbeziehung endlich beenden und zusammenziehen. Robin suchte eine gemeinsame Wohnung, Luiza bereitete ihren Umzug nach Schweden vor. Ihr Abschiedsfest war eine Traumhochzeit.

Doch als alles geplant war, trafen sie auf eine neue Hürde: die Bürokratie. Seither steht ihre Liebe auf der Warteliste der schwedischen Einwanderungsbehörde.

"Das Warten frisst dich auf", sagt Robin. Er sitzt in einem Café in Göteborg, erst vor ein paar Tagen kam er aus Rio zurück. Luiza blieb dort bei ihrer Familie. Noch vor dem Abflug wurde er von der Flughafen-Polizei befragt: Acht Einreisestempel nach Brasilien in den letzten fünf Jahren, das sei verdächtig. Frustrierend, denn wäre alles gut gelaufen, würde er längst mit seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung in Göteborg leben. Luiza wäre vermutlich gerade mit ihrem Sprachkurs fertig und würde ihre schwedische Anerkennung als Ärztin anfangen. Wäre, würde – hätte, hätte, Fahrradkette.

Stattdessen aber wartet das Paar seit über einem Jahr auf Luizas Aufenthaltsgenehmigung.

Im Frühjahr 2015 hatten sie den Antrag auf Familiennachzug gestellt, vier Monate sollte es dauern, allerhöchstens acht. Hochzeit, Flitterwochen, Umzug im September, alles war aufeinander abgestimmt. Doch im August hatten sie immer noch keine Antwort, nicht einmal eine Einladung zum obligatorischen Interview, bei dem die Echtheit einer Ehe nachgewiesen werden soll.

Auf Nachfrage teilte der Beamte im migrationsverket, der schwedischen Einwanderungsbehörde, ihnen mit, dass sich die Wartezeit der Anträge auf bis zu 16 Monate verlängert habe – nur sei man leider noch nicht dazu gekommen, das auf der Informationsseite zu aktualisieren. Später korrigiert das Amt: Möglicherweise dauert es 20 Monate. Das Warten beginnt.

Sie lassen sich alle Freiheiten – und landen wieder beieinander

Die Geschichte der beiden klingt fast wie ein Film: Mit 17 Jahren lernen sie sich im Jugendcamp kennen, verlieben sich, auf dem Rückflug sitzen sie zufällig in der gleichen Maschine. Zu Luizas 18. Geburtstag schickt ihr Robin einen Ring – nichts teures, zwei Glassteine, die sich umgreifen. Von ihrer Ringgröße hat er keine Ahnung, es ist ein Zufallstreffer. Und schon ein paar Monate später kratzt er all sein Geld zusammen und fliegt das erste Mal nach Rio. Einige Wochen verbringt er dort, in einem unbekannten Land, mit unbekannter Sprache, bei einer bis dahin unbekannten Familie.

Zu Beginn ist ihre Beziehung wohl mehr Spaß als Ernst: Klar, sie sind verliebt, wollen zusammen sein, lassen sich aber alle Freiheiten. "Lernst du jemand besseren kennen, trennen wir uns." Das ist ihre Regel. Zweimal beenden sie die Beziehung, aus Eifersucht, sagt Robin. Sie halten es aber nie lange ohne einander aus. Nur einmal stellt Luiza ernsthaft ein Ultimatum: Sie sind wieder im Jugendcamp und Robin empfindet plötzlich Gefühle für ein anderes Mädchen. Eine Woche gibt sie ihm, er entscheidet sich für Luiza, sitzt bald darauf wieder im Flugzeug zu ihr.

Jeden Tag hängt eine Regenwolke über dem Kopf

Seit sie auf der Warteliste stehen, rückt all das in den Hintergrund. Paragrafen des schwedischen Einwanderungsgesetzes und der Frust über die langsamen und unverlässlichen Mühlen der Bürokratie dominieren ihren Alltag. Robin ist wütend und frustriert. Luiza sagt, in Brasilien hätte sie all das Chaos nicht überrascht – "Aber in Schweden eben schon." Auch Robin ist enttäuscht vom System, hat das Vertrauen in die schwedischen Behörden verloren, sei doch alles so unvorhersehbar und undurchsichtig.

Er spricht davon, dass das Warten jeden Tag wie eine Regenwolke über ihnen hängt. Irgendwann müsse sie sich wohl verziehen, aber er hat Angst, erzählt er, dass sie doch irgendwann zum Unwetter werde. In Schweden ist schon seit einer Weile ein verschärftes Einwanderungsgesetz verabschiedet worden – und Robin befürchtet, es könne ihren Antrag erschweren, vielleicht gar unmöglich machen. Wie er da so sitzt, vor ihm ein Glas Wasser und einen Salat, sieht man ihm die Anstrengung der letzten Monate an.

Wer ist schuld am Warten?

Damit ist Robin nicht allein. Es gibt sogar eine Facebook-Gruppe für Antragsteller für Familiennachzug: "I väntan på familjen", was so viel heißt wie "auf die Familie wartend". Die Gruppe hat mehr als 2.300 Mitglieder, führt eigene Statistiken über die Anträge, darüber, wie lange die Bearbeitung dauert, ob sie bewilligt oder abgelehnt werden. Gerüchte über das neue Einwanderungsgesetz werden auch hier immer wieder diskutiert.

Eine Frage, die auf der Seite andauernd gestellt wird, ist: Wer ist schuld am langen Warten? Die meisten sind derselben Meinung wie Robin und Luiza: Schuld ist die Einwanderungsbehörde, die – statt Klarheit zu schaffen – die Wartezeit einfach immer wieder verlängert. Aber natürlich findet die in der Flüchtlingsdebatte verbreitete Xenophobie ihren Weg auch in diese Gruppe. Hasskommentare gegen Flüchtlinge werden zwar glücklicherweise schnell entfernt, doch die Gegenreaktionen darauf lassen die Heftigkeit der Aussagen vermuten.

Dabei laufen Asylanträge und Familiennachzug nicht über dieselben Warteschlangen im migrationverket. "Viele verwechseln das", erzählt eine Mitarbeiterin, die sich um Wartende wie Robin und Luiza kümmert. Allerdings hat die zunehmende Unerträglichkeit der Situation in Syrien und den Flüchtlingslagern nicht nur viele Asylbewerber zum Aufbruch gezwungen, auch sahen sich anerkannte Flüchtlinge in Schweden veranlasst, ihre Nächsten in Sicherheit zu holen – und haben dafür einen Antrag auf Familiennachzug gestellt.

Sie sind das Warten leid

So viel sich Robin auch über die Wartezeit aufregt, hitzig zu argumentieren beginnt er, wenn es um die Flüchtlingsdebatte geht. Die Jugendorganisation, in der sich der Schwede und die Brasilianerin kennengelernt haben, steht für Frieden durch interkulturelle Freundschaft. Offenheit und humanitäre Hilfe betrachtet Robin als wichtige Prinzipien. Robin ist jemand, der hält, was er sagt – ob in politischen Fragen, oder der Liebe. Vor ein paar Jahren verlor Luiza ihren Ring, den sie von ihm zum 18. geschenkt bekam. Damals versprach Robin ihr, der nächste Ring werde der Verlobungsring sein. Ende 2014 fragte er Luiza, ob sie seine Frau werden wolle. Versprochen ist versprochen.

Über ein Jahrzehnt lang haben die beiden tausende kleine Geschichten gesammelt, haben gestritten – ob Angesicht zu Angesicht in Rio oder Göteborg, oder mit fünf Stunden Zeitverschiebung auf Skype oder am Telefon – und sich wieder versöhnt, haben sich am Flughafen begrüßt und wieder verabschiedet. In diesem Jahr will Robin sein Studium abschließen, sie haben Pläne – und zwar gemeinsam. Das Warten sind sie leid. Während Robin erzählt, prallt die Sonne herab. Es ist ungewohnt heiß in Göteborg, in der Stadt, in der es durchschnittlich 171 Tage im Jahr regnet. Plötzlich klingelt sein Telefon: Luiza. Sein Blick wird besorgt, Luiza weint am anderen Ende der Welt. Dann fragt er nur ungläubig: "Wirklich?".

Als er auflegt, zittern seine Hände. Er schaut mich an, völlig erschöpft, aber froh: Der Antrag wurde soeben bewilligt.