Tyrannenmord, Festessen und aufblasbare schwarze Blöcke: Die Kunstszene beweist, dass man keine Steine schmeißen muss, um gegen G20 zu protestieren.

Es fühlt sich fast ein wenig surreal an, durch die von Polizeiautos umsäumten Straßen Hamburgs zu laufen. Rund um die Uhr sieht und hört man die Einsatzkräfte und Hubschrauber, die über der Stadt kreisen. In einigen Teilen der Hansestadt müssen Anwohner*innen sich ausweisen, um zu ihren Wohnungen zu gelangen. Sogar Schulen machen dicht, Uni-Vorlesungen fallen aus, Geschäfte verbarrikadieren ihre Schaufenster und einige Leute können aufgrund des Chaos, für das der Gipfel sorgt, nicht zur Arbeit erscheinen.

Die ganze Stadt ist im Ausnahmezustand und das normale Leben scheint für die Tage rund um den G20 stillzustehen, um Raum und Zeit für Protest zu schaffen. Und der ist genauso wichtig wie vielfältig: Auf der Kulturfabrik Kampnagel beispielsweise findet der Gipfel für globale Solidarität statt, am Mittwoch verschafften sich Tausende Hamburger*innen bei der Rave-Demo Lieber tanz' ich als G20 Gehör, nachdem 1.000 graue Gestalten durch die Innenstadt gelaufen waren. Es folgten viele weitere Demonstrationen. Die Kunstwelt bäumt sich auf und probt in verschiedensten Formen den Auf- und Widerstand.

Das Zentrum für Politische Schönheit verlost Mercedes für Tyrannenmord

Bereits am Montag fand eine Performance des Künstler*innen-Kollektivs Zentrum für Politische Schönheit in Berlin statt. Die Gruppe um den Schweizer Künstler Philipp Ruch stellte einen Mercedes vor das Kanzleramt, begleitet von einem Banner, das neben den Gesichtern von Recep Tayyip Erdoğan, Vladimir Putin und Salman bin Abdul Asis Al Saud die Aufschrift "Willst du dieses Auto? Töte die Diktatur!" trug.

Zwar wurde die Aktion frühzeitig durch die Polizei, die das Auto beschlagnahmte, beendet, einen Tag später lud das Kollektiv auf YouTube jedoch ein Video hoch, das im Stil einer Nachrichtensendung über den Mord an verschiedenen Staatsoberhäuptern, die zum Gipfeltreffen erscheinen, berichtete. "Die Zivilgesellschaft erhält die einmalige Gelegenheit, den diktatorenfreundlichen Kurs der Bundesregierung zu korrigieren", erklärte das Zentrum für Politische Schönheit, als es zum Tyrannenmord aufrief. Die Aktion war nicht unumstritten und wurde besonders in der Türkei stark verurteilt.

Jetzt wird zurückgegessen – Gegendinner der Kunst & Kabarettgipfel

"Macht endlich Euren verdammten Job!" und "Lernt endlich, wie man vernünftig eine Hand schüttelt!" waren die zwei wichtigsten Forderungen beim Kabarettgipfel und dem vorher stattfindenden Gegendinner der Kunst. In Alma Hoppes Lustspielhaus kamen am Donnerstag zunächst 20 Künstler*innen aus der ganzen Welt zusammen, um "aus Protest zurückzuessen" und den Gipfelteilnehmer*innen, die sich einen Tag später zum Dinner in der Elbphilharmonie zusammenfinden, zu zeigen, wie Weltfrieden gelingen kann. Der Organisator Sebastian Schnoy stand später mit sieben weiteren Kabarettist*innen auf der Bühne und nahm mit ihnen die Mächtigen dieser Welt auf die Schippe.

La Grande Plakastrophe

Wie die Feder über das Schwert, siegen in der Ausstellung La Grande Plakastrophe Pinsel und Photoshop über Gewalt. Die design-GmbH Giraffentoast forderte Texter*innen, Illustrator*innen und Designer*innen auf: "Gestaltet eure Forderung an die Mächtigen, euer trotziges Aufstampfen oder euer empörtes Jetztaber – als Plakat!" Ungefähr 100 Plakate wurden eingeschickt, von denen einige zunächst in einer Freiluftausstellung in der Sternschanze zu sehen waren. Am Donnerstagabend fand die Ausstellung dann in den Räumlichkeiten der Agentur statt. Die Protestkunstwerke zeigten unter anderem knurrende Hunde, mit Stacheldraht umwickelte Fäuste oder Schweine in Polizeiuniform. Zehn der ausgestellten Plakate findet ihr oben in der Galerie.

So sehen die Mächtigen der Welt ohne ihre Macht aus

Merkel, Putin, Erdoğan und Co. als Bettler oder Geflüchtete kann man in der Affenfaust Galerie sehen. Hier zeigt der Künstler Abdalla Al Omari sein Projekt The Vulnerability Series. Er selbst lebt, seit er aus Syrien floh, in Brüssel und illustriert die Weltpolitiker*innen als Vertriebene, Verstoßene und verwundbar. "Damit nimmt er ihnen ihre wichtigste Eigenschaft: die Macht", so das Statement der Galerie.

Verschiedene Porträts und Gruppenporträts zeigen Staatsoberhäupter in einer Schlange für Essen anstehend, Kim Jong-un als kleinen Jungen, der eine Rakete hinter seinem Rücken versteckt oder Donald Trump mit Pussyhat, der pinken Protest-Mütze der aktuellen Frauenbewegung, auf dem Kopf. Seit dem 30. Juni und noch bis zum 8. Juli ist die Ausstellung zu sehen. Wer nicht in Hamburg ist, kann sich einige der ausgestellten Fotos hier ansehen.

"Empört Euch! Engagiert Euch!"

Im Jahr 1948 schrieb Stéphane Hessel mit weiteren Autor*innen die UN-Menschenrechtserklärung. Zum G20-Gipfel lasen nun verschiedene Künstler*innen aus seinen Werken Empört Euch! und Engagiert Euch! vor. Neben Auma Obama, Günter Wallraff und den Schauspieler*innen Renan Demirkan und Mathieu Carrière waren unter anderen auch Samy Deluxe und die Beginner Teil des Literatur-Protestes im Rahmen der Reihe Lesen Ohne Atomstrom, der am Mittwoch in der Laeiszhalle stattfand.

Per Video zugeschaltet waren Japans Ex-Premier Naoto Kan und die weißrussische Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijwitsch. "Neues schaffen heißt Widerstand leisten – Widerstand leisten heißt Neues schaffen", proklamierte der verstorbene Diplomat Hessel, der zu seinen Lebzeiten gegen den G20-Gipfel war, da dieser im Gegensatz zur UNO eine "zwischenstaatliche Veranstaltung ohne Legitimation" sei.

Alles allen bis alles allen ist

Ein aufblasbarer schwarzer Block geistert seit Tagen durch die Hansestadt. Mal ist er auf der Alster, mal über den Köpfen der Welcome to Hell-Demonstrant*innen zu sehen. Er ist Teil der Aktion ALLES ALLEN – eine Bewegung, die zum Tanzen, Cornern, Spielen und allem, was Spaß macht, auffordert. Einzige Regel dabei: nur das zu machen, das dazu führt, dass bald allen alles ist.

In den Tagen rund um das Zusammentreffen der Weltpolitiker*innen findet das Spiel next level – g20 the gathering statt, an dem jede*r teilnehmen kann. Online können Ideenbaupläne gepostet, Rituale angekündigt und Zellen angemeldet werden. So wird Hamburg in dieser Woche zum Spielfeld für verschiedene Aktionen, die durch die Bürger*innen selbst initiiert werden. Alles unter dem Motto: alles allen bis alles allen ist.