Willst du in einen Staat einreisen, der offiziell gar nicht existiert, fliegst du zunächst nach Chișinău, in das Herz der Republik Moldau. Von dort fährst du mit dem Bus oder Zug weiter nach Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens.

Transnistrien ist ein schmales Randgebiet in der Republik Moldau, unweit von der ukrainischen Grenzstadt Odessa. Die Region hat sich 1990 im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion für unabhängig erklärt. Im darauffolgenden Konflikt mit Moldau starben bis 1992 mehr als 1.000 Menschen. Eine offizielle Einigung gab es nie.

Bis heute wird der abtrünnige Staat von keinem Land der Welt völkerrechtlich anerkannt. Er ist Gründungsmitglied der Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten. Eine deutsche Botschaft gibt es in Transnistrien nicht, darauf wird auf der Seite des Auswärtigen Amtes hingewiesen. Soll heißen: Baust du Scheiße, Удачи (Viel Glück).

Mach dich auf ein wenig Schikane gefasst

Bleibst du länger als 24 Stunden in Transnistrien, musst du dich in einem Migrationsbüro registrieren lassen. Auf eigene Faust ist das nicht möglich, ein*e in Transnistrien gemeldete Staatsbürger*in muss sich dort für dich vorstellen. Mach dich auf ein wenig Schikane gefasst, das gehört zum Prozedere dazu. Eventuell rufen die Beamten bei deiner Unterkunft an, denn ohne Buchung darfst du nicht einreisen. Auf Bestechungsgelder ist offiziell niemand aus. Man schwört auf ein Antikorruptionsgesetz, das das Regime gewissenhaft durchsetzt. Schließlich hofft man ja auf internationale Anerkennung.

Hast du es über die Grenze geschafft, wartet möglicherweise eine Polizeikontrolle auf dich. Dein Vergehen, das dich ein paar transnistrische Rubel im Wert von 50 Euro kostet, wird dir in einem für Tourist*innen vorgefertigten Katalog angezeigt. Auf eine Quittung darfst du nicht hoffen, dafür auf ein fachmännisches Gespräch über die deutsche Bundesliga.

Im Zentrum Tiraspols angekommen, siehst du eine steigende Zahl an Cafés, in denen du westliche Luxusgüter wie Detox Smoothie und Sojamilch bestellen kannst. Freies WLAN scheint dort Ehrensache zu sein. Karaokebars und Clubs füllen sich erst ab ein Uhr nachts, auch unter der Woche.

Skepsis gegenüber dem Westen

Die jungen Transnistrier*innen sprechen Englisch und sind erstaunlich aufgeschlossen. Erwarte aber nicht zu viel von einem Gespräch. Bereits während der Kindheit wird ihnen eine gewisse Skepsis gegenüber dem Westen beigebracht. Viele der in Transnistrien lebenden Menschen sind nicht dazu bereit, ihr Land zu kritisieren. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt.

Dmitri hat sich mit den Gepflogenheiten seines Landes arrangiert. Er ist ein junger Unternehmer und Tourguide, der das berühmte Lenin Street Hostel für die jüngere Tourist*innen betreibt, eine der wenigen Unterkünfte in Tiraspol. Obwohl Dmitri viel reist und den europäischen Geist verkörpert wie kaum ein anderer hier, lässt auch er sich kaum zu einer Kritik seines Landes hinreißen. "Seltsam finde ich nur, dass unsere Gesellschaft ein Teil von Russland werden will, obwohl da noch die riesige Ukraine zwischen uns liegt."

Viele Menschen in Transnistrien sehnen sich nach einer eisernen russischen Herrschaft. Auch Andrey, der eine Reiseagentur für Ausflüge rund um Tiraspol betreibt, hofft, dass die 2016 gewählte Regierung unter Präsident Wadim Krasnoselski Transnistrien politisch und wirtschaftlich an Russland anschließen wird.

Auf den Straßen Tiraspols ist das russische Militär allgegenwärtig. Nicht selten lassen sich die Soldat*innen in ein Gespräch verwickeln und lächeln einem zu. Mitten auf der Straße des 25. Oktobers, benannt nach dem Tag, an dem die sozialistischen Bolschewiken die Macht in St. Petersburg übernahmen, steht ein großer russischer Panzer – nicht als Denkmal, sondern als sogenannte Friedenswacht. Büsten und Statuen von Lenin zieren so manche Ortseinfahrt und ein alter Sowjetpark gibt Einblick in eine Zeit, die im restlichen Europa fast in Vergessenheit geraten ist. Selbst auf dem Landeswappen sind immer noch Sichel und Hammer zu sehen.

Für manche in Transnistrien steht die glorreiche Vereinigung mit Russland kurz bevor. Doch der russische Präsident Putin ist zurückhaltend. Würde er die Unabhängigkeit der Region anerkennen und Transnistrien infolgedessen nicht länger zu Moldau gehören, würde sich der Rest der Republik stärker Richtung Westen orientieren und womöglich der EU anschließen. Das kann Putin leichter verhindern, solange die 500.000 prorussischen Einwohner*innen Transnistriens offiziell ein Teil Moldaus sind.

Wodka und russische Heimatlieder

Interessant für Touris und Backpacker*innen ist in Transnistrien eine Besichtigung der KVINT-Fabrik, die seit 1897 Weinbrände, Wodka und Wein produziert und weltweit mehrfach für ihre Waren ausgezeichnet wurde – sogar von Ländern, die die Existenz Transnistriens offiziell nicht anerkennen.

Wer die Hauptstadt verlassen will, findet im 25 Kilometer entfernten Ciobruci einen Sowjetpark, der 1958 eingeweiht wurde. Seit dem Zerfall der Sowjetunion müssen die Brunnen und Denkmäler meist ohne Licht und Wasser auskommen; das Geld ist knapp geworden.

Auch aufs Feiern müssen Touris in Transnistrien nicht verzichten. Tanzen kannst du entlang der Straße des 25. Oktober im Baccarat Club. Die Feiernden schütten neben KVINT-Bränden auch Jim Beam in sich rein, während sie russische Heimatlieder gröhlen.

Spätestens, wenn du das Separatistengebiet verlässt und dabei von oben bis unten gemustert wirst, weißt du zu schätzen, was es bedeutet, in einem grenzenlosen Europa zu leben. Wer immer noch an der europäischen Idee zweifelt, dem könnte ein Besuch in Transnistrien die Augen öffnen.